Nein zum EU-Neuseeland-Abkommen!

Es hört einfach nicht auf. Beim beständigen Versuch, die EU als wettbewerbsfähigste Wirtschaftsregion zu erhalten, untergräbt die Kommission Schutzrechte – und pfeift dabei aufs Klima. Nun rufen fünfzig zivilgesellschaftliche Organisationen das Europäische Parlament dazu auf, das geplanteHandelsabkommen mit Neuseeland nicht zu ratifizieren.

Hier ihre gemeinsame Erklärung:

Das Europäische Parlament muss in den kommenden Monaten entscheiden, ob es dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland zustimmt. Die Europäische Kommission bezeichnet den Vertrag als das “fortschrittlichste” Handelsabkommen, das sie bisher ausgehandelt hat. Einige Europaabgeordnete bezeichnen es als neuen “Goldstandard” für alle künftigen Handelsabkommen. Doch dieses Abkommen hält nicht, was es verspricht. Es ist weder ein neuer Goldstandard, noch fortschrittlich.

Die vereinbarten Liberalisierungen drohen Handelsströme zu verstärken, die zu steigenden Treibhausgasemissionen, einem Rückgang der Artenvielfalt, prekärer Beschäftigung und weiterer sozialer Ungleichheit beitragen können. Die wenigen Änderungen in Bezug auf die Durchsetzbarkeit einiger Nachhaltigkeitsverpflichtungen ändern nichts an den grundlegenden Strukturen des derzeitigen EU-Handelssystems. Dieses System ist nach wie vor in einem Produktions- und Konsummodell verankert, das die Klimakrise, die Umweltzerstörung und die sozialen Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Ländern verursacht hat. Daher fordern wir, 50 Organisationen der Zivilgesellschaft, das Europäische Parlament auf, das Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland in seiner derzeitigen Form abzulehnen.

Aus dem kürzlich veröffentlichten Bericht der Europäischen Energieagentur geht hervor, dass die europäischen Treibhausgasemissionen doppelt so schnell sinken müssen wie im vergangenen Jahrzehnt, wenn wir das EU-Reduktionsziel von 55% bis 2030 erreichen wollen. Deshalb können wir uns “business as usual” nicht mehr leisten. Die ökologischen und sozialen Herausforderungen erfordern einen grundlegenden Wandel auch in der Handelspolitik. Einzelne Reformen reichen nicht aus.

Das Handelsabkommen zwischen der EU und Neuseeland ist den Herausforderungen unserer Zeit nicht gewachsen, denn:

1) Das Abkommen würde zu einem weiteren Anstieg der Treibhausgasemissionen führen, wie u.a. die Nachhaltigkeitsfolgenabschätzung der EU-Kommission zeigt. Dies liegt vor allem daran, dass die vereinbarten Zollsenkungen und Importquoten voraussichtlich zum Austausch größerer Mengen an klimaschädlichen Produkten führen werden. So rechnet die EU-Kommission mit einem Anstieg der EU-Exporte nach Neuseeland um bis zu 47%, der sich vor allem aus einem Anstieg der Exporte von Maschinen, Autos und Chemikalien zusammensetzt. Auf neuseeländischer Seite würden die Exporte von Fleisch und Milchprodukten in die EU steigen. Hauptnutznießer auf beiden Seiten wären also Unternehmen, die oft erhebliche Umwelt- und Klimaschäden verursachen.

2) In den Sektoren, die von dem Handelsabkommen profitieren – Landwirtschaft in Neuseeland, verarbeitende Industrie in der EU – herrschen nach wie vor prekäre Arbeitsverhältnisse mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen. In Neuseeland gilt dies u.a. für die Fleisch- und Milchwirtschaft, in der EU u.a. für die Zulieferer der verarbeitenden Industrie, sei es in Süd- und Osteuropa oder in Drittstaaten. Es gehört daher zu den besonders gravierenden Mängeln des Abkommens, dass es zusätzliche Exportmöglichkeiten nicht an verbindliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten der exportierenden Unternehmen knüpft. Damit bleibt es auch weit hinter den unternehmerischen Sorgfaltspflichten zurück, die nach dem EU-Lieferkettengesetz durchgesetzt werden sollen.

