Landgrabbing: Fragen Sie Ihre Bank!

Agrarkonzerne rauben KleinbäuerInnen Land, um darauf Soja, Mais & Co. anzubauen. Auch wir im reichen Norden sind am Landraub beteiligt, oft ohne es zu wissen. Das schildert ein Artikel in der neuesten Ausgabe von Schrot & Korn.

Von Rebecca Sandbichler

Als Marta Fendela de la Silva (Name geändert) eines Tages von ihrer Arbeit auf dem Feld nach Hause kam, stand ihr Haus nicht mehr. Die Sicherheitsleute des brasilianischen Agrarkonzerns Damha Agropecuária hatten davon nicht viel übrig gelassen. „Damha behauptete, ich würde illegal ihr Grundstück besetzen“, erklärt die ehemalige Hausbesitzerin. Ein haltloser Vorwurf, sagt die Aktivistin Nina Bünger, denn die Gemeinde, der Marta Fendela angehört, bewohnt das Gebiet schon seit Generationen. Nina Bünger hat die Brasilianerin getroffen, als sie für die Menschenrechtsorganisation FIAN im vergangenen Herbst durch die nordöstliche Region Matopiba reiste. „Wir waren mit 30 internationalen Kollegen dort, um zu beweisen, dass große Landübernahmen in der Gegend massiv die Menschenrechte verletzen.“

Schmutzige Geschäfte

Landgrabbing – so nannte es im Jahr 2008 die Organisation GRAIN erstmals, wenn große Landflächen durch einzelne Investoren aufgekauft oder geraubt werden. Dafür werden häufig traditionelle Landrechte übergangen oder für ungültig erklärt. Eine Studie der Organisation zeigte einen globalen Trend: Laut internationalen Statistiken sollen seit der Jahrtausendwende bis zu 40 Millionen Hektar Ackerland oder Wald an einzelne Käufer gegangen sein. Das ist so viel, als würde man Deutschland und die Schweiz auf einmal verhökern. Weltweit bleiben dabei insbesondere Kleinbauern auf der Strecke. „Sie nutzen ihre Felder oft schon seit Generationen, können aber selten offizielle Dokumente dafür vorweisen“, erklärt der deutsche Völkerrechtsexperte Jochen von Bernstorff (siehe Interview unten). „Darum haben sie kaum Ansprüche, wenn dieses Land plötzlich vom Staat an einen Investor verpachtet oder verkauft wird.“

Auch in Brasilien machen sich Agrarfirmen die undurchsichtigen Verhältnisse zu Nutze – sie behaupten einfach, die Flächen seien schon längst ihre. Sogenannte „grileiros“ helfen ihnen dabei, erklärt Nina Bünger. „Diese Landräuber fälschen Landtitel, postieren Sicherheitsmänner und machen Häuser platt. Korrupte Behörden helfen bei diesem Prozess und die Agrarfirmen kaufen später ganz „legal“ das  Land.“ Zudem würden sich die Firmen ungerodete Gebiete sichern, welche sie ohne externe Kontrolle in einem digitalen Umweltregister als ihr Eigentum registrieren lassen.  „Auf dem Papier sieht dann alles korrekt aus“, sagt Bünger. „Dass dieses Land gestohlen wurde, kann man oft nur noch mit Zeugenaussagen nachvollziehen.“

Die Savanne brennt für Steaks auf unseren Tellern

Gerade wird Brasiliens ökologisch wertvolles Savannengebiet, der Cerrado, rasend schnell für den Weltmarkt geöffnet. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich bisher kaum bewirtschaftetes Land schon zur Hälfte in Monokulturen verwandelt. Von den dort angebauten Sojabohnen importieren auch die Deutschen jährlich etwa vier Millionen Tonnen: Weil die hochgezüchteten Milchkühe, Mastschweine und Puten nur mit Sojaschrot die gewünschte Leistung erzielen. Für den Fleischkonsum jedes einzelnen Bürgers in Deutschland werden in Brasilien etwa 300 Quadratmeter Land bewirtschaftet, so eine Statistik des WWF. „Angebot und Nachfrage befeuern sich hier gegenseitig“, sagt dessen Agrarreferentin Birgit Wilhelm. „Wer in Europa auf dem Sofa sitzt und jeden Tag ein Schweinenackensteak essen will, der muss sich seiner Verantwortung bewusst sein.“

