TiSA: Was heißt da öffentlicher Dienst?

epa04183822 Demonstrators hold posters reading 'No trade in public services' during a rally against negotiations on Trade in Services Agreement (TISA) in front of the Australian Mission in Geneva, Switzerland, 28 April 2014. Some 50 participans representing the world's trade in servie negogiate on the TISA which is aimed to improve and expand trade in services. EPA/SALVATORE DI NOLFI

Anti-TiSA-Protest in Genf, April 2014 

Wird der öffentliche Dienst, der Service public, durch das Dienstleistungsabkommen TiSA weiter privatisiert? Es kommt darauf an, was darunter zu verstehen ist, schreibt die Verbraucherzentrale Hamburg auf ihrer Webseite.

Seit 2012 verhandeln 50 Staaten – die EU, die USA sowie Australien, Chile, Taiwan, Costa Rica, Hongkong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Liechtenstein, Mauritius, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Peru, Schweiz, Türkei – über TiSA, das „Trade in Services Agreement” oder auch Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Die Verhandlungen sind nicht öffentlich.

TiSA betrifft also nicht – wie TTIP oder CETA – den Handel, sondern Dienstleistungen, und zwar auch solche, die traditionell unter öffentlicher oder gar staatlicher Regie erbracht werden, wie beispielsweise die Versorgung mit Energie und Trinkwasser, den öffentlichen Nahverkehr, die Bildung oder das Gesundheitswesen.

Das Besondere an TiSA: Bereiche, die einmal privatisiert wurden, sollen nie wieder in kommunale oder staatliche Regie zurückgeführt werden können – auch nicht, wenn private Anbieter versagt haben.

Privatisierung oder nicht – das ist hier die Frage?

Kritiker befürchten, dass mit dem Inkrafttreten des Abkommens wichtige Dienstleistungen zukünftig von privaten Anbietern erbracht werden. Die Bundesregierung und die EU-Kommission meinen jedoch unisono:

„Mit den Verhandlungen zum TiSA-Abkommen wird nicht das Ziel einer Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen in Deutschland verfolgt.”

Stimmt nicht, sagen die Kritiker. Sie behaupten, es gehe den verhandelnden Staaten – darunter die wichtigsten Industrienationen der Welt – auch oder gar vorrangig um den Zugang privater Unternehmen zum öffentlichen Sektor, also zum Gesundheitswesen, zur Versorgung mit Wasser und Energie, zum Nah- und Fernverkehr, zum Bildungswesen mit Schulen und Hochschulen, zur Versorgung mit Informationen durch Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen…

Wie kann das sein? Ganz einfach, im TiSA-Abkommen wird nur das als öffentliche Dienstleistung definiert, was für Verbraucher kostenfrei ist. Die tageszeitung erläutert dies am 17. Dezember 2016 wie folgt:

„Im allgemein gehaltenen Haupttext des geplanten Abkommens werden öffentliche Dienstleistungen eng als solche definiert, die für die Verbraucher völlig kostenfrei sind. Das trifft heute in den meisten Staaten aber höchstens noch auf die Feuerwehr oder den Katastrophenschutz zu.”

Dass öffentliche Dienstleistungen jedoch viel mehr umfassen als die Feuerwehr und den Katastrophenschutz, verdeutlichen die Stimmen der Kritiker:

„TISA kann Gesundheit, Bildung, Nahverkehr und Wasser gefährden: Zentrale öffentliche Dienstleistungen geraten unter wachsenden Privatisierungsdruck. Das würde das Angebot für die Bürger/innen verschlechtern. Die Konzerne wollen sogar auf die Wasserversorgung zugreifen, um neue Profitmöglichkeiten zu erhalten. Und TISA entmündigt Kommunen: Ob städtisches Krankenhaus oder Stadtwerke – sind sie erst einmal privatisiert, sollen sie es bleiben. Für eine Rekommunalisierung werden hohe Hürden errichtet.” (Bürgerbewegung Campact)

