Guter Freihandel, böser Protektionismus? Blödsinn!

Der Streit um Trumps Zölle ist schräg. Freie Märkte sind nicht per se gut – und nicht jeder, der vor den negativen Folgen der Globalisierung warnt, ist ein Protektionist. Ein Kommentar von Petra Pinzler in der Wochenzeitung Zeit.

Sind Sie Trumpianer oder Freihändler? Wann immer in diesen Tagen über Handelspolitik oder Zölle diskutiert wird, scheint es auf diese beiden Alternativen hinauszulaufen. Auf der einen Seite steht der amerikanische Präsident mit seinen Anhängern, den Protektionisten und den Globalisierungsverlierern – die die USA durch neue Zölle abschotten wollen. Und auf der anderen Seite die Kämpfer für den freien Weltmarkt, die EU-Kommission, die Bundesregierung und die meisten Groko-Politiker. Und die mahnen immer lauter und gern mit erhobenem Zeigefinger: Da sieht man, was passiert, wenn man gegen den Freihandel, den Markt und TTIP demonstriert. Dann kriegt man Trump.

Was für ein Blödsinn.

Falsch ist diese Schlussfolgerung gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens würde man jemanden wie Donald Trump wohl kaum durch noch mehr Freihandel verhindern oder besänftigen können. Denn der Wegfall aller Zölle und vieler weiterer Handelshemmnisse (und darum wäre es bei TTIP gegangen) würde den Wettbewerbsdruck auf die amerikanischen Hersteller nur noch weiter steigern – Trump hätte TTIP wahrscheinlich längst gekündigt. Falsch ist zweitens auch die völlig absurde Schwarz-Weiß-Malerei der Welt – die unterstellt, dass es nur „guten“ Freihandel oder „schlechten“ Protektionismus gibt. Und nichts dazwischen.

Die Welt ist bunt und verschieden. Deswegen kann die Öffnung von Märkten und der Abbau von Zöllen sehr wohl sinnvoll sein. Viele Länder sind dadurch sehr reich geworden und Deutschland ganz besonders. Aber genauso ergibt es Sinn, Menschen und Umwelt vor den negativen Folgen der Globalisierung zu schützen. Vor Importen, die nur billiger sind, weil bei ihrer Herstellung in anderen Ländern die Flüsse, die Erde oder die Luft verpestet werden. Oder weil die Leute zu Hungerlöhnen schuften. Ein amerikanischer Arbeiter, der dagegen protestiert, dass sein Job an einen ausgebeuteten Billigkonkurrenten in China geht, ist kein Protektionist. Er hat ein reales Problem, bei dem ihm seine Regierung helfen muss.

Die Globalisierung zähmen

Die Anwälte der hemmungslosen Globalisierung sagen dazu, nur ein kleiner Teil der Jobs falle aus solchen Gründen weg, viel gewaltiger seien beispielsweise die Folgen der Digitalisierung. Und selbst wenn der Freihandel mal schuld an einem Firmenbankrott sei, dann müsse die Regierung die Arbeitslosen eben für andere Jobs qualifizieren.

Das stimmt. Natürlich wäre es besser, Trump würde nicht die Steuern für die Reichen senken, sondern in die Weiterbildung der Armen investieren. Nur: Selbst wenn er es täte, würde das das Unwohlsein, das viele Menschen mit der Globalisierung haben, nicht komplett ausräumen. Und eine Lösung für die Umweltfolgen des globalen Handels wäre es auch nicht.

Wenn sich aus dem Streit zwischen Trump und dem Rest der Welt überhaupt eine Lehre ziehen lässt, dann ist es doch die: Es muss einen Weg geben zwischen der brutalen Liberalisierung aller Märkte und der einseitigen, egoistischen Abschottung. Viel zu lange haben Politiker das vergessen und darauf verzichtet, die Globalisierung zu zähmen und die Handelspolitik zu humanisieren. Viel zu lange haben sie versäumt, über klugen Protektionismus nachzudenken, über den klugen Schutz ihrer Bürger und deren Welt.

Trumps Alleingänge, seine einseitigen, sprunghaften Ankündigungen von Strafmaßnahmen gegen alle möglichen Länder und Produzenten, sind sicher nicht die richtige Politik. Aber ebenso falsch ist es, wenn europäische Politiker jetzt predigen, dass die Handelspolitik vor Trump doch die richtige gewesen sei. Dass man nur weitermachen müsse wie eh und je – damit noch mehr Fleischberge noch weiter um die Welt schippern. Damit die Investoren noch mehr Rechte gegenüber den Regierungen bekommen.

Europa hätte jetzt die Chance, das zu ändern. Denn auch viele andere Regierungen wollen faire Handelsregeln und gute Abkommen. Damit die EU-Kommission mit ihnen aber darüber verhandelt und nicht mit ihrem „Weiter so wie vorher“ durchkommt, müssten die kritischen Europäer aufwachen. Also all die, die noch vor einem Jahr im ganzen Land über TTIP und die Handelspolitik diskutiert haben.

Das heißt: Alle, die nicht entweder Trumpianer oder Freihändler sein wollen, müssten sich aus der Schockstarre lösen, in die der europäisch-amerikanische Konflikt sie offensichtlich gestürzt hat. Sie müssten erneut für eine sozialere und umweltfreundlichere Handelspolitik streiten. Müssten nachfragen, warum nie etwas aus den verbindlichen Regeln zum Schutz von Arbeitnehmern geworden ist, die die Bundesregierung und die EU-Kommission eigentlich beim europäisch-kanadischen Abkommen CETA nachverhandelt wollten – als Modell für andere Verträge. Und würden so die Politiker an ihren alten Versprechen messen.

Das würde die Welt ein ganz klein bisschen besser machen – und bunter.


Von Petra Pinsler ist erschienen: „Der UnFreihandel. Die heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien“. Rowohlt-Verlag.