Lobbypedia: Was CETA ist

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Worum geht es bei CETA, das demnächst von den nationalen Parlamenten der EU-Staaten ratifiziert wird – oder auch nicht? Ein Lobbypedia-Beitrag zeigt, was in dem EU-Vertrag mit Kanada steckt. 

Das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA, dt. Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen) ist das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada.

Es wurde am 30.10.2016 unterzeichnet. Das Abkommen soll in Kraft treten, nachdem EU-Parlament und der Rat der Europäischen Union, sowie das kanadische Parlament und die kanadischen Provinzen zugestimmt haben.

Die Befürworter des Abkommens erwarten ein Wirtschaftswachstum auf beiden Seiten; dafür soll der Marktzugang beiderseits erleichtert und Handelsbarrieren in vielen Bereichen abgebaut werden. Kritiker bezweifeln, dass dieser erhoffte Nutzen in der versprochenen Größenordnung eintritt und dieser sich gerecht verteilt: Sie sehen in erster Linie multinationale Unternehmen als Gewinner. CETA gilt als Blaupause für das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP).

Kerninhalte

Das Freihandelsabkommen sieht vor, dass ein sehr großer Teil der Zölle und weiteren sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse zwischen Kanada und der EU abgebaut werden. Als nichttarifäre Handelshemmnisse gelten unter anderem Verbraucherschutzregelungen, technische Standards oder mengenmäßige Importbeschränkungen (sogenannte Importquoten), die ausländischen Produzenten den Marktzugang erschweren. Fallbeipiele können Produkte mit bestimmten Chemikalien oder gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sein.Das Abkommen beinhaltet dabei eine vertiefte Kooperation bei Regulierungen und einen Investitionsschutz für Unternehmen. Als Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Unternehmen sollen außerstaatliche Schiedsgerichte eingerichtet werden. Damit werden Unternehmen einseitig Klagerechte eingeräumt. Sie können so einen Staat auf Schadensersatzzahlungen verklagen, wenn dieser Gesetze verabschiedet die das Unternehmen benachteiligen.

Chronologie der CETA-Verhandlungen

Die anstehende Ratifizierung

Nachdem das Europäische Parlament CETA im Februar zugestimmt hat, wird das Abkommen im nächsten Schritt von den einzelnen Mitgliedsstaaten ratifiziert. Anfang Juni 2017 hatte neben Handelspartner Kanada lediglich Lettland die Ratifizierung abgeschlossen. Einige andere Staaten, darunter Finnland, Dänemark und Litauen, haben bereits angekündigt, schnellstmöglich zu folgen.

Akteure

Auf Seiten der Europäischen Union verhandelte die EU-Kommission. Die Verhandlungsführer für die EU waren:

Verhandlungspartner auf der kanadischen Seite war die Regierung, vertreten von Premierminister Stephen Harper bzw. seit 2015 Justin Trudeau. Verhandlungsführer für Kanada waren:

Die 21 Verhandlungsgruppen bestanden aus den Mitarbeitern der EU-Kommission, in erster Linie vertreten vom Generaldirektorat Handel, und dem Department of Foreign Affairs, Trade and Development Canada (DFATD).
40 Unterhändler stellte die EU, 60 kamen aus Kanada.

Kritik an CETA

Das Abkommen wird von einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Akteueren von verschiedenen Standpunkten aus kritisiert.