„Es scheint unvorstellbar: Unsere Schulkantinen werden von Konzernen wie Coca-Cola oder McDonald’s betrieben. Höhere Schulen oder einen Krankenhausaufenthalt können sich nur noch Wohlhabende leisten. Deutsche und mexikanische Unternehmen sprechen sich ab, welchen Stundenlohn und wie viele Urlaubstage sie gewähren möchten. Unglaublich? Leider nicht.” (Netzwerk attac)

Also doch? Die EU-Kommission dagegen behauptet:

„Die EU nimmt folgende Bereiche stets aus ihren Verpflichtungen aus: öffentliche Gesundheitsversorgung und soziale Dienstleistungen, staatlich finanzierte Bildung, Dienstleistungen zur Wasserversorgung, -aufbereitung, -verteilung und -bewirtschaftung, Film, Fernsehen und andere audiovisuelle Dienstleistungen. Wie in allen anderen Handelsabkommen hat die EU diese Dienstleistungen auch in TiSA ausgenommen.”

Was nun – wem sollen wir glauben? Werden öffentliche Dienstleistungen der Daseinsvorsorge dem liberalisierten internationalen Handel ausgeliefert und damit unsere teils hohen Standards ausgehebelt oder nicht?

Wer herausfinden will, was nun richtig ist, muss sich wohl mit den englischsprachigen Originaldokumenten beschäftigen, die Wikileaks veröffentlicht hat und ständig weiter ergänzt. Die tageszeitung hat diesen Dokumenten entnommen, dass die EU von ihren bisher proklamierten Positionen schon abgerückt ist:

„Die EU fordert bei den Verhandlungen über das geplante Dienstleistungsabkommen Tisa entgegen bisherigen Aussagen die ‚Liberalisierung’ aller öffentlichen Dienstleistungen. Dabei geht es um Privatisierung, Deregulierung und möglichst uneingeschränkten Zugang für ausländische Unternehmen, insbesondere in Ländern des Südens.”

Und Spiegel Online schreibt am 25. November 2016 zu den neuesten Dokumenten:

„Vor allem die USA dringen auf die Deregulierung möglichst vieler Branchen und laxeren Datenschutz. Die höheren Standards der EU dürften kaum zu halten sein.”

Was kann TiSA konkret fürs Gesundheitssystem bedeuten?

Ein Krankenhaus, in das steuerzahlende Bürger und beitragszahlende Krankenversicherte auf dem Umweg über Staat und Krankenkassen ihr Geld investieren, sollte doch eigentlich den Bürgern dienen, wenn sie krank sind. Wird es jedoch privatisiert, geht es meist nur noch um die Rendite und die Gesundheit der Patienten gerät ins Hintertreffen.

Und zur Privatisierung mit ihren ambivalenten Wirkungen wird durch TiSA etwas ganz Neues kommen: Ein privatisiertes Krankenhaus wird nie wieder Gemeineigentum werden können. Der Staat oder die Kommune oder die Bürger werden es auf ewige Zeiten den privaten Eigentümern überlassen müssen. Selbst wenn die Privatisierung gescheitert ist. Selbst wenn die Qualität der Leistungen unterirdisch ist.

Noch etwas könnte TiSA möglich machen: Leiharbeiter (vor allem wohl Leiharbeiterinnen) aus anderen Ländern könnten in Deutschland beschäftigt werden, etwa um den jetzt schon massiv sichtbaren Notstand in der Kranken- und Altenpflege zu lindern. Das wäre ja eine gute Nachricht, wenn sie denn ordentlich bezahlt würden. Aber genau das ist der Punkt: Sie müssen dann eine zeitlang hier leben, essen und schlafen, aber zum Lohnniveau ihrer Heimatländer arbeiten, also möglicherweise unterhalb jeglicher bei uns üblichen Grenzen von Mindestlohn oder auch nur Existenzminimum.

Natürlich können Verträge wie TiSA Ausnahmen vorsehen, die alle diese schlimmen Folgen verhindern. Doch da die Verhandlungen im Geheimen stattfinden, kann das gegenwärtig niemand prüfen. Selbst Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben zu vielen Dokumenten keinen Zugang, wie schon ARD Plusminus vor zwei Jahren in einem sehenswerten TiSA-kritischen Beitrag offenbarte.