CETA: Vorläufige Anwendung untergräbt die Demokratie

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Obwohl der Bundestag und die meisten anderen nationalen Parlamente in der EU noch nicht über CETA abgestimmt haben, tritt das umstrittene Freihandelsabkommen morgen großteils in Kraft. Aber endgültig ist das noch lange nicht. (Foto: CETA-Demo am 20. September vor dem österreichischen Parlament. © mitja_kobal-Greenpeace)

Ist alles vorbei? Hat sich die EU-Kommission beim kanadisch-europäischen Handelsvertrag CETA durchgesetzt? Vielen, die heute morgen den „Südkurier“ lasen, muss das so vorgekommen sein. Denn dessen Berichterstattung klang ganz danach, als sei jetzt alles unter Dach und Fach. Doch die „Südkurier“-Redaktion irrt (um es freundlich zu formulieren): CETA wird erst dann endgültig Realität, wenn die Parlamente aller EU-Mitgliedsstaaten zugestimmt haben. Sollte auch nur ein einziges Parlament das Handelsabkommen ablehnen, ist es Makulatur. Es gibt allerlei Hinweise darauf, dass CETA an Belgien, den Niederlanden, Österreich oder dem deutschen Bundesrat scheitern könnte.

In Deutschland müssen sowohl Bundestag als auch Bundesrat grünes Licht geben. Und genau dort kann CETA noch gestoppt werden. Das belegt ein im Juli veröffentlichtesGutachten des renommierten Staatsrechtlers Prof. Martin Nettesheim. Demnach genügen 35 Enthaltungen oder Nein-Stimmen im Bundesrat, um CETA scheitern zu lassen. Wenn Bündnis 90/Die Grünen und die LINKE ihr Versprechen halten und die Landesregierungen, in denen sie beteiligt sind, sich mindestens enthalten, sind diese Stimmen erreichbar.

3,5 Millionen Unterschriften

Aber zunächst einmal treten Teile des Vertrags in Kraft. Ausgenommen sind allerdings der Investitionsschutz und die Schiedsgerichte, mit denen Konzerne Staaten verklagen könnten.

Kritik an dem Hauruckverfahren kommt vor allem jenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die europäische Öffentlichkeit mobilisiert hatten. „Mit diesem undemokratischen Durchpeitschen eines höchst umstrittenen Abkommens leisten EU-Kommission und Bundesregierung einer gefährlichen Politikverdrossenheit weiteren Vorschub“, warnt beispielsweise Attac-Handelsexperte Roland Süß. „CETA betrifft uns alle. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hierzulande lehnt es ab. Dennoch hat die EU-Kommission eine Beteiligung der Zivilgesellschaft durchgehend boykottiert und unter anderem die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA verhindert – unrechtmäßig, wie das Gericht der Europäischen Union festgestellt hat.“

Zur Erinnerung: Im Sommer 2014 hatte die EU-Kommission die Zulassung der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP und CETA verweigert – unter anderem mit der Begründung, bei den Verhandlungen handle es sich um einen internen Vorbereitungsakt, der keine Wirkung auf die Bürgerinnen und Bürger habe. Im Mai dieses Jahres gab das Gericht der Europäischen Union (EuG) der Klage hunderter europäischer Organisationen statt und urteilte, dass die Nicht-Zulassung der EBI rechtswidrig war. Die von einem breiten Bündnis, initiierte selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative (sEBI) haben mehr als 3,5 Millionen Menschen unterzeichnet.

Durch die weitere Marktöffnung wird CETA Auswirkungen auf viele Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger haben. Demokratische Gestaltungsräume werden eingeschränkt. In der Landwirtschaft werden vor allem die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen unter CETA leiden, weil sich der Preisdruck verschärfen wird. Die Agrarindustrie wird weiter wachsen, die bäuerliche Landwirtschaft aus der Region noch stärker zurückgehen.

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CETA: Ein Blankoscheck für die Multis (Demo in Frankreich).

Parlament kann CETA noch stoppen

Das sehen auch die CETA-KritikerInnen in Österreich so. CETA sei ein Angriff auf die Demokratie, die Rechte von ArbeiternehmerInnen und die Umwelt, kritisiert das Bündnis TTIP STOPPEN, das von Attac Österreich, GLOBAL 2000, der ÖBV-Via Campesina Austria, der Gewerkschaft Pro-Ge und dem entwicklungspolitischen Projekt Südwind getragen wird.