Allgemein

Ein Bündnis aus europäischen und kanadischen NGOs haben in einer gemeinsamen Stellungnahme das Freihandelsabkommen kritisiert, weil dieses die Privatisierung des öffentlichen Sektors vorantreiben und Regulierungen im Gesundheits- sowie Sozialwesen und Umweltschutz schwächen und verhindern würde. Darüber hinaus unterhöhle CETA die demokratischen Rechte von Staaten und besonders die ihrer Bürger. Es wurde die Geheimhaltung der Verhandlungen gegenüber der Öffentlichkeit kritisiert und der bevorrechtigte Zugang zu Informationen für Unternehmen. Während der Verhandlungen hatte die Öffentlichkeit keinerlei Informationen über Inhalt und Stand der Verhandlungen.
Eine zweite Stellungnahme wurde am 25. November 2013 veröffentlicht. Diesmal beteiligten sich auch amerikanische NGOs an dem Aufruf. Kandadische Kritiker weisen auch darauf hin, dass die Entwicklung nach Abschluss des Freihandelsabkommens NAFTA zwischen Kanada und USA als warnendes Beispiel angesehen werden kann. Ihrer Meinung nach sind die Vorteile wie Handelszuwächse nicht eingetreten. Denn beim Freihandel gebe es nicht nur Gewinne, sondern auch Verluste. Der Havard Ökonom Dani Rodrik hat ausgerechnet, dass die Gewinne von einem Freihandelsabkommen für die USA gering seien. Für 51 Dollar Gewinn gebe es 50 Dollar Verlust aufgrund von Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten. Ebenso ließe sich nicht bestätigen, dass diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, schnell wieder einen neuen finden. Eher seien Freihandelsabkommen so ausgelegt, Regulierungen und politische Rahmenbedingungen so zu verändern, dass multinationale Konzerne die eigentlichen Gewinner seien. Das gelte besonders vor dem Hintergrund, dass Investoren- sowie Unternehmensrechte ausgebaut und somit gegenüber demokratisch gewählten Regierungen stärker würden.

Ein anderer Kritikpunkt bezieht sich auf Risiken im Bereich der Dienstleistungsliberalisierung. Demnach dürfte die kommunale Gestaltungshoheit bei der Daseinsvorsorge nicht durch einen Freihandel gefährdet werden. In einem Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen werden explizit Bereiche wie der ÖPNV, soziale Dienstleistungen oder die Wasserversorgung genannt, die nicht von einer Liberalisierung betroffen sein dürften. Die Kommission hat den Vorschlag unterbreitet, eine Negativliste aufzustellen, derzufolge gewisse Bereiche ausdrücklich von einer Liberalisierung ausgeschlossen wären. Kritiker bemängeln die fehlende Flexibilität eines solchen Ansatzes, da diese Liste zukünftig nicht mehr erweiterbar sei. Auch könne man dann die Liberalisierung von Marktsektoren nur schwer rückgängig machen. Im Gegenzug wird eine Positivliste verlangt, in der explizit die Bereiche vermerkt werden sollen, für die ein Marktzugang ermöglicht werden soll.

Das kanadische Trade Justice Network betont, dass es im Handel zwischen der EU und Kanada bereits jetzt nur wenige Barrieren für den Marktzugang gebe.

Auswirkungen auf Finanzmarkt-Regulierung

Das Trade Justice Network befürchtet, dass durch das Abkommen Regulierungen von Finanzdienstleistungen grundsätzliche in Frage gestellt werden. So könnten diese einer Prüfung auf ihre „Notwendigkeit“ unterzogen werden. Sollte diese negativ ausfallen, wären sie von den Regierungen abzuschaffen. Bei der Welthandelsorganisation WTO gibt es eine vergleichbare Regelung: Dort legen die eingesetzten Gremien die Auswirkungen meist gegen die Regulierung aus.

Auswirkungen auf den Umweltschutz

Die Naturschutzorganisation WWF hat den Vertragstext von der Universität Kassel untersuchen lassen und spricht von einem „umweltpolitischen Alptraum“. Dem Gutachten zufolge lähme CETA die Umweltpolitik der EU immer dort, wo Negativeffekte auf Handel, Investitionen und die Gewinnerwartungen von einzelnen Unternehmen eintreten könnten. Der WWF kritisiert besonders, dass die Staaten damit ihre Souveränität aufgäben, weitere Verbesserungen in der Umweltpolitik zu beschließen. Denn sie müssten die Notwendigkeit von Maßnahmen wie Ökosteuern oder dem Verbot von Chemikalien und Schadstoffen begründen. Komme es zum Streit, bliebe es privaten Schiedsgerichten im Rahmen von ISDS-Verfahren (Investor-State-Dispute-Settlement) vorbehalten, über die Maßnahmen zu entscheiden. Sie können an der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbei Unternehmen Schadensersatz auf Kosten der Steuerzahler zuerkennen.