Doch die Kunden an der Fleischtheke sind gedanklich weit von dem entfernt, was FIAN-Aktivistin Bünger auf einer Fahrt durch die ehemalige Savanne in ihr Reisetagebuch notiert hat: „Ich sehe zum ersten Mal die abgeernteten Soja-Felder und bin schockiert: soweit das Auge reicht, nur gelbes Nichts.“ Solche Monokulturen entziehen den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vor Ort die Lebensgrundlage, erklärt die studierte Juristin. Sie haben keinen Zugang mehr zu den Feldern, von denen sie sich ernährt haben. In einigen Gemeinschaften waren Kinder wie Erwachsene schon deutlich mangelernährt. Sauberes Trinkwasser wird ebenso knapp: „Die Soja-Monokulturen vergiften in der Regenzeit die Flüsse mit Pestiziden und durch die Abholzung kommt es zu verstärkter Erosion. Die Flüsse verschlammen, der Grundwasserlevel sinkt und manche Wasserquellen trocknen gleich ganz aus“, sagt Bünger.

Währenddessen wird die Umgebung von den Behörden regelrecht abgewickelt: „Krankenhäuser und Schulen schließen, es gibt in vielen Gebieten keinen Strom“, schildert sie die Lebensbedingungen. „Die verantwortliche Regierung legt die Hände in den Schoß. Die Menschen sollen das Land wohl freiwillig verlassen, um Platz für die Investoren zu machen.“ Tun sie es nicht, kann das mitunter tödlich enden. Immerhin 62 Bauern seien im Jahr 2016 in Landkonflikten ermordet worden, sagt die katholische Organisation Comissão Pastoral da Terra, die sich für eine soziale und ökologische Landreform in Brasilien einsetzt.

Andernorts sind die Agrarspekulanten noch umtriebiger. Laut einer Studie des „Land Matrix Observatory“ im Jahr 2016 war der afrikanische Kontinent mit 42 Prozent aller registrierten Großprojekte das beliebteste Shopping-Paradies für internationale Geldgeber. In vielen afrikanischen Staaten wurden klammheimlich haarsträubende Pachtverträge abgesegnet, sagt der Völkerrechtsexperte Jochen von Bernstorff: „In einigen Dokumenten, die bisher öffentlich wurden, haben sich die Investoren bis zu 99-jährige Laufzeiten gesichert.“ Oft beträgt die Pacht nur einen Dollar pro Hektar, weil Unternehmen versprechen, dafür Straßen oder Häfen zu bauen und Arbeiter zu beschäftigen. „Die Hoffnung ist, dass bei solchen Geschäften immer auch etwas für die Bevölkerung abfällt“, sagt von Bernstorff. „Sie dienen aber selten dem Gemeinwohl, sondern eher den beteiligten Entscheidern.“

In einen Landbetrug in Brasilien könnten – ohne es zu ahnen – auch 60.000 Ärzte aus Nordrhein-Westfalen verwickelt sein: Ihre Pensionskasse, die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL), strebt eine Rendite von etwa vier Prozent an. Sie investiert dafür in „alternative Anlageklassen“, zum Beispiel in Wind- und Solarparks, wie ein Sprecher der ÄVWL betont. Gleichzeitig zählt das Versorgungswerk aber auch zu den hundert größten Immobilienkäufern der Welt und verwaltet rund zwölf Milliarden Euro. Einen Teil davon, rund 100 Millionen Dollar, hat es 2011 in den amerikanischen Agrar-Fonds „TIAA Cref Global Agriculture LLC“ gesteckt. Und TIAA Cref soll laut FIAN wiederum im großen Stil Gründe von einem brasilianischen Geschäftsmann gekauft haben, der bereits rechtskräftig für den Raub von 124 000 Hektar Land verurteilt wurde.

