Vergangene Woche hat der Bundestag den Kohleausstieg beschlossen – viel zu spät. Und mit verheerend langen Fristen. Außerdem will die Bundesregierung für den Ausstieg hohe Entschädigungen zahlen. Eine Vertragsklausel legt nahe, dass sie so Klagen vor Schiedsgerichten verhindern will. Das berichtet Petra Pinsler in der Wochenzeitung Die Zeit.
Der vom Bundestag nun beschlossene Kohleausstieg wird teuer – so viel ist bereits klar. Die Bundesregierung will den Energiekonzernen hohe Entschädigungen dafür zahlen, dass sie die Verstromung von Kohle beenden. Unklar war bisher jedoch, warum die Regierung an die beiden Konzerne Leag und RWE die beachtliche Summe von rund 4,35 Milliarden Euro überweisen will. Obwohl unabhängige Gutachten auf viel niedrigere Beträge kommen, lehnt sie bisher eine Offenlegung ihrer Berechnungen ab.
Der Göttinger Rechtswissenschaftler Tobias Stoll hat den öffentlich-rechtlichen Vertrag, den die Regierung mit beiden Unternehmen schließen will, im Auftrag der Klimaorganisation Climate Action Network (CAN) Europe analysiert und hat eine Vermutung. „Die Regierung zahlt einen so hohen Preis, weil sie sich fürchtet, sonst jahrelang in ein Verfahren vor einem internationalen Schiedsgericht verwickelt zu werden“, argumentiert Stoll. Denn in dem Vertrag findet sich in Paragraf 24 eine Klausel, die Klagen vor internationalen Schiedsgerichten ausschließt. Das bedeutet: Die tschechischen Eigner der Leag verzichten auf ihr Recht, die Bundesrepublik wegen des Kohleausstiegs vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen. Das klingt nach Kleingedrucktem, hat aber große Wirkung.
Grundlage möglicher Schiedsgerichtsklagen ist der europäische Energiecharta-Vertrag. Kritiker hatten in der Vergangenheit immer wieder gefordert, diesen Vertrag, der Energiekonzernen enorme Rechte gegenüber Staaten verleiht, zu reformieren oder zu kündigen. Italien hat das bereits getan. Deutschland nicht.
Es ist kaum anzunehmen, dass die Leag-Eigner auf den Gang zu einem internationalen Schiedsgericht umsonst verzichtet haben. In der Vergangenheit hatten diese Unternehmen immer wieder ermöglicht, von Staaten Schadensersatz in Milliardenhöhe einzufordern und auch zu bekommen. Die Schiedsgerichte entscheiden nämlich nicht auf der Basis von nationalem Recht, sondern auf der von internationalen Investitionsschutzabkommen. Die aber sind so formuliert, dass sie Eigentumsrechte oft höher gewichten als Umweltschutz. In Europa stehen sie daher bereits seit Längerem in der Kritik, zuletzt als sie in das gescheiterte TTIP-Handelsabkommen eingefügt werden sollten.
Früherer Kohleausstieg könnte noch teurer werden
Oft ziehen sich Schiedsgerichtsprozesse zudem über Jahre und verursachen Anwaltskosten in Millionenhöhe. Die Klage des schwedischen Konzerns Vattenfall, der die Bundesrepublik wegen des Atomausstieges vor einem Schiedsgericht in Washington verklagt hatte, wurde 2012 eingereicht und läuft immer noch, das Verfahren ist weitgehend geheim. Eine Klage von Vattenfall gegen Umweltauflagen, die die Stadt Hamburg für das Kohlekraftwerk Moorburg verhängte, gewann das Unternehmen. Das Ergebnis des Prozesses und die Art der Entschädigung sind jedoch bis heute geheim.
Wenn die Bundesregierung nun eine ähnliche Klage der Leag gegen ihr Kohleausstiegsgesetz vorsorglich vertraglich ausschließen will, so klingt das erst einmal sinnvoll. Zudem sie zukünftige Regierungen sogar in einem gewissen Maße erlaubt, Änderungen am Vertrag vorzunehmen und etwa eine schnellere Abschaltung von Kraftwerken anzuordnen. Er sei überzeugt, dass der Vertrag in keiner Weise das Vorziehen des Kohleausstieges verhindere, sagt der Staatssekretär aus dem Umweltministerium, Jochen Flasbarth. Allerdings hat die Sache einen Haken: Wollen künftige Regierungen schneller aussteigen, dann können wiederum die Unternehmen eine Vertragsanpassung verlangen, also Nachverhandeln. Und dann muss erneut Geld fließen. Und das, so der Jurist Stoll, schränke wiederum den Spielraum künftiger Regierungen wahrscheinlich erheblich ein.