Zur Zeit trifft sich die Crème de la Crème aus Wirtschaft und Politik zum 48. Mal im schweizerischen Davos um die Lage der Welt zu beraten. Dabei spielen auch handelspolitische Fragen eine Rolle. Das Webmagazin EurActiv sprach mit Jürgen Maier.
Interview: Steffen Stierle
Jürgen Maier ist Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung, einer in Berlin ansässigen Nichtregierungsorganisation, die sich für mehr Zusammenarbeit von Entwicklungs- und Umweltorganisationen einsetzt, um für nachhaltige Entwicklungskonzepte einzutreten.
EURACTIV: Herr Maier, ist es in Ordnung, dass sich eine so prominente Gruppe von Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Finanzwelt in Davos trifft, oder ergibt sich hier eine so große Machtkonzentration, dass es demokratische Legitimation bräuchte?
Jürgen Maier: Natürlich braucht niemand eine staatliche Genehmigung, um sich mit anderen zu treffen. Das gilt auch für Wirtschaftsführer. Auf der anderen Seite wird ein riesiger Popanz veranstaltet und die Veranstalter erheben quasi den Anspruch, eine informelle Weltregierung zu sein. Das ist in der Tat mit der Demokratie nicht kompatibel. Wenn die Reichen und Mächtigen mit dem Anspruch zusammenkommen, die Globalisierung zu gestalten, ist das ein Affront gegen alle Demokraten. Regierungsvertretern, die am Weltwirtschaftsforum teilnehmen, muss klar sein, dass dort keine verbindlichen Absprachen getroffen werden dürfen. Der Dialog über die Gestaltung der Globalisierung gehört in die Gesellschaft, nicht in einen elitären Club in den Bergen.
Haben Sie dennoch irgendwelche Erwartungen an das diesjährige Forum?
Das Problem ist, dass die die öffentlichen Verlautbarungen des Forums in immer größerem Widerspruch zu dem stehen, was seine Teilnehmer real machen. Seit drei, vier Jahren wird groß verkündet, die Globalisierung anders gestalten zu wollen: dass man den Mittelstand stärken müsse, dass die Globalisierung mehr Gewinner brauche, dass die soziale Gerechtigkeit nicht aus den Augen verloren werden dürfe und so weiter. Dann fliegen sie nachhause und machen genauso weiter wie bisher – bis ein Jahr später der nächste Oxfam-Bericht kommt und feststellt, dass die Reichen wieder reicher und die Armen wieder ärmer geworden sind. Entsprechend niedrig sind meine Erwartungen.
Ihr Hauptaugenmerk gilt der Handelspolitik. Der Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums warnt vor einer neuen Welle des Protektionismus. Teilen Sie diese Sorge? Ist Freihandel die richtige Antwort auf die gegenwärtigen Probleme der Welt?
Ich teile diese Sorge nicht. Die Politik der radikalen Marktöffnung, wie sie die EU mit ihrer handelspolitischen Agenda vorantreibt, ist der falsche Ansatz. Vielmehr müssten wir einige Märkte de-globalisieren und regionalisieren. Das gilt vor allem für die Agrarmärkte. Sie können das meinetwegen Protektionismus nennen. Der entscheidende Punkt ist, dass die gegenwärtige Form der Globalisierung – eine Globalisierung, die die Märkte immer weiter öffnet und immer mehr Verlierer produziert – zwangsläufig in die Krise gerät. Das erleben wir derzeit.
In einem aktuellen Beitrag begrüßen Sie, dass die globale Handelspolitik weder bi- noch multinational vorankommt. Wie ist das zu verstehen?
Es ist besser, wenn die EU-Handelsagenda nicht vorankommt. Wir brauchen weder eine weitere Marktöffnung bei Dienstleistungen noch bei Agrarprodukten, weil diese Art der Globalisierung auf Kosten der schwächeren Länder geht. Wenn diese Agenda in der Krise ist, dann ist das gut.
Ihre Kritik gilt also vor allem der EU-Handelspolitik. Wie sollte diese verändert werden, damit soziale und ökologische Aspekte besser berücksichtigt werden können?