Auswirkungen auf die Rücknahme von Privatisierungen

Laut der ehemaligen Bundesjustitzministerin Herta Däubler-Gmelin legen die Formulierungen nahe, dass die Rücknahme gescheiterter Privatisierungen deutlich erschwert würden. Zudem gebe es in dem Bereich keine Positiv-Liste, die beschreibt, wo die CETA-Regulierungen gelten würden. Stattdessen gibt es eine Negativ-Liste, in der die Bereiche aufgelistet sind, die nicht von den Regulierungen betroffen sind. Sämtliche Neuentwicklungen würden dann automatisch unter die privatisierungsfreundliche CETA-Regel fallen.

Intransparente Verhandlungen

Bei den Verhandlungen zu einem so umfassenden Abkommen werden unterschiedliche InteressensvertreterInnen angehört. KritikerInnen bemängeln, dass die meisten der Gespräche nur mit Vertretern von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden geführt wurden. Zivilgesellschaftliche Akteure wurden demnach selten angehört. Erschwerend kam hinzu, dass die Treffen zwischen den Unterhändlern und Lobbyisten im Geheimen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden.

Laut der kanadischen Regierung wurden im Verlauf der Verhandlungen regelmäßig „key stakeholders (Canadian industry, workers and small businesses)“ konsultiert. Ebenfalls gab es direkt im Anschluss an die Verhandlungsrunden kontinuierlich Telefonkonferenzen zwischen dem Hauptverhandlungsführer Verheul und Interessenvertretern. Es ist nicht bekannt, mit wem über was gesprochen wurde. Die kanadische Regierung hebt dessen ungeachtet das besondere Maß an Transparenz gerade bei diesen Verhandlungen hervor. So stellt die kanadische Regierung einen groben Überblick über den Verhandlungsverlauf zur Verfügung und darüber hinaus noch eine 26-seitige Zusammenfassung über die erzielten Vereinbarungen. Doch auch hier fehlt es an Informationen über die einzelnen Verhandlungsrunden und die Namen der Lobbyisten, die angehört wurden.

Lobbyeinflüsse

Auf beiden Seiten haben vor allem Unternehmenslobbyisten einen einfachen Zugang zu den Verhandlungen. Es gibt mehrere Unternehmerverbände, die aktiv zu einer Unterzeichnung des Abkommens aufrufen und gleichzeitig an den Verhandlungen teilnehmen. So sprach sich der Präsident von Businesseurope, Jürgen R. Thumann, bei einer Veranstaltung der kanadischen Handelskammer für eine ambitionierte Kooperation bei Regulierungsfragen aus. Nach Auffassung von Thumann sind die kanadischen und europäischen Verhandlungsführer auf unternehmerischen Input angewiesen, weshalb die beiden Lobbygruppen ihre Regierungen bei den komplexen Verhandlungen unterstützen müssten.Ein weiterer Akteur ist das European Services Forum (ESF). Das ESF fordert unter anderem die Privatisierung der kanadischen Post sowie eine Schwächung der Finanzmarktregulierung in Kanada über das Abkommen. Ein ebenso lautstarker CETA-Unterstützer ist der Canada-EU Roundtable for Business, der sich beispielsweise für die Abschaffung von Handelsbarrieren im Bereich von genmodifizierten Lebensmitteln einsetzt.

Weitere Akteure, die eine CETA-freundliche Öffentlichkeitsarbeit betreiben:

  • Das Projekt EU-Canada Partnership zielt auf eine Kooperation zwischen lokaler Wirtschaft und CETA-Verhandlern ab, dabei liegt ein Fokus auf dem Aspekt der regulatorischen Kooperation. Die Initiatoren kritisieren das „vociferous lobbying by a few anti-CETA groups“ und wollen dem durch eine „media campaign in partnership with Postmedia Network“ entgegenwirken. Dabei sollen „success stories“ im Mittelpunkt stehen.
  • Die Kanzlei Dentons Canada LLP betreibt eine deutlich CETA-freundliche Öffentlichkeitsarbeit. Sie veranstaltet regelmäßig Seminare, die die vermeintlichen Chancen und Gewinne des Abkommens für die lokale Wirtschaft herausstellen. V. Peter Harder (Senior Policy Advisor bei Dentons) veröffentlichte zudem diverse Artikel, in denen er eine CETA-freundliche Position einnimmt und die Notwendigkeit eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada betont.
  • Die Kanzlei Miller Thomson LLP organisiert Veranstaltungen über Themen wie die europäisch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen und CETA. Außerdem ist die Kanzlei ein offizieller Sponsor der EU-Canada Partnership.
  • Auch die Kanzlei Blakes ist ein offizieller Sponsor der EU-Canada Partnership. Außerdem bietet die Kanzlei ihre Expertise zu rechtlichen Umsetzungsfragen bezüglich CETA an und begrüßt im allgemeinen das Abkommen mit der EU.

