EuGH erlaubt Kopplung der Vergabe an Mindestlohn, CETA aber nicht.
Von Thomas Fritz
17. November 2015
In seinem heutigen Urteil hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die öffentliche Hand die Vergabe von Aufträgen unter bestimmten Bedingungen von der Zahlung eines Mindestlohns abhängig machen darf. Das geplante EU-Kanada Freihandelsabkommen CETA jedoch, das als Blaupause für TTIP gilt, schützt derartige Auflagen nicht.
Die Stadt Landau hatte 2013 die Vergabe von Postdienstleistungen europaweit ausgeschrieben. Das Unternehmen RegioPost musste sie jedoch von dem Bieterverfahren ausschließen. Dieses weigerte sich nämlich, eine nach dem rheinland-pfälzischen Tariftreue-Gesetz erforderliche schriftliche Erklärung abzugeben, die dazu verpflichtete, den vergabespezifischen Mindestlohn von €8,70 zu zahlen.
RegioPost legte daraufhin Beschwerde beim Oberlandesgericht Koblenz ein. Die Koblenzer Richter vermuteten einen möglichen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit des EU-Binnenmarkts und legten diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vor.
Der EuGH entschied nun, dass im vorliegenden Fall die Kopplung der Vergabe an die Zahlung eines Mindestlohns mit der EU-Vergaberichtlinie im Einklang stehe. Diese erlaubt es in ihrem Artikel 26 öffentlichen Aufftraggebern, unter bestimmten Voraussetzungen bei der Vergabe „zusätzliche Bedingungen“ vorzuschreiben, die auch „soziale und umweltbezogenen Aspekte“ betreffen können.
CETA: Angriff auf soziale Vergabekriterien
Sollte nun aber das CETA-Abkommen in jener Fassung in Kraft treten, die die EU-Kommission im September 2014 veröffentlichte, könnten transnationale Unternehmen das EuGH-Urteil womöglich unterlaufen.
Denn CETAs Vergabekapitel enthält keine explizite Sozialklausel, die die Bindung der Vergabe an die Einhaltung von Tarifverträgen oder die Zahlung von Mindestlöhnen schützen würde. Firmen mit Niederlassung in Kanada, seien dies kanadische, europäische, US-amerikanische oder andere, könnten mit Verweis auf CETA gegen eine Mindestlohnauflage bei der Auftragsvergabe vorgehen.
Dies jedenfalls ist die Befürchtung von Juristen. So vermisst etwa der Bremer Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano in einem Gutachten für Attac „eine klare Verankerung von Sozialstandards“ in CETAs Vergabekapitel. Dies berge die Gefahr, dass ein soziales Beschaffungskriterium „im Rahmen des CETA als Vertragsbruch gewertet werden kann“.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt eine Studie der Rechtsprofessorin Verena Madner für die Arbeiterkammer Wien. Während der CETA-Text zwar manche ökologischen Kriterien anspreche, „sucht man nach expliziten Bestimmungen zur Berücksichtigung sozialer Kriterien vergeblich“.
Für soziale Beschaffungskriterien bestehe daher „erhebliche Rechtsunsicherheit“. Im Streitfall würde ein CETA-Schiedstribunal über deren Zulässigkeit befinden. Dessen Urteil aber könnte restriktiver ausfallen als die derzeitige EU-Rechtsprechung.