Scheitert nun die EU-Handelspolitik?

 

Das Handelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten sei so gut wie gestorben, argumentiert die Zeit-Kolumnistin Petra Pinzler in einem neuen Kommentar. Aber ist ihre Hoffnung auch berechtigt? Andere JournalistInnen sind da skeptischer: Merkels kritische Haltung zum Mercosur-Abkommen sei eher ein Lippenbekenntnis, meinen etwa zwei Autoren von der Süddeutschen Zeitung. Wir veröffentlichen hier beide Beiträge.

Zuerst der Artikel von Petra Pinzler:

Der Letzte macht bitte das Licht aus! Dieser Eindruck drängt sich gerade schwer auf, verfolgt man die Nachrichten über die europäische Handelspolitik. Da wollte sich die EU-Kommission feiern, weil sie mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay die weltweit größte Freihandelszone mit mehr als 770 Millionen Einwohnern verhandelt und so wichtige Absatzmärkte für die deutsche Wirtschaft geschaffen hat. Und nun das.

Erst protestierten Umweltschützer und Menschenrechtler gegen das Mercosur-Handelsabkommen. Als dann vor Monaten die Bilder des brennenden brasilianischen Urwaldes um die Welt gingen, wuchsen auch in manch einer Regierung die Zweifel, ob mehr Handel ausgerechnet mit diesem Land wirklich eine so gute Idee ist. Irland, Österreich und Frankreich kündigten darauf hin ihr Veto an. Vor ein paar Tagen äußerte dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg Zweifel am Nutzen des Handelsvertrages. Und in dieser Woche nun ist auch noch die sonst nicht wegen übermäßigen politischen Muts bekannte deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zu den Widerständlern gestoßen. Also kann man nun ziemlich sicher sein: Mercosur ist so gut wie tot. Wer das Abkommen noch will, wird sich ziemlich viel einfallen lassen müssen.

Die Handelspolitik der EU-Kommission steht damit vor einem Scheiterhaufen. Und das ist erstaunlich und traurig zu gleich. Traurig – weil es ja seit Jahren gute Ideen gibt, wie sich das alles hätte vermeiden lassen. Und erstaunlich – weil die Strategie der Kommission in der Vergangenheit trotz aller Kritik ziemlich erfolgreich war (jedenfalls aus Brüsseler Sicht).

Ist mehr Handel immer gut?

Durch puren Starrsinn und durch ein scheinbares Eingehen auf die Kritiker hat die Kommission in den vergangenen Jahren immer wieder Handelsabkommen schließen können – die im Kern bis heute nichts anderes sind als klassische Wirtschaftsförderung. Und die alle dem Mantra gehorchen, dass mehr Handel immer gut ist und alle die Ausnahmen begründet werden müssen. Ein grundsätzliches Nachdenken über den Sinn von Handel, mehr Rücksicht auf Umwelt, Klima und Menschen – das ist in Brüssel bis heute fremd –, weil es aus Sicht der Handelseurokraten am Ende das Eigentliche verdrängt: dass die Wirtschaft nun mal wachsen und die Handelspolitik neue Märkte erschließen muss.

Getrieben von diesem Dogma hat die Kommission in den vergangenen Jahren immer wieder neue Verhandlungen mit immer neuen Regionen der Welt begonnen und abgeschlossen. Sie inszenierte sich damit zugleich als erfolgreiches Gegenmodell zu Donald Trumps Amerika – als Hort des Rechtes und der Kontinuität. Und sie tat so, als ob sie in ihren Verträgen die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem schafft. Taktisch geschickt baute sie für die Umweltschützer in die Präambeln nun ein paar Sätze zum Klimaschutz ein, für die Gewerkschaften was über soziale Rechte der Arbeitnehmer und für die Menschenrechtler auch ein paar Formulierungen.

Dass es trotzdem in den Handelsverträgen mit anderen Regionen vor allem um das Wachstum der Wirtschaft ging und alle anderen gesellschaftlichen Belange, der Klimaschutz, der Artenschutz, der Schutz von Arbeitnehmern nur Nebensächlichkeiten sind – das hat sich nie geändert. Und es hat sich auch nur wenig an der realen Politik geändert, es spielt immer noch kaum eine Rolle, ob mehr Handel nun schlecht fürs Klima ist, für die Menschen oder den Artenschutz.

Warnungen, dass das nicht ewig so weitergehen kann und darf, gab es genug. Es hätte der EU-Kommission beispielsweise eine Warnung sein können, dass bereits vor ein paar Jahren Hunderttausende Menschen gegen das damals geplante europäisch-amerikanische TTIP-Abkommen auf die Straße gingen. Doch es passierte das Gegenteil: TTIP scheiterte zwar, aber das lag an Trump. Der wollte das Abkommen nicht, die EU-Kommission hätte es indes gern abgeschlossen. Sie verhandelte daher auch in den vergangenen Jahren weiter über eine Art TTIP light. Ende August erst einigten sich die USA und die EU still und leise auf Zollsenkungen, beispielsweise senkt die EU die Zölle auf Lobster.

Tatsächlich dürfte das gar nicht passieren, jedenfalls nicht, wenn man die eigenen Versprechen ernst nimmt. Ganz offiziell hat sich die EU nämlich verpflichtet, keine Abkommen mehr mit Ländern zu schließen, die das Pariser Klimaabkommen nicht respektieren. Ganz offiziell will auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die EU zur grünen Vorzeigeregion der Welt machen. Also dürfte sie ernst genommen gar kein Abkommen mit den USA mehr schließen. Zwar kann sie rein formal argumentieren, dass die USA noch beim Pariser Abkommen dabei sind – die Kündigung von Trump wird ja erst in diesem Jahr wirksam. Zugleich aber zeigt ihr Verhalten: So richtig wichtig sind ihr die eigenen Standards am Ende eben nicht – jedenfalls wenn es um den Klimaschutz geht.

