Immer mehr Investorklagen

Investoren zögern nicht mit einer Klage vor dem Schiedsgericht der Weltbankgruppe, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Bericht. Konflikte gäbe es vor allem im Energiesektor, also um Rohstoffe und bei der Stromerzeugung.

Die Niederlande stellen sich auf einen langen Streit um den Ausstieg aus der Kohleverstromung ein. Anfang dieser Woche akzeptierte die Amerikanerin Jean Kalicki den Vorschlag der Regierung aus Den Haag, im Verfahren gegen Uniper vor dem Schiedsgericht der Weltbankgruppe (ICSID) als Schiedsrichterin anzutreten. Uniper investierte vor wenigen Jahren 1,5 Milliarden Euro in sein Kohlekraftwerk „Maasvlakte“, die Nutzungsdauer war auf vierzig Jahre ausgelegt – nach einem Gesetz soll spätestens 2030 Schluss sein. Dagegen klagen der Stromversorger und der ebenfalls betroffene RWE-Konzern vor dem ICSID-Schiedsgericht: RWE will 1,4 Milliarden Euro Entschädigung, Uniper hält sich mit seiner Forderung bedeckt.

Immer mehr ausländische Investoren entschließen sich zu diesem Schritt: Gleich 70 neue Klagen gegen Staaten vermeldet die in Washington angesiedelte Schiedsorganisation ICSID für das gerade beendete Geschäftsjahr 2020/21. Nie zuvor seit der Gründung 1965 gab es so viele Auseinandersetzungen. Das spiegelt sich in der Gesamtzahl der zuletzt vom ICSID betreuten laufenden Schieds- und Schlichtungsverfahren wider: Mit 332 Fällen hat sich diese Zahl innerhalb der vergangenen neun Jahre verdoppelt. Die Corona-Pandemie und die massiven Störungen im globalen Handel haben keine Auswirkungen auf die Konfliktherde gehabt: Die Mehrzahl von Investoren verklagen Staaten aus Osteuropa und Zentralasien (30 Prozent), gefolgt von Südamerika und afrikanischen Staaten südlich der Sahara (jeweils 14 Prozent). Dann folgt Westeuropa mit 10 Prozent – darunter die eingangs erwähnten Klagen gegen die Niederlande und ein weiteres neues Verfahren gegen Deutschland. In fast zwei Dritteln aller Verfahren berufen sich die Kläger auf bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen ihrem Heimatland und dem Gaststaat. Auf die Energiecharta (ECT), einen völkerrechtlichen Vertrag, den neben zahlreichen Staaten auch die Europäische Union unterzeichnet hat, gehen 8 Prozent aller Verfahren zurück. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall stützte seine Schadenersatzforderung gegen Deutschland wegen des Atomausstiegs auf den ECT, auch RWE und Uniper berufen sich auf das Abkommen.

Der Europäischen Kommission dürfte die stabile Zahl an Klagen ein Dorn im Auge sein: Nach der „Achmea“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hatten 22 EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland und die Niederlande, im Januar 2019 erklärt, dass bilaterale Abkommen keine Grundlage für Schiedsverfahren zwischen einem Investor aus einem EU-Mitgliedstaat und einem anderen EU-Mitgliedstaat sein können. Mittlerweile hat Deutschland 14 solcher Verträge aufgehoben. Dass die Gesamtzahl an Verfahren dennoch global ansteigt, lässt sich mit Blick auf die Industriesektoren begründen. Besonders ertragreich, aber auch konfliktanfällig ist die Förderung von Rohstoffen und die Erzeugung von Strom (mit umfasst sind erneuerbare Energien). Allein diese beiden Sektoren machen in Summe 42 Prozent aller neuen Verfahren aus. Mit Abständen folgen dann Streitigkeiten in der produzierenden Industrie, Bauvorhaben und Logistik.

Wie eine Studie von Ökonomen am Kieler Institut für Weltwirtschaft 2018 zeigte, sind die beklagten Staaten nicht automatisch in einer schwachen Verhandlungsposition. Die nun veröffentlichten Zahlen bestätigten abermals die ausgewogenen Entscheidungen der Schiedsgerichte. In 34 Prozent der Fälle waren die Klagen der Investoren ganz oder teilweise erfolgreich, dagegen wurden 32 Prozent abgewiesen. Immerhin 8 Prozent endeten im Vergleich – nach Jahren begruben im März auch Vattenfall und Deutschland vor dem ICSID ihr Kriegsbeil.


Was dieser Beitrag nicht erwähnt: Schon aufgrund der Klagemöglichkeit haben Konzerne ein Druckmittel in der Hand, um Behörden und Parlamente gefügig zu halten (siehe dazu die Klagedrohung von Vattenfall gegen die Hamburger Regierung). Und: Der EU ist „die stabile Zahl an Klagen“ keineswegs „ein Dorn im Auge“: Sie treibt die Klagemöglichkeiten von Investoren derzeit voran. Siehe dazu den Beitrag von attac Östereich.