EU-Handelspolitik: Einhegung der Demokratie

Handelskommissarin-Malmström-beim-EU-Japan-Gipfel-in-Tokio-2015

Ob bei TTIP, CETA oder JEFTA: Seit Jahren mahnen wir, dass die Verantwortlichen in der EU-Handelspolitik zu einseitig die Interessen von Konzernlobbyisten berücksichtigen. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und ihr Team greifen dabei immer wieder zentrale Punkte der Konzernwünsche auf. So taucht neben den umstrittenen Schiedsgerichten, die de facto eine Paralleljustiz für Großkonzerne bedeuten, auch die bislang wenig beachtete regulatorische Kooperation immer wieder in den EU-Abkommen auf.

Dabei hat dieses Lobbyvehikel es besonders in sich. Dann dadurch sollen Konzernlobbyisten frühzeitig und noch vor den Parlamenten Einblick in Gesetzesvorhaben bekommen und auf diese einwirken können, etwa durch einen „Regulierungsrat“, Stakeholder-Konsultationen oder Folgeabschätzungsberichte. Das heißt: Neben einer Schattenjustiz durch Schiedsgerichte droht auch ein Schattenparlament durch die regulatorische Kooperation.

Globale Forderung der BusinessCommunity: Wir wollen Gesetze mitschreiben!

Jubel und Beifall bekommt Malmström dafür von Wirtschaftsverbänden weltweit. Ob vom Bundesverband der Deutschen Industrie, dem größten europäischen Arbeitgeberverband BusinessEurope, der US-Handelskammer oder eben dem japanischen Wirtschaftsverband KEIDANREN. Schließlich ist die regulatorische Kooperation für sie extrem wichtig. Wenn es nach dem Willen der Verbände geht, dann sollen sie künftig über diesen Mechanismus an Gesetzen mitschreiben, die sie selbst betreffen.

Unter Konzernlobbyisten begreift man das als Einladung

Dass Lobbyisten versuchen, Gesetze frühzeitig zu beeinflussen, ist zwar nichts Neues. Doch die regulatorische Kooperation würde dies über den Umweg internationaler Handelsabkommen institutionell festschreiben und zementieren. Aus Demokratiesicht ist das hochproblematisch – und spiegelt das enge Verhältnis zwischen EU-Kommission und Konzernlobbyisten eindrucksvoll wider.

Entscheidung den Parlamenten und der Öffentlichkeit entziehen

Regulatorische Kooperation geht aber noch einen Schritt weiter. Während sie die VertreterInnen internationaler Unternehmen einlädt, sich am Gesetzgebungsprozess zu beteiligen, lädt sie andere aus. Denn gesellschaftspolitisch zentrale Entscheidungen wie die Zulassung von Pestiziden, Datenschutzregeln und vieles mehr werden in internationale Expertengremien verlagert, die von KonzernlobbyistInnen beraten werden. Dies schwächt die Demokratie und unterbindet öffentliche Debatten. Wenn wichtige Gesetzesinitiativen in Zukunft abgeschwächt oder unterbunden werden, bevor sie öffentlich diskutiert wurden, dann werden hier demokratische Handlungsspielräume beschnitten, dann wird hier die Demokratie zugunsten der Handelsinteressen von Konzernen eingehegt. Das gilt erst recht für die europäische Gesetzgebung, die in den Mitgliedstaaten ohnehin wenig Öffentlichkeit erlangt.

Gegen das Primat der Politik, für das Primat des Handels

Doch es geht nicht nur um die Verlagerung von politischen Entscheidungen in undurchsichtige Expertengremien. Es geht auch darum, wer in diesen Gremien am Tisch sitzt. Zur Einordnung: Bei den aktuellen Handelsabkommen geht es zum Großteil gar nicht mehr um Handel oder die Frage nach Zöllen. Stattdessen geht es um Investorenschutz sowie die Beseitigung von zollunabhängigen Handelshemmnissen, also die Harmonisierung von technischen Stadnards sowie Verbraucherschutz- oder Umweltgesetzen. De facto bedeutet dies allerdings häufig eine Aufweichung des Verbraucher- oder Umweltschutzes.

Es wäre insofern konsequent, wenn bei Handelsabkommen in Zukunft VertreterInnen der betroffenen Ministerien auch mit am Tisch säßen. Doch das ist nicht der Fall. Bei Handelsabkommen verhandeln weiterhin allein die Bürokraten der Handelsministerien. Das untergräbt das Primat einer Politik im Interesse des Bürgers – es stärkt gleichzeitig die Bedeutung von Handel für Regulierungen und Standards – ein weiteres Indiz dafür, dass Standards über regulatorische Kooperation sinken könnten.

Exkurs: Machtkampf innerhalb der Kommission

Warum sind es überhaupt die Handelsministerien, die regulatorische Kooperation koordinieren sollen? Hier müssten doch mindestens weitere Ressorts, wie die Generaldirektion Umwelt mitreden. Handelskommissarin Malmström und ihr Team versuchen offensichtlich, ihren Einfluss innerhalb der Kommission auszubauen. Dagegen sollten die anderen Ressorts vorgehen.

Kleine und mittlere Unternehmen verlieren an Einfluss

Doch es gibt noch weitere Verlierer bei regulatorischer Kooperation. Kleine und mittlere Unternehmen etwa werden kaum die Lobbykapazitäten aufbringen können, um sich in die neu geschaffenen Gremien einzubringen. Und hier geht es nicht nur um die exportorientierten Betriebe, sondern die Mehrzahl der wirklich kleinen Unternehmen und Mittelständler, deren Interessen nicht berücksichtigt werden, obwohl der ihnen gesetzte Regulierungsrahmen durchaus eine große Rolle spielt.

Internationale Konzerne sind Hauptnutznießer

Ähnliches gilt für Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen und die Gewerkschaften. Die großen Gewinner sind Lobbyisten international agierender Konzerne, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um ihren Einfluss geltend zu machen – also diejenigen, die diesen neuen Einflusskanal auch eingebracht haben. Regulatorische Kooperation verfestigt also die schon bestehenden Machtungleichgewichte beim Lobbying in Brüssel.

Und die sind gewaltig. So beschäftigt allein die Finanzindustrie rund 1700 Lobbyisten in Brüssel. Das sind vier für jeden EU-Beamten, der mit diesen Themen beschäftigt ist. Das lassen sich die Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter rund 120 Millionen Euro pro Jahr kosten. Zum Vergleich: Das ist 30 mal so viel, wie allen Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltorganisationen gemeinsam für ihre Lobbyarbeit zu diesem Thema in Brüssel zur Verfügung steht, wie eine Studie unserer Partnerorganisation Corporate Europe Oberservatory herausgefunden hat.

Wenn also Handelskommissarin Malmström sagt, regulatorische Kooperation sei die Zukunft der EU-Handelspolitik, dann sollte die EU-Handelspolitik keine Zukunft haben. Denn sie hegt unsere demokratischen Handlungsspielräume auf vielfältige Weise ein und stärkt den Lobbyeinfluss von Konzernen. Schon jetzt sind die finanziellen und politischen Spielräume von demokratischen Regierungen sehr begrenzt. Die regulatorische Kooperation engt sie noch weiter ein.

 

Unterzeichnen Sie hier für einen Kurswechsel in der EU-Handelspolitik.

Autor des Beitrags: Max Banks, Lobbycontrol.