Klagerechte für Unternehmen (ISDS)

Wie aus dem CETA-Dokument hervorgeht, beinhaltet das Abkommen ein Kapitel zum Investitionsschutz, dass unter anderem Konzernklagerechte für Unternehmen umfasst, den sogenannten Investor State Dispute Settlement (ISDS). Es bietet Unternehmen die Möglichkeit, gegen Regulationen und Gesetze vorzugehen und dabei die demokratisch legitimierte Rechtssetzung zu umgehen. Kritiker sprechen hier von einer Art Auslagerung der Justiz an private Gerichte und sehen Grundrechtsentscheidungen nationaler und europäischer Gerichtshöfe in Gefahr. Der Investitionsschutz für Unternehmen beinhaltet folgende Maßnahmen: Schutz vor Diskriminierung sowie Entschädigung vor direkter (z.B. Verlust von Besitztümern) und indirekter (z.B. Regelungen, Gesetze) Enteignung. Hierbei besteht die Gefahr, dass eine Androhung eines solchen Verfahrens ausreicht, um Gesetze zu verhindern.
Die Erfahrungen mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) zeigen zudem, dass ISDS oftmals von Unternehmen missbraucht wird. Derzeit sieht sich Kanada einer Reihe von Klagen ausgesetzt. Der Staat ist nicht klageberechtigt und kann bei dieser Form der Privatjustiz nur Geld verlieren.
Hinsichtlich des transatlantischen Freihandelsakommens TTIP hat die EU-Kommission – aufgrund des großen Drucks von Bürgerrechtsbewegungen – die Verhandlungen über ISDS vorerst ausgesetzt. Dessen ungeachtet sind sie im Entwurf des CETA-Textes enthalten. Es kann vermutet werden, dass sich amerikanische Firmen über die „Hintertür“ des CETA entsprechende Rechte in Europa sichern. Der Clou dabei ist, dass die Klagerechte auch für US-Firmen gelten, die einen Ableger in Kanada unterhalten – es ist sogar denkbar, dass sie nur zu diesem Zweck eine Zweigniederlassung gründen. Dadurch wäre durch CETA unerheblich, ob die Kritiker am TTIP-Abkommen die Aufnahme der Investorenschutz-Regelungen verhindern könnten. Auch in einer Debatte im Europäischen Parlament im September 2014 standen diese Regulierungen im Zentrum der Kritik der Abgeordneten. Im März 2016 wurde bekannt, dass sich die beide Seiten grundsätzlich auf die Einrichtung eines Investitionsgerichtshof verständigt haben. Kritiker sehen in den geplanten Änderungen ein ‚groß angelegtes Täuschungsmanöver‘ und sehen dadurch keine Änderung der grundsätzlichen Kritik am ISDS-Verfahren. Im Juli 2016 veröffentlichte die Internetseite correctiv.org Dokumente, denen zu Folge die deutsche Regierung im Laufe befürchtete, dass in dem Fall von Staatspleiten bzw. Schuldenschnitten mit ISDS eine Haftung der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten eintreten könnten. Per ISDS könnten Finanzinvestoren Verluste aus solchen staatliche Maßnahmen mit Steuergeld ausgleichen. Die zu dieser Frage in den fertigen CETA-Vertrag aufgenommen Formulierungen wurden von Experten als nicht ausreichend beurteilt.

Weitere Informationen

  • Making Sense of CETA – CETA lesen und verstehen. Analyse des EU-Kanada Freihandelsabkommens. Hrsg. v. PowerShift und CCPA u.a. Berlin, Ottawa. 2016 Download als PDF
  • Siehe die Studien, die im Lobbypedia-Eintrag zu CETA auf gelistet sind.