3) Das Abkommen sieht nur punktuelle Verbesserungen bei der Durchsetzbarkeit des Nachhaltigkeitskapitels vor. So können nur Verstöße gegen die Verpflichtungen zur Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und des Pariser Klimaabkommens mit Handelssanktionen geahndet werden. Diese Option gilt jedoch nicht für potenzielle Streitigkeiten über die meisten Nachhaltigkeitsverpflichtungen. Weiterhin nicht sanktionsbewehrt sind etwa Vertragsverpflichtungen zur biologischen Vielfalt, zur Reform der fossilen Subventionen, zur Bekämpfung der Entwaldung und Überfischung, zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Unternehmensverantwortung sowie zu den vorrangigen Übereinkommen der IAO und der Agenda für menschenwürdige Arbeit. Folglich bleiben die Sanktionsmöglichkeiten viel zu begrenzt, um die erheblichen ökologischen und sozialen Risiken der vereinbarten Marktöffnungen einzudämmen.

4) Die Europäische Kommission erwartet, dass die Investitionen europäischer Unternehmen in Neuseeland dank der vereinbarten Liberalisierungen um bis zu 80% steigen könnten. Dennoch sieht das Handelsabkommen keine spezifischen Maßnahmen vor, um die vereinbarte Investitionsliberalisierung mit Nachhaltigkeitskriterien zu verknüpfen. Dies ist jedoch ein erhebliches Manko, da europäische Unternehmen in Neuseeland häufig in umweltschädliche Branchen wie die fossile Öl- und Gasförderung oder die emissionsintensive Viehzucht investieren.

5) Das Handelsabkommen trägt insbesondere zur Verschärfung der sozialen und ökologischen Risiken bei, die von der exportorientierten Intensivlandwirtschaft ausgehen. Aufgrund der niedrigen Produktionskosten von Milch und Fleisch in Neuseeland – ermöglicht u.a. durch niedrige Löhne und unzureichende Umweltauflagen – werden kleinere, nachhaltig wirtschaftende Betriebe in der EU durch die geplanten Marktöffnungen einem stärkeren Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sein. Dies dürfte die Krise der europäischen Landwirtschaft weiter verschärfen und die Umsetzung der “Farm to Fork”-Strategie gefährden, die das Lebensmittelsystem in der EU nachhaltiger machen soll.

6) Das Freihandelsabkommen enthält keine angemessenen Bestimmungen über die Rechte der Māori, der indigenen Bevölkerung Neuseelands. Das Kapitel über geistiges Eigentum enthält beispielsweise keinen konkreten Schutz ihrer genetischen Ressourcen, ihres traditionellen Wissens oder ihrer kulturellen Ausdrucksformen. Kein einziger Māori-Artikel findet sich auf der Liste der geografischen Herkunftsangaben, so dass Namen für lokale Produkte wie Mānuka-Honig ungeschützt bleiben.

Aus diesen Gründen fordern wir: Das EU-Neuseeland-Abkommen darf nicht unterzeichnet werden! Wir brauchen eine Handelspolitik, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird und im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der EU steht. Diesem Anspruch genügt das Handelsabkommen jedoch nicht. Die punktuellen Verbesserungen im Nachhaltigkeitskapitel ändern nichts an den sozialen und ökologischen Risiken, die von den vorgeschlagenen Handelsliberalisierungen ausgehen. Im Kern zielt das Abkommen weiterhin auf eine undifferenzierte Steigerung der bilateralen Handels- und Investitionsströme ab, unabhängig von den Arbeits- und Produktionsbedingungen und den Umweltschäden, die durch die gehandelten Güter verursacht werden. Solange die Exportindustrie ihre Gewinne auf Kosten von Mensch und Natur macht, bleibt der internationale Handel ein Hindernis auf dem Weg zu einer gerechten und nachhaltigen Wirtschaft.


Unterzeichnet wurde der Aufruf in Deutschland unter anderen von PowerShift, den Naturfreunden, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), dem Heidelberger Bündnis für gerechten Welthandel. Auch unser Konstanzer Bündnis hat unterschrieben.