Der Protest gegen Ceta, TTIP und TPP war groß. Dennoch stehen die Chancen gut, dass die EU in diesem Jahr unbehelligt Handelsabkommen von viel größerer Tragweite abschließen wird. Wie kann das sein?
Dieser Beitrag erschien am 4. Januar 2017 in der Tageszeitung „Welt“.
Von Andre Tauber
Es war das Jahr 1854, als der Westen noch meinte, den Zugang zu Japan erzwingen zu müssen. Die Insel hatte sich über Jahrhunderte hinweg abgeschottet. Bis der US-Offizier Matthew Perry mit acht Schiffen nach Tokio segelte und den Kaiser mit Druck zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA bewegte.
Und dazu, japanische Häfen für ausländische Handelsschiffe zu öffnen. Heute strebt Japan als Handelsmacht selbst Freihandelsabkommen an und verhandelt zum Beispiel mit der Europäischen Union. Militärs spielen dabei keine Rolle mehr.
Dafür aber Beamte und Politiker, allen voran die Handelskommissarin der EU. „Die Verhandlungen mit Japan sind weit fortgeschritten“, sagt Cecilia Malmström der „Welt“. „Wir sind guter Hoffnung, Anfang 2017 eine Einigung zu erzielen.“
Malmström sagt das mit einer Selbstverständlichkeit, die nach den vergangenen Monaten überrascht. Denn in Europa waren Hunderttausende auf die Straßen gegangen, um gegen die EU-Freihandelspolitik zu protestieren. Sie forderten, die Abkommen mit den USA und Kanada zu stoppen.
Verhandlung abseits der Wahrnehmung
In den Niederlanden sammeln Freihandelskritiker noch immer Unterschriften, um das EU-Kanada-Abkommen Ceta doch zu Fall zu bringen. Die EU aber führt ihre Gespräche mit Japan und anderen Staaten einfach weiter – scheinbar unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ohne öffentliche Erregung, ohne Parolen und Demonstrationen.
„Wir verhandeln abseits der Wahrnehmung“, wunderte sich bereits vor Jahren ein EU-Diplomat. Dabei ist das geplante Abkommen mit Japan viel weitreichender, als Ceta es sein wird. Japan ist die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, Kanada liegt nur auf Platz zehn. Japan und die Europäische Union stehen für ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung. Ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Partnern dürfte leicht Milliarden Euro in Bewegung setzen.
In Brüssel erklären sie sich die Ruhe damit, dass Japan im Gegensatz zu den USA nicht so recht als Feind taugt. „Es war das Misstrauen gegenüber den USA, das die Menschen auf die Straße brachte“, sagt ein EU-Diplomat. Auch das Ceta-Abkommen mit Kanada sahen viele als Türöffner für US-Interessen.
Während sich die Öffentlichkeit noch darüber erregte, trieb die EU-Kommission die Handelsgespräche mit anderen Staaten voran. Mitte Dezember stimmte das Europaparlament zu, Ecuador in ein bestehendes Freihandelsabkommen aufzunehmen. In der Woche darauf folgte der Beschluss, den Textilhandel mit Usbekistan zu stärken. In den kommenden Monaten dürfte zudem ein Abkommen mit Vietnam reif für die Ratifizierung sein.
Was macht Trump?
Dabei weiß man auch in Brüssel, dass 2016 kein gutes Jahr für den Freihandel war. „Wir haben einen Anstieg des Isolationismus, des Populismus und des Protektionismus in vielen Teilen der Welt gesehen“, sagt Handelskommissarin Malmström. Noch immer ist unklar, was von den USA zu erwarten ist, wenn Donald Trump demnächst das Präsidentenamt antritt.
Im Wahlkampf hatte er sich mehrfach und deutlich gegen Freihandelsabkommen ausgesprochen. Die Gespräche über das Abkommen TTIP gelten daher als gescheitert. Auch die Transpazifische Partnerschaft TPP, die zwölf Staaten umfassen soll, wird vorerst wohl eine Idee bleiben.
Doch Malmström gibt sich entschlossen, das erwartete Desinteresse der USA am Welthandel zu nutzen – für Europa. „Wir führen mit allen bis auf zwei an TPP beteiligten Staaten Handelsgespräche, die sich in verschiedenen Stadien befinden. Insgesamt verhandeln wir mit 20 Staaten“, sagt Malmström. „Ich würde deswegen sagen, dass wir in der Lage sind, die Lücke zu füllen, die TPP hinterlässt.“
Mit Vietnam und Singapur hat die EU schon Abkommen ausgehandelt. Mit Neuseeland und Australien dürften in den nächsten Monaten Gespräche beginnen. Außerdem sitzt Europa mit Mexiko und den Anden-Staaten am Verhandlungstisch, mit den Philippinen, Indonesien, Malaysia und Thailand.