Mit dem teilweise Inkrafttreten nehme das Abkommen unmittelbar Einfluss auf den demokratischen Handlungsspielraum der EU-Mitgliedsstaaten. „Es wäre eigentlich ein demokratischer Mindeststandard, dass CETA erst nach der Ratifikation in allen  EU-Ländern in Kraft tritt“, kritisiert das Bündnis. Die Organisationen fordern das österreichische Parlament auf, CETA abzulehnen – egal ob vor oder nach der Wahl. Damit können Konzernklagerechte und CETA insgesamt noch gestoppt werden.

Die Kritik der Organisationen konzentriert sich auf vier Punkte, wie es in einer Pressemitteilung heißt:

1. Regulatorische Kooperation: Konzerne schreiben Gesetze in Zukunft selber

Die regulatorische Zusammenarbeit in CETA gibt Konzernen und Industrielobbys mehr Einfluss auf künftige Regulierungen (etwa für Umwelt- und Klimaschutz oder KonsumentInnen- und Tierschutz). Noch bevor Parlamente mit neuen Gesetzen befasst werden, haben Konzerne die Möglichkeit etwa bei der Zulassung von Chemikalien, Pestiziden und Gentechnik mitzureden. Denn zukünftig ist wichtiger , dass Gesetze und Regeln den Handel nicht einschränken. Die Regulierungshoheit der Parlamente wird so geschwächt. Das in der EU verankerte Vorsorgeprinzip, das potentiell bei Hinweisen auf Risiken für Mensch, Tier oder Umwelt wirksam werden kann, wird im gesamten Vertrag nicht einmal erwähnt.

2. Politischer Handlungsspielraum für Kommunen eingeschränkt

Mit der vorläufigen Anwendung von CETA wird auch der politische Gestaltungsspielraum von Kommunen bei der Daseinsvorsorge massiv eingeschränkt. Die enge Definition der Ausnahme von öffentlichen Dienstleistungen gilt nur für jene Bereiche, die ausschließlich vom Staat und nicht im Wettbewerb erbracht werden. Abwasserentsorgung, Abfallwirtschaft, Verkehrsdienstleistungen, Systeme der sozialen Sicherheit, sozialer Wohnbau, Gesundheit oder Energie sind somit nicht – oder nur sehr lückenhaft – von Ausnahmen erfasst. Liberalisierungen oder Privatisierungen (zum Beispiel von Krankenhäusern oder Verkehrslinien) können nur noch schwer rückgängig gemacht werden. Lokale oder ökologische AnbieterInnen können nicht mehr bevorzugt werden.

3. Industrielle Landwirtschaft auf dem Vormarsch

Die Abschaffung von Zöllen im Agrarbereich wird den Strukturwandel in der Landwirtschaft hin zu immer größeren Betrieben und industrieller Bewirtschaftung noch stärker beschleunigen. Ebenso ist eine weitere Konzentration des Saatgutmarktes zu erwarten. Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft bedeutet CETA bedeutet einen Rückschritt. Und mit einer Schwächung des Vorsorgeprinzips steigt zudem das Risiko von neuen Lebensmittelskandalen.

Weiters setzt CETA die Deregulierung der Finanzmärkte fort, die in die Finanzkrise geführt hat. Auch sind Mindestarbeitsstandards für ArbeitnehmerInnen mit CETA nicht sanktionierbar.

4. CETA-Kommission der französischen Regierung bestätigt Risiken für Gesundheit und Umwelt

Erst jüngst hatte auch die offizielle CETA-Kommission der französischen Regierung bestätigt, dass der Vertrag sowohl mit dem Pariser Abkommen unvereinbar ist als auch die Fähigkeit der Staaten bedroht, neue Vorschriften für die Bekämpfung des Klimawandels auszuarbeiten oder VerbraucherInnenschutznormen zu stärken. Außerdem würde CETA dazu führen, dass der europäische Markt für Erzeugnisse geöffnet wird, die innerhalb der EU nach dem Vorsorgeprinzip verboten sind. (Siehe dazu den Bericht von Attac Österreich.)

Kurswechsel nötig

„Aus all diesen Gründen haben Millionen Menschen, über 2.000 Gemeinden, über 6.300 Unternehmen, zehntausende Bauern und Bäuerinnen und hunderte Organisationen sowie Gewerkschaften in Europa und Kanada jahrelang gegen CETA gekämpft. 562 552 ÖsterreicherInnen haben das Volksbegehren gegen TTIP, CETA und TiSA unterzeichnet“, so TTIP STOPPEN. Das Bündnis fordert einen grundlegenden Kurswechsel in der EU-Handelspolitik, die künftig nicht Konzernprofite, sondern Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellen soll.