CETA-Vertrag: Merkwürdige Übersetzung

Ein interessanter Beitrag aus der Süddeutschen Zeitung vom 6. Oktober 2016:

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  • Bei der Übersetzung des Ceta-Vertragstextes ins Deutsche gibt es Unstimmigkeiten – ausgerechnet in der besonders umstrittenen Passage.
  • Die Stelle suggeriert ein strengeres Auswahlverfahren für Juristen, als es nach dem Text der Originalversion vorgesehen ist.

Von Silvia Liebrich

Das Misstrauen in Teilen der Bevölkerung gegen das Freihandelsabkommen Ceta zwischen Kanada und der Europäischen Union ist ohnehin schon groß. Nun stellt sich heraus, dass es bei der Übersetzung des Vertragstextes ins Deutsche Unstimmigkeiten gibt. Ausgerechnet in der besonders umstrittenen Passage, in der es um Schiedsgerichte und die dort eingesetzten Richter geht. In Artikel 8.27 Abs. 4 heißt es in der deutschen Fassung: „Die Mitglieder des Gerichts müssen die in ihren jeweiligen Ländern zur Ausübung des Richteramts erforderlichen Qualifikationen besitzen oder Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung sein.“ Nur: Das Wort „hervorragend“ ist offenbar in der deutschen Version hinzugefügt worden, im englischen Original steht es nicht. Dort ist nur von „jurists of recognized competence“ die Rede, von „Juristen von anerkannter Kompetenz“.

Doch wie kommt der Begriff „hervorragend“ in den Text? Der Handelsexperte Manfred Spengler, dem die Abweichung aufgefallen ist, sagt dazu: „Die deutsche Version suggeriert ein strengeres Auswahlverfahren, als es nach dem Text der Originalversion vorgesehen ist.“ Spengler, früher Ministerialrat im Wirtschaftsministerium, kennt sich mit Handelsverträgen aus. Er hat für verschiedene Bundesregierungen Abkommen verhandelt, unter anderem mit der Welthandelsorganisation.

Jurist ist keine geschützte Berufsbezeichnung

„Der deutsche Text ist zwar geeignet, die Akzeptanz der kritischen deutschen Bürger möglicherweise zu erhöhen, wäre aber wegen des abweichenden Inhalts nicht durchsetzbar“, kritisiert Spengler. Auch sei der Begriff „Jurist“ im Gegensatz zu „Richter“ keine geschützte Berufsbezeichnung. Dass es sich um einen Flüchtigkeitsfehler handelt, hält er für unwahrscheinlich. Die Übersetzung von Verträgen in die Sprachen der 28 EU-Länder ist Sache der Kommission. Die räumt auf SZ-Anfrage eine vom Originaltext abweichende Übersetzung ein und liefert eine kuriose Begründung. Danach wurde die deutsche Formulierung im Ceta-Vertrag aus dem Lissabon-Vertrag über die Arbeitsweise der EU übernommen, also aus einem anderen Vertrag.

Als Begründung für die abweichende Übersetzung in Ceta dürfte diese Erläuterung wohl kaum taugen. Denn im genannten Artikel 253 im Lissabon-Vertrag geht es um die Berufung von Richtern an den Europäischen Gerichtshof, für die grundsätzlich deutlich strengere Anforderungen gelten als für Schiedsrichter im Ceta-Abkommen.

Gegner des Abkommens befürchten unwägbare Risiken im Vertragswerk mit Kanada. Zehntausende protestierten im September in deutschen Städten, auch gegen das geplante Abkommen mit den USA. Während die TTIP-Gespräche noch laufen, könnte Ceta schon bald in Kraft treten. Zuvor muss der Vertrag jedoch noch ein paar Hürden nehmen, auch die Parlamente der EU-Länder müssen zustimmen. Die EU-Kommission kündigte nun kurzfristig an, dass sie der kanadischen Seite noch ein paar rechtsverbindliche Klarstellungen zum Ceta-Vertrag vorlegen wolle. Eine Beratung im Bundeskabinett wurde deshalb am Mittwoch verschoben. Auch vom Bundesverfassungsgericht steht noch ein Urteil aus: Es entscheidet nächste Woche, ob das Abkommen aus deutscher Sicht vorläufig in Kraft treten kann.