Energiecharta? Kündigen!

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Neben CETA, TiSA, den EPAs mit afrikanischen Staaten und TTIP, das demnächst wieder auftauchen wird, gibt es noch ein Vertrag, der auf den Müllhaufen der Geschichte gehört: Der Vertrag über die Energiecharta. Weil er nur Investitionen schützt. Und sonst nichts.

Informationen und Text: Umweltinstitut München

Der Vertrag über die Energiecharta ist ein internationaler Vertrag, der speziell den Energiesektor abdeckt. Er wurde 1994 zwischen insgesamt 51 Staaten in Europa und Asien abgeschlossen, um die Integration der Energiemärkte der bis kurz davor planwirtschaftlich und diktatorisch regierten Staaten in Osteuropa und Mittelasien in eine globale Marktwirtschaft abzusichern. Einerseits gab es in den ehemaligen Ostblockstaaten einen großen Nachholbedarf bei Technik, Energieinfrastruktur, wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz. Gleichzeitig war und ist der Hunger der westlichen Volkswirtschaften nach Energieressourcen – Gas aus Russland, Erdöl aus Mittelasien, Uran aus der Mongolei – groß.

Der Vertrag sollte Investitionen aus dem Westen in die Wirtschaft der ehemaligen Ostblockstaaten anregen, gegen die dortige Unsicherheit absichern und den Handel mit Energie fördern. Er ist ein Investitionsschutzvertrag, der Investoren die Möglichkeit gibt, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie „enteignet“ werden. Dabei gilt es bereits als Enteignung, wenn ein Staat die Bedingungen für ihre Investitionen durch neue Regelungen verschlechtert. Rechtlich bindend sind nur die Regeln, die Investoren begünstigen.

Neben dem Investitionsschutz enthält der Vertrag über die Energiecharta Regeln über den Transit von Energie. So wird versucht, z.B. die Leitung von russischem Gas in den Westen durch andere, ehemalige Ostblockstaaten abzusichern. Zum Vertrag gehört außerdem das Protokoll über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte. Es enthält weder konkrete Ziele noch Durchsetzungsmechanismen und hat daher praktisch keine Auswirkungen. Auch der Umweltartikel des ECT selbst ist vom Streitbeilegungsmechanismus des Vertrags explizit ausgenommen. Der Teil, der die Minimierung von Umweltschäden durch die Energiebereitstellung regelt, besteht also – wie auch in neueren Verträgen wie CETA – aus unverbindlichen Appellen.

Welche Staaten sind dabei?

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Rot: Die Vertragsstaaten. Hellrot: Staaten, die den Vertrag unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben. Grün: Staaten, die aus dem Vertrag ausgetreten sind

Ein Investitionsschutzvertrag für den Energiesektor

Wichtig ist auch zu verstehen, was der ECT nicht ist: Der Vertrag über die Energiecharta ist kein klassischer Handelsvertrag. Er enthält zum Beispiel keine Regeln über Zölle und die Öffnung von bisher abgeschotteten oder staatlich organisierten Märkten.

Es handelt sich also vor allem um einen Investitionsschutzvertrag für Investitionen in den Energiesektor. Tritt über die vermeintliche Enteignung einer Investition ein Streit zwischen einem Unternehmen aus einem Vertragsstaat und einem anderen Vertragsstaat auf, so kann diese Firma vor einem privaten Schiedsgericht auf Schadensersatz klagen. Der Vertrag schafft so doppelt Sonderrechte für international agierende Konzerne: Er gibt ihnen das exklusive Recht vor internationalen, nicht-staatlichen Schiedsgerichten zu klagen. Zudem ermöglicht er durch Rechtsbegriffe wie „faire und gerechte Behandlung“ und „indirekte Enteignung“, dort Rechte einzufordern, die im jeweiligen nationalen Recht üblicherweise nicht existieren. Anders als in reinen Investitionsabkommen oder umfassenden Handelsabkommen wie CETA oder TTIP gilt der Vertrag über die Energiecharta aber nur für Investitionen im Energiesektor.

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Die Zahl der Fälle vor Investor-Staat-Schiedsgerichten ist in den letzten Jahren explodiert. Der Grund dafür ist vor allem, dass große Anwaltskanzleien die Anregung und Betreuung von Investitionsschutzfällen als lukratives Geschäftsfeld entdeckt haben und die schwammigen Rechtsbegriffe aus internationalen Abkommen gezielt ausnutzen. Das trifft auch auf den Vertrag über die Energiecharta zu: Von insgesamt 99 Fällen wurden 63 in den Jahren seit 2013 begonnen.

Zu den Konzernen, die Staaten verklagt haben, gehört unter anderem das schwedische Energieunternehmen Vattenfall (Details zu diesen Klagen: siehe hier).

Mögliche Investitionsschutzklagen der Zukunft: Fracking und Kohle

Das Pariser Klimaabkommen erfordert eine schnelle und weitgehende Dekarbonisierung der Wirtschaft. Der ECT könnte in Zukunft mit diesem Ziel in Konflikt geraten. Wenn zum Beispiel die Bewegung gegen Kohleverstromung weiter an Stärke gewinnt und politische Erfolge erzielt oder wenn bei steigendem Ölpreis die Diskussion um Fracking auch in Europa wieder schärfer wird, könnten internationale Bergbau- und Energiekonzerne den Energiecharta-Vertrag nutzen, um Entschädigungen durchzusetzen. Eine Gefahr dabei ist auch, dass Regierungen notwendige Maßnahmen unterlassen, weil Konzerne mit Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe drohen.

Eine Kündigung ist möglich

Eine Kündigung des Vertrags über die Energiecharta durch einen der Vertragsstaaten ist jederzeit möglich. Dazu muss der jeweilige Staat die Regierung von Portugal, die den Vertrag offiziell verwahrt, über den Rücktrittswunsch informieren. Entsprechend des Artikels 47 tritt der Vertrag ein Jahr nach dieser Mitteilung für diesen Staat außer Kraft.

Allerdings enthält der ECT wie viele andere Investitionsschutzverträge eine „Zombieklausel“ (Artikel 47, Absatz 3). Diese besagt, dass der Investitionsschutz nach dem Austritt eines Vertragsstaats für Investitionen in diesem Staat und für Investoren aus diesem Staat noch für 20 Jahre weiterhin gültig ist. Ein Austritt aus dem ECT würde daher zwar nicht dazu führen, dass laufende Investitionsschutzklagen beendet werden. Es könnte sogar noch weitere Klagen geben, wenn die entsprechende Investition vor dem Austritt getätigt wurde. Dennoch ist ein Austritt sinnvoll, um zukünftig internationalen Konzernen keine Sonderrechte mehr zu gewähren.

Italien hat 2015 mitgeteilt, dass es vom ECT zurücktreten möchte und ist seit 2016 nicht mehr Mitglied. Der weitgehend unbemerkte Austritt Italiens beweist, dass ein Austritt aus dem ECT die Energieversorgung eines Staates nicht gefährdet.