Doch zurück zum Mercosur-Abkommen. Wenn das nun am Widerstand der Bürger und der EU-Regierungen scheitert, dann ist das auch eine Reaktion auf den traurigen Starrsinn der Kommission. Nicht darauf, dass inzwischen die meisten europäischen Regierungen etwa zu radikalen Urwaldschützern geworden wären. Aber sie wissen: Man kann den Bürgern einfach nicht plausibel erklären, dass man zum Wohle der eigenen Industrie Geschäfte mit Brasilien erleichtert – während dort zugleich die wichtigsten Urwälder der Welt abgefackelt werden.

Es heißt ja, dass in jeder Krise eine Chance liegt. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt das nun auch für die Handelspolitik der EU-Kommission. Denn die wird bald überarbeitet werden, und vielleicht ist Mercosur ja doch eine Art Weckruf. Bis zum 15. September kann man noch Vorschläge einsenden, wie es besser ginge. Hier die E-Mail-Adresse: trade-policy-review- 2020@ec.europa.eu. Mal sehen, wie ernst die Kommissionspräsidentin von der Leyen die Einsendungen wohl nimmt.


Ein bisschen Misstrauen

Berlin hat Vorbehalte gegen das Mercosur-Abkommen – will aber nicht nachverhandeln. Es geht vor allem um den Schutz von Klima und Umwelt.

Von Michael Bauchmüller und Björn Finke, Berlin/Brüssel

Es steht schlecht um das EU-Handelsabkommen mit Südamerika, jedenfalls aus Sicht der Kanzlerin. Mit Sorge schaue die Regierung auf Abholzung und Brandrodungen am Amazonas, sagte kürzlich ihr Sprecher Steffen Seibert. „In dem Zusammenhang stellen sich ernsthafte Fragen, ob eine Umsetzung des Abkommens in dem intendierten Geist zurzeit gewährleistet wäre.“ Das sehe man „mit Skepsis“. Bei einer Klausur der Unionsfraktion am Mittwoch soll sich Merkel ganz ähnlich geäußert haben. Die Bundesregierung, lange Verfechterin des ehrgeizigen Freihandelsvertrags, rückt davon ab. Und nun?

Ein mangelhaftes Abkommen ließe sich theoretisch nachverhandeln, aber genau das will Berlin nicht – trotz aller Kritik. Dies geht aus einer Antwort hervor, die das Wirtschaftsministerium auf eine Schriftliche Frage der Grünen-Abgeordneten Katharina Dröge gegeben hat. „Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit keine Nachverhandlungen zu fordern“, heißt es darin. Zwar enthält dieser Handelsvertrag mit dem Wirtschaftsblock namens Mercosur Kapitel zu Umwelt- und Klimaschutz und Sozialstandards. Er verpflichtet die vier Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay auf die Ziele des Pariser Klimaschutz-Abkommens.

Doch die Zweifel sind gewachsen, ob sich Brasiliens Staatspräsident Jair Bolsonaro davon beeindrucken lässt. Und ernsthafte Sanktionen sieht das Abkommen bislang nicht vor, sollte der Populist beim Schutz von Klima und Regenwald nicht mitziehen. Aber Kritik ohne die Bereitschaft zu neuen Verhandlungen? Die Grünen wittern darin ein doppeltes Spiel der Bundesregierung. Letztlich zeige dies, „dass die öffentlich geäußerte Sorge nichts als PR ist, um eine kritische Öffentlichkeit zu beruhigen“, sagt die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge. „Die Lage in Brasilien ist jedoch zu ernst für solche Spielchen.“ Im Grundsatz haben sich die EU und die Mercosur-Staaten schon vor einem Jahr auf das Abkommen geeinigt.

Derzeit läuft die juristische Ausarbeitung, danach wird es in die EU-Amtssprachen übersetzt. Erst dann befassen sich die Mitgliedstaaten damit – ihre Zustimmung ist nötig, genau wie die des EU-Parlaments und nationaler Parlamente. In seiner jetzigen Form dürfte der Vertrag freilich keine Chance haben. Einen Ausweg allerdings deutet Berlin an: Extra-Absprachen, in denen sich das eine oder andere noch justieren ließe. „Etwaige Überlegungen zu begleitenden Erklärungen“, so heißt es in der Antwort aus dem Wirtschaftsministerium, „wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Rolle als EU-Ratspräsidentschaft mit den Mitgliedstaaten diskutieren.“

In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen des SPD-Europaabgeordneten Bernd Lange: „Der Vertrag kann nicht mehr geändert werden, aber Zusatzvereinbarungen sind möglich“, sagt der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament. Das Problem: „Die brasilianische Regierung lehnt das bisher rigoros ab. Solange das so bleibt, gibt es in der EU keine Chance auf Ratifizierung.“ Lange bezeichnet die Umwelt- und Sozialkapitel im Abkommen als „an sich nicht schlecht“, doch auch er beklagt, dass Festlegungen fehlten, „wie das umgesetzt und überwacht wird und wie Verstöße geahndet werden“. Dabei gebe es durchaus Beispiele für Strafmechanismen in Handelsverträgen.

Am Donnerstag hatte Lange Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zu Gast im Ausschuss; der erläuterte dort die Pläne für die deutsche Ratspräsidentschaft. Zum Mercosur-Abkommen hielt er sich auffällig kurz, wohl aber lobte er die Vorteile solcher Verträge. „Wenn wir hingehen und am Ende so viele Vorbedingungen formulieren, dass wir nur noch mit wenigen Ländern dieser Welt Handel treiben können“, führte er aus, „hätten wir möglicherweise auch ein Problem.“