Ob er indirekt auch deutsches Geld bekommen hat? Dazu steht FIAN mit der Ärzteversorgung seit Jahren „in engem Austausch“, wie beide Seiten sagen. Der rauchende Colt in der Hand eines skrupellosen Geschäftsmanns genügt der ÄVWL noch nicht als Beweis. Im Geschäftsbericht von 2013 steht, die Anlage habe den UN-Kriterien für nachhaltige Investments entsprechen müssen – Kleinbauern sollten dafür nicht vertrieben werden. Erst, wenn FIAN zweifelsfrei belegen kann, dass deutsches Geld über einen amerikanischen Fonds gewaltsame Landnahmen gefördert hat, wird die Pensionskasse Konsequenzen ziehen. „Bis dahin müssen wir davon ausgehen, dass der Fonds irrtümlich für ein mögliches Fehlverhalten anderer Akteure vor Ort verantwortlich gemacht wird“, so der Sprecher der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe.

Für Nina Bünger zeigt dieser komplizierte Fall, dass strengere Regeln für den Finanzmarkt nötig sind: „Unsere bisherigen Gesetze schützen zwar die Anleger vor finanziellen Risiken, aber garantieren nicht die Menschenrechte.“  Von der EU fordert sie, dass diese ihr Bekenntnis zu den Menschenrechten endlich ernst nimmt und einschreitet, wenn Geldgeber und Unternehmen aus den Mitgliedsstaaten im Ausland Profit mit Landgrabbing machen.

Mord auf dem Land 

Machbare Vorschläge gäbe es dazu bereits genug, sagt die grüne EU-Abgeordnete Maria Heubuch, die sich mit Bünger in Brüssel getroffen hat. „Ob Landinvestitionen reguliert werden oder nicht, ist schlichtweg eine Frage des politischen Willens.“ In einem ersten Schritt könnte man die Geschäfte immerhin nachverfolgen: „Bei großflächigen, internationalen Landdeals braucht es viel bessere Dokumentation, damit wir genau wissen, wie stark deutsche Unternehmen beteiligt sind.“ Auch bei der Entwicklungszusammenarbeit müsste sich die EU noch stärker an die eigene Nase fassen. „Wir wissen, dass nur etwa 20 Prozent der EU-Projekte Kleinbauern helfen“ sagt Heubuch. „Der Großteil des Geldes fließt in das industrielle Modell.“

Rentenanlage oder Landraub? Fragen Sie Ihre Bank!

Und was können wir tun? „Sie könnten Druck auf Ihre Regierung ausüben und bei Ihrer Bank nachfragen, wie sie es mit Investitionen in Land hält“, schlägt Maria Heubuch vor. Wer auf diese Nachfrage keine Antwort bekommt, könnte sich anschließend an den Verein Facing Finance wenden. Der schlüsselt auf seiner Internetseite „FairFinanceGuide.de“ auf, welche Geldinstitute mit ihrer Anlagestrategie am meisten der Umwelt schaden oder wahrscheinlich Menschenrechte verletzen. Zumindest in diesem Wettbewerb ist Landgrabbing mal ein ziemlich lausiges Geschäft.

PS: Das Konstanzer Bündnis hat MdEP Maria Heubuch eingeladen. Sie referiert am 11. November im Treffpunkt Petershausen über die EU-Handelspolitik, die Landwirtschaft und Landgrabbing.


Matrix mit Mängeln: Seit acht Jahren erfasst das „Land Matrix Observatory“ alle großen, internationalen Landkäufe über mehr als 200 Hektar und wertet sie in regelmäßigen Abständen aus – zuletzt 2016. Die Recherchen sind im Internet unter www.landmatrix.org öffentlich einsehbar und dienen internationalen Organisationen als Referenz im Kampf gegen Landgrabbing. Einige Experten kritisieren jedoch, dass die Daten zu technisch sind und nicht genug die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von solchen Vorhaben beschreiben. Große Geschäfte mit Land, in die ausländische Investoren nur indirekt involviert sind, würden auch nur unzureichend abgebildet.