Man muss Handelspolitik und Binnenwirtschaftspolitik zusammen betrachten. Beispiel Agrarsektor: Seit Jahrzehnten wird die EU-Landwirtschaft mehr und mehr industrialisiert. Die Betriebe werden immer größer. Von diesen Großbetrieben geht ein enormer Preisdruck aus. Aufgrund der Marktöffnungspolitik drängen sie immer stärker auch auf ausländische Märkte und machen dort die kleinen, lokalen Anbieter kaputt. Wir müssten hier de-globalisieren, statt systematisch eine Überproduktion, beispielsweise von Milch oder Hühnerfleisch, zu fördern, mit der dann die afrikanischen Märkte geflutet werden. Apropos Hühnchen: Die Massentierhaltung ist ohnehin gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert. Wir müssen sie dringend zurückfahren. Dann ginge der Exportdruck automatisch zurück.
Ein anderes Beispiel ist der Dienstleistungssektor. Wir haben in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren gezielt einen enormen Niedriglohnsektor aufgebaut. Die Dienstleistungsunternehmen, die aufgrund dieser Lohnpolitik global enorm wettbewerbsfähig sind, drängen aggressiv auf ausländische Märkte. Wir brauchen keine Handelspolitik, die es beispielsweise der DHL ermöglicht, auch in Malaysia Pakete zu verteilen. Die Welt ist überglobalisiert. Das letzte was wir brauchen, sind noch weitere Marktöffnungen.
Sie haben es bereits angesprochen: die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Auch der Global Risk Report problematisiert die wachsenden Wohlstandsunterschieden. Was sollte die EU tun, um diesem Problem zu begegnen? Was kann die Handelspolitik beitragen?
Nun, Sie sprechen einen Trend an, den das Weltwirtschaftsforum seit Jahren konstatiert. Wenn man diesen Trend umkehren will, muss man die Reichen deutlich stärker besteuern und die Armen entlasten. Das ist die Hauptaufgabe. Dazu gehört, dass die Steueroasen endlich geschlossen werden. Die Finanzmärkte weiter liberalisieren – das ist genau das, was jene brauchen, die ihre Einkommen verschleiern wollen, um die Steuerlast zu minimieren.
Die EU-Handelspolitik trägt also wenig dazu bei, der sozialen Ungleichheit zu begegnen. Die WTO kommt auch nicht voran. Wo gäbe es denn auf internationaler Ebene einen geeigneten Politikrahmen, um die Probleme anzupacken?
Derzeit gibt es keinen geeigneten internationalen Rahmen. Auch die Vereinten Nationen sind das nicht. In keinem der internationalen Foren gibt es ansatzweise einen Konsens darüber, was zu tun ist. Ob man dann Vereinte Nationen oder WTO drüber schreibt, macht keinen großen Unterschied. Entscheidender ist, mit welchen politischen Zielen die Staaten in die internationalen Gremien gehen.
Es hilft also nichts, nur auf die globale Ebene zu schauen. Die EU-Handelsstrategie, wie sie beispielsweise im Global Europe-Papier von 2006 oder dem Trade for all-Ansatz von 2016 nachzulesen ist, muss geändert werden, damit andere Ergebnisse erzeugt werden und nicht Jahr für Jahr aufs Neue beklagt wird, dass die Schere zwischen arm und reich wieder weiter aufgegangen ist. Es braucht andere politische Inhalte: der Niedriglohnsektor muss zurückgedrängt werden, Regelarbeitsverhältnisse müssen gestärkt werden, der Mittelstand muss besser vor der drückenden Konkurrenz multinationaler Konzerne geschützt werden und es braucht mehr Steuergerechtigkeit.
Wir müssen also die EU-Handelspolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Bloß, wie machen wir das? Wir hatten in den letzten Jahren eine beeindruckende freihandelskritische Bewegung. Viel gebracht hat das aber nicht.
Dafür braucht man einen langen Atem. Für die Forderungen der freihandelskritischen Bewegung, gibt es breite Mehrheiten in der Gesellschaft: seien es höhere Steuern für die Reichen oder ein Ende der Niedriglohnpolitik oder eine Agrarwende, kurzum: für ein Ende des Neoliberalismus. Das ist ein Erfolg. In der politischen Klasse sieht es jedoch ganz anders aus. Diese Diskrepanz zwischen Gesellschaft und Politik ist gegenwärtig das Hauptproblem der westlichen Demokratien. Das zu ändern ist eine große Aufgabe, die nicht von heute auf morgen gelingen kann. Aber wir arbeiten weiter daran.