Glyphosat: Neue Zweifel am Urteil

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Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat in seinem Bericht zum Unkrautvernichter Einschätzungen der Industrie übernommen, ohne diese deutlich zu kennzeichnen. Wie Lobbyismus funktioniert (der ja auch bei der Formulierung von Handelsverträgen eine große Rolle spielt), zeigt dieser Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung.

Von Andreas Rummel

Die Risikoanalyse des Unkrautvernichters Glyphosat durch die zuständigen Behörden in Deutschland und der EU steht erneut in der Kritik. Recherchen der Süddeutschen Zeitung zeigen, dass dabei offenbar in Teilen das Urteil von Herstellern wie Monsanto übernommen wurde, ohne dass dies deutlich kenntlich gemacht wurde. Der Vorwurf trifft vor allem das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das den Bericht für die EU vorbereitet hat.

Wer den Sachverhalt verstehen will, muss zwei Jahre zurückblicken. Am 28. September 2015, veröffentlichte das BfR ein wichtiges Dokument. Darin hieß es: „Das BfR hat im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung von Glyphosat mehr als 1000 Studien, Dokumente und Veröffentlichungen umfassend geprüft und ausgewertet. Dazu gehören unter anderem epidemiologische Studien zur Bewertung der Kanzerogenität von Glyphosat.“ Ergebnis der Behörde: kein relevantes Risiko. Doch wie umfassend hat die Behörde selbst geprüft und ausgewertet?

Der SZ liegen Hinweise vor, die zeigen, dass diese Aussagen der Behörde grob falsch sein könnten. Dass relevante epidemiologische Studien von der Behörde nicht „umfassend geprüft und ausgewertet“ wurden – sondern die Behörde schlicht die Standpunkte der Hersteller nahezu wortwörtlich übernahm.

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Das zeigt der Vergleich von Textpassagen aus dem von der Industrie eingereichten Dossier mit dem BfR-Bewertungsbericht zu Glyphosat. Dass es überhaupt möglich ist, dass eine Behörde bei der Industrie abschreibt, liegt daran, dass Hersteller verpflichtet sind, nicht nur eigene Studien einzureichen, mit denen sie die Unbedenklichkeit ihrer Produkte belegen; sondern sie sind auch verpflichtet, sämtliche in der wissenschaftlichen Literatur vorhandenen unabhängigen Studien zu sichten und zu bewerten.

So geschehen ist das auch mit den epidemiologischen Studien bei Glyphosat. Das sind in der Regel groß angelegte Untersuchungen an Menschen, die üblicherweise von Universitäten und Universitätskliniken sowie staatlichen und privaten Forschungseinrichtungen erstellt und veröffentlicht werden.

Als die WHO-Krebsforschungsagentur IARC vor zwei Jahren ihre Klassifizierung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ veröffentlichte – und damit den gewaltigen Behördenstreit auslöste, der bis heute anhält -, da nannte sie bereits drei Studien an Landwirten, die einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und dem Non-Hodgkin-Lymphom zeigten, einem aggressiven Krebs des Lymphsystems. Diese von IARC benannten Studien stammten aus Skandinavien, Kanada und den USA und hatten zum Teil ihrerseits mehrere Einzelstudien zusammengefasst. So zum Beispiel eine im Jahr 2003 veröffentlichte Studie, in deren Rahmen Epidemiologen drei Einzelstudien des international renommierten National Cancer Institute der USA (NCI) auswerteten. Es ergaben sich Hinweise auf ein gesteigertes Risiko für Landwirte, die Glyphosat anwendeten, an Lymphdrüsenkrebs zu erkranken.

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Auch diese von IARC benannten Studien wurden im Prozess der Neuzulassung von Glyphosat von der Industrie bewertet und – als Teil des Industrie-Dossiers – den deutschen Behörden vorgelegt. Dieses Dossier stammte von der sogenannten Glyphosate Task Force, einem Zusammenschluss von Glyphosat-Herstellern unter Führung des US-Konzerns Monsanto.

Klar ist auch, dass die Industrie angesichts ihrer Wirtschaftsinteressen eher dazu neigt, Studien, die das eigene Produkt als gefährlich erscheinen lassen, möglichst zu entkräften. So auch in diesem Fall der – später von IARC hervorgehobenen – Untersuchungen an Landwirten: Die Studie aus Kanada hatten die Industrieautoren nur eher nebenbei erwähnt, und die beiden anderen als so mängelbehaftet bewertet, dass das Ergebnis unbrauchbar sei („not reliable“). So geschah es auch mit der US-Studie von 2003 sowie jener aus Skandinavien.

Von wem die Einschätzung stammt, ist selbst für Experten nicht erkennbar

Werden kritische Studien von der Industrie als unbrauchbar bezeichnet, dann wäre eigentlich zu erwarten, dass die Behörden diese Einschätzungen besonders gründlich prüfen. Doch das ist offenbar nicht geschehen. Eben diese Bewertungen der Industrie werden im Bericht der Behörde nahezu wortwörtlich wiedergegeben. Eigene Bewertungen, die von der Behörde selbst stammen, sucht man vergebens.

Noch schlimmer: Wer diese Abschnitte liest, gewinnt den Eindruck, er habe es mit dem Urteil der Behörde selbst zu tun. Wie missverständlich die Darstellung ist, zeigt eine Expertenanhörung im September 2015 vor dem Landwirtschaftsausschuss des Bundestages. Dort hatte der Epidemiologe Eberhard Greiser, ehedem Leiter des seinerzeit größten epidemiologischen Forschungsinstituts in Deutschland, dem BfR „wissenschaftliche Fälschung“ vorgeworfen. Grund: Die im Behördenbericht angeführten angeblichen Mängel der Studien existierten aus Greisers Sicht gar nicht. Seine schriftliche Ausarbeitung für den Ausschuss, die bis heute auf der Website des Bundestages steht, zitierte dabei die Passagen, die wortwörtlich aus dem Dossier der Industrie stammen. Auch Greiser hatte für ein Behördenurteil gehalten, was in Wirklichkeit Industriemeinung war. Dabei hätte eigentlich deutlich gekennzeichnet sein müssen, von wem die Einschätzungen stammten.

Warum dies hier nicht geschehen ist, dazu äußerte sich die Behörde auf Anfrage zunächst nicht. In einer Stellungnahme vom Freitag hieß es, das BfR habe alle relevanten und verfügbaren Studien sorgfältig und detailliert in eigener Verantwortung geprüft und bewertet.

Die EU muss bis Jahresende darüber entscheiden, ob Glyphosat weiter eingesetzt werden darf. Eine entsprechende Abstimmung der EU-Staaten ist für Dezember geplant. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht sich für den weiteren Einsatz stark.