Bessere Bedingungen für europäische Unternehmen
Die Unterhändler aus Brüssel sind derzeit sehr gefragt. „Seitdem das transpazifische Abkommen immer weniger realistisch wird, können sich die Japaner entschlossener in den Verhandlungen einbringen“, sagt Malmström.
Der europäischen Industrie kann das nur recht sein. Sie spricht sich schon länger für ein Handelsabkommen aus. Während Japan vor allem die Autozölle abschaffen möchte, hoffen europäische Unternehmen darauf, sich künftig an öffentlichen Ausschreibungen in Japan beteiligen zu können, etwa für Züge. Auch seinen Lebensmittelmarkt soll Japan weiter öffnen.
„Wenn die Umsetzung der Transpazifischen Partnerschaft an den USA scheitert, könnte für Japan der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der EU an Bedeutung gewinnen“, sagt Stefan Mair, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverband der Deutschen Industrie. Er mahnt gleichwohl, keinen „Abschluss um jeden Preis“ zu suchen. „Substanz geht vor Tempo.“
Der europäische Industrieverband BusinessEurope applaudiert der EU: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir bessere Bedingungen für europäische Unternehmen, insbesondere Firmen kleiner und mittlerer Größe, aushandeln, damit sie vom Handel und Investitionsmöglichkeiten in Asien profitieren“, sagt Generaldirektor Markus Beyrer. „Das meiste Wachstum wird in den kommenden Jahren aus dieser Region kommen.“
Tatsächlich sind die bisherigen Erfahrungen mit Asien gut, zumindest aus Brüsseler Sicht. Seit fünf Jahren ist ein Freihandelsabkommen der EU mit Südkorea in Kraft. Die Sorge der Industrie, Europa könnte dabei zu kurz kommen, erwies sich in diesem und anderen Fällen als unbegründet. Die europäischen Exporte dorthin nahmen laut Kommission in fünf Jahren um 55 Prozent zu. Europa erwirtschaftet im Handel mit Südkorea einen Überschuss.
Befürworter der europäischen Freihandelspolitik, wie der Europaabgeordnete Daniel Caspary (CDU), sind deshalb zuversichtlich, dass mit den Erfolgen die Zustimmung wieder wächst. Caspary hat in den vergangenen Monaten viele Anfeindungen erlebt. Er wurde oft gefragt, wie er als Familienvater nur Ceta und TTIP unterstützen könne.
Nun sieht er die Früchte mühsamer Überzeugungsarbeit reifen. „Das Lügengebilde der Freihandelsgegner bricht in sich zusammen“, sagt Caspary. „Die Menschen beginnen zu verstehen, dass die EU-Handelspolitik Wachstum und Arbeitsplätze schafft und nicht Standards absenkt.“
Freihandelsgegner verhalten sich noch ruhig
Das ist bisher eine Hoffnung, nicht viel mehr. Denn die Details des Abkommens mit Japan sind unter Verschluss – also auch die Frage, ob die umstrittenen Investoren-Schiedsgerichte Teil des Abkommens sind. Sven Giegold, Grünen-Finanzexperte im Europaparlament, kündigt eine kritische Prüfung an. „Wir werden den Vertragstext an denselben demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben prüfen wie auch die anderen Handelsverträge“, sagt er.
Es gehe um die Frage, wie die kommende Generation von Handelsabkommen aussehe. Die Abgeordneten der nationalen Parlamente in den EU-Mitgliedstaaten warten derweil gespannt auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Der wird demnächst wohl in einem Musterverfahren die Rolle der nationalen Parlamente bei der Ratifizierung von Handelsabkommen stärken.
Die Organisatoren der Massenproteste der vergangenen Monate verhalten sich noch ruhig. „Wir sehen das geplante Abkommen mit Japan sehr kritisch“, heißt es bei Greenpeace zwar, man kritisiert vor allem die geplanten Regeln zur Investoren-Schiedsgerichtsbarkeit. Doch welche Protestaktionen geplant sind, ist noch Geheimsache. Man gehe auch weiter von einer hohen Mobilisierung aus, heißt es nur.