Kanada: Wir brauchen keine Investorengerichte

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Kanada wäre durchaus bereit gewesen, auf die Schiedsgerichte bei Investor-Staat-Streitigkeiten zu verzichten. Doch die EU bestand auf der Sonderjustiz für die Konzerne. Das schreibt jedenfalls Norbert Häring in seinem Blog, aus dem wir hier zitieren.

Es gehört hierzulande nicht zum guten Ton, zu berichten, was die Ceta-blockierenden Wallonen sagen und wollen. Deshalb sei hier wiedergegeben, was der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette am 24. Oktober im Interview mit der französischen Libération über die Verhandlungsposition der Kanadier und der EU bei Ceta gesagt hat.

Die wichtigste und – wenn sie stimmt – bisher nicht bekannte Aussage des wallonischen Ministerpräsidenten Magnette gegenüber Jean Quatremer von Libération betraf die in Ceta vorgesehenen Spezialgerichte für Investoren:

„Les Canadiens sont-ils prêts à revoir ce mécanisme ? Le Canada est extrêmement vigilant sur cet aspect, car ils ont été les premières victimes de l’Alena [Accord de libre-échange nord-américain] qui instaurait un tel mécanisme. Il est donc d’accord avec nous. En réalité, c’est un débat purement interne à l’Union.“

Auf Deutsch: Die Kanadier, mit denen Magnette sehr zum Missfallen der Kommission und der hiesigen Medien die Frechheit hatte, direkt zu reden, hängen überhaupt nicht an den Spezialgerichten für Investoren, die den Wallonen (und vermutlich einer Mehrheit der europäischen Bürger) ein Dorn im Auge sind. Es sind die EU-Kommission und ihre Alliierten unter den europäischen Regierungen, die hierauf beharren.

Plausibel ist das allemal. Denn dass die Kanadier unter den Industrieländern das Hauptziel von Investorenklagen waren, lässt sich in den jährlichen Berichten der Unctad nachlesen. Hauptkläger waren US-Konzerne. Als die Europäer Ende letzten Jahres mit dem Ansinnen kamen, von den privaten Schiedsstellen auf ein gerichtsähnlich organisiertes Inverstorengerichtssystem (ICS) überzugehen, weil Sigmar Gabriel sich das im Rahmen der TTIP-Verhandlungen zur Beruhigung der Öffentlichkeit so ausgedacht hatte, machte der kanadische Unterhändler durchaus Reserven geltend. Kanada habe keine Lust so etwas verbindlich und dauerhaft zu vereinbaren, wenn unklar – und unwahrscheinlich – ist, dass die USA dem Gleichen später auch zustimmen. Man wolle nicht gegenüber US-Unternehmen in Nachteil kommen. Im O-Ton:

„The Investment Court System is a proposal that the EU is making in its negotiations with another trading partner – the US. To ask us to sing up to a proposal that we know might end up in a quite different place, if a final agreement is reached, would be a bit unfair. We do not want our investors to be in a different situation than other investors inside the EU market. We have no interest in being put at a disadvantage.”

Vermutlich übt die US-Regierung nicht unbeträchtlichen Druck auf die EU-Kommission und die Wallonie aus, die spezielle Investorengerichtsbarkeit im Vertrag mit Kanada auf jeden Fall umzusetzen. Für die USA ist das in einer wichtigen Hinsicht noch besser als ein eigener Deal mit den Europäern. Praktisch jedes international tätige US-Unternehmen hat einen Ableger in Kanada, den es dann bei Bedarf nutzen könnte, um gegen europäische Staaten zu klagen. Dafür müssten die USA, die ja offiziell gar nicht Partei in den Verhandlungen sind, keinerlei Zugeständnisse machen, und auch keine zusätzlichen Klagen von europäischen Unternehmen gegen die USA fürchten. Das Beste aus allen Welten sozusagen. (Ausführlicher hier: Europa tappt in die TTIP-Falle)

Einjährige Funkstille

Daneben ließ Magnette in der Libération noch wissen, dass er die Kommission schon vor gut einem Jahr von den sehr ernsten Bedenken der Wallonie und einem entsprechenden Beschluss des dortigen Parlaments berichtet habe. Leider habe die Kommission erst vor wenigen Tagen die Zeit gefunden, mit der Wallonie hierüber zu reden. Anfang Mai schrieb ich hier darüber, dass Wallonie und die Region Brüssel die nötige Zustimmung zu Ceta verweigern und dass die Kommission aus solchen Gründen Ceta als Abkommen in alleiniger EU-Zuständigkeit erklären will. Offenbar hat man bei Änderung des Plans entweder die Wallonie schon wieder vergessen gehabt, oder man hat sich darauf verlassen, dass sie am Ende schon umfällt, wenn alles an ihr hängt. Aber auf jeden Fall ist die derzeit hauptsächlich in den Medien kursierende Darstellung, da habe sich eine kleine Region im letzten Moment quergestellt um seine Vetomacht auszunutzen und Vorteile herauszuschlagen, Geschichtsklitterung und eine üble Unterstellung.

Und man erfährt in dem Interview auch, dass es dem wallonischen Parlament eben nicht vor allem um ein paar Euro mehr für die wallonische Landwirtschaft geht, sondern um die Verteidigung des Rechts des Staates, die Umwelt zu schützen und regulierend in die Wirtschaft einzugreifen.

Nachtrag: Internet-Leitmedium Spiegel Online stellt am Donnerstagmorgen für alle Wankenden noch einmal klar, auf welcher Seite die Guten und auf welcher die Bösen stehen, und setzt dabei auch den bewährten Röntgenblick in die Köpfe der Regierenden ein: “ Hinter Ceta stehen weiter alle 28 EU-Regierungen. Sie halten das Abkommen für das fortschrittlichste und beste, das die EU je ausgehandelt hat. Die Gemeinschaft dürfte deswegen weiter versuchen, den Widerstand der Ceta-Kritiker in Belgien zu brechen.“ Was die Wallonen eigentlich wollen? Man wisse es leider immer noch nicht genau, denn sie haben es zwar erklärt, aber: „Manch einPolitiker und Diplomat vermutet allerdings, dass hinter dem Veto noch andere Dinge stecken könnten.“

Nachtrag 27.10: Die belgische Zentralregierung und die Regionen haben sich auf Bedingungen für eine Zustimmung Belgiens zu Ceta geeinigt. Diese besagt vor allem, dass die Regelungen zum Investorenschutz nicht vorläufig angewendet werden dürfen (das war ohnehin nicht beabsichtigt), und stellt klar, dass die Parlamente kein Abkommen mit Sondergerichten für Investoren ratifizieren werden. Hier die Vereinbarung auf französisch und niederländisch.

Siehe auchKörzell: „Kanada wäre bereit, Arbeitnehmerrechte in Ceta sanktionsfähig zu machen“