 


Interview zum Thema:

„Wir brauchen Abkommen mit harten Pflichten zu Menschenrechten“

Wie haben Sie die UN-Verhandlungen 2012 erlebt, bei denen es unter anderem intensiv um Landgrabbing ging?

Überraschend offen: Erstmals haben sich betroffene Kleinbauern einbringen können. Sie hatten zwar kein Stimmrecht, aber volles Rederecht, und sie haben viele wichtige Punkte in den Leitlinien untergebracht. Es verändert die Arbeitshaltung, wenn jemand sagt: „Ich war zehn Jahre lang Kleinbauer in Paraguay und habe das alles erlebt.“

Wo verliefen die Fronten?

Es gab zwei große Streitpunkte: Einmal, wie eindeutig die Menschenrechte in den Leitlinien auftauchen werden. Und dann, welches Konzept von Landwirtschaft angestrebt werden sollte. Da kamen die Befürworter des „big agrobusiness“ und die Vertreter der kleinbäuerlichen Linie natürlich nur schwer zusammen. Es wurde auch deutlich, dass Konzerne wie Monsanto oder Geldgeber, wie die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung, die beide für das „big agrobusiness“ stehen, mit am Tisch saßen – obwohl sie nicht offen teilnahmen.

Welche Punkte vermissen Sie in den Leitlinien?

Es ist ein Konsenspapier geworden, aber das geht nicht anders: Denn ein Dokument ohne die Zustimmung der G7-Staaten wäre in der Schublade gelandet. Mir fehlt, dass wir keine Pflicht für Obergrenzen bei großen Landkäufen definieren konnten.

Die Leitlinien sind freiwillig. Bringen Sie trotzdem etwas?

Einige beteiligte Regierungen und Akteure in der Entwicklungshilfe haben sie schon zur Grundlage ihrer Entwicklungsarbeit gemacht. Staaten, die von vornherein nur mit Zähneknirschen dabei waren, natürlich nicht. Aber denen kann die Zivilgesellschaft nun etwas Konkretes entgegenhalten. Besser wären natürlich verbindliche Abkommen mit harten menschenrechtlichen Pflichten.

Können Staaten überhaupt nachträglich die Bedingungen für Investoren ändern?

Leider ist das nicht so einfach. Etwa 75 Prozent aller Investitionen im Ausland sind durch bilaterale Handelsabkommen geschützt. Wenn ein Parlament zum Beispiel schärfere Umweltgesetze verabschieden würde, könnte ein investierendes Unternehmen den Staat vor einem Schiedsgericht verklagen. Bisher gab es kaum derartige Klagen, aber das ist auch nicht nötig. Diese Abkommen haben nämlich einen „chilling effect“. Das heißt, sie halten die Regierungen davon ab, unbequeme Gesetze zu beschließen, aus Angst vor den möglichen Kosten.

Wie sehen Sie den Schutz der Menschenrechte?

Es wäre ein Traum, wenn wir die Menschenrechte so gut durchsetzen könnten, wie den Investitionsschutz für Unternehmen.

Der Völker- und Menschenrechtsexperte Jochen von Bernstorff hat 2012 die „Freiwilligen UN-Leitlinien zu Landnutzungsrechten“ mitverhandelt.

 

 

 


Mehr zum Thema:

Fred Pearce:

Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden. Verlag Antje Kunstmann, 2012, 320 Seiten, 22,95 Euro

 

 

 

 

Ulrich Brand, Markus Wissen:

Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. oekom verlag, 2017, 224 Seiten, 14,95 Euro

 

 

 

 

Film von Kurt Langbein: Landraub. 2015, 91 Minuten, ca. 16 Euro