CETA: An den nationalen Parlamenten vorbei

Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange, Vorsitzender der Handelsausschusses, bestätigt: Die 28 EU-Parlamente werden zu Ceta nicht befragt. Außerdem tritt das Abkommen bald in Kraft. Das Interview erschien in der Tageszeitung taz.

taz: Herr Lange, Ceta soll vorläufig in Kraft treten, ohne dass die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten über das Freihandelsabkommen mit Kanada abgestimmt haben. Nun ist die Aufregung groß. Wird der Bundestag entmachtet?

Bernd Lange: Jetzt muss ich etwas grundsätzlicher werden.

Okay.

Zum einen hat die EU die Handelspolitik mit dem Lissabon-Vertrag 2009 vergemeinschaftet: Es macht ja wenig Sinn, dass Luxemburg allein globale Handelsverträge abschließt. Artikel 207 regelt genau, was und wie es läuft. Das Europäische Parlament stimmt danach mit ab.

Das reicht vielen auch in Ihrer Partei nicht.

In der vergangenen Legislaturperiode hat das EP zudem sogar zwei Abkommen abgelehnt: das mit Marokko, weil die Belange der Bevölkerung in der Westsahara nicht berücksichtigt wurden. Und Acta, das Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums, hatte zu viele Webfehler.

Viele Kritiker gingen nach Äußerungen aus der EU-Kommission oder auch von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel davon aus, dass die nationalen Parlamente erst mitbestimmen und Abkommen wie Ceta und TTIP – der Vertrag mit den USA – erst danach in Kraft treten.

Es gibt ja den Sonderfall der „gemischten“ Abkommen. Also: Wenn nationalstaatliche Kompetenzen berührt werden, sind auch die nationalen Parlamente gefragt – das ist bei Zöllen für Äpfel aus Moldawien nicht der Fall. Bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen kann es jedoch sein, dass die Beteiligung greifen muss.

Und auch beim Investorenschutz, für den laut Ceta ein eigener Gerichtshof geschaffen wird, oder?

In Artikel 207 EU-Vertrag steht, Investitionsabkommen sind in der Alleinzuständigkeit der EU.

Das sieht ein Gutachten im Auftrag von Foodwatch aber anders.

Dann muss man das rechtlich prüfen.

Bislang dachten viele: Lass Brüssel TTIP und Ceta ruhig verhandeln – in einem der 28 Länder werden die Abgeordneten die Abkommen sowieso stoppen.

Ich habe noch kein nationales Parlament gesehen, das ein derartiges Abkommen abgelehnt hat. Das Vorgehen in der EU ist anders. Das EP ratifiziert, dann kann die Kommission einen Antrag auf vorläufiges Inkraftsetzen stellen – wie beim Abkommen mit Korea. Das war 2010. Dann ging das durch die 28 Parlamente. Italien hat als letztes im Oktober 2015 ratifiziert.

Sie meinen, das dauert zu lange?

Ja, im Wesentlichen geht es um Dinge, die in der Alleinzuständigkeit EU liegen. Theoretisch könnte man sogar Teile der Verträge, die nationale Kompetenzen nicht berühren, sofort endgültig in Kraft setzen. Aber dass die Abkommen in Kraft treten, weil sie vor allem EU-Kompetenzen berühren, ist doch völlig klar.

In Ihrer Partei ist dieses Prozedere nicht jedem bekannt: Parteilinke wie Ralf Stegner wollen mit abstimmen.

Ich stelle die europäische Position dar.

Für die SPD ist diese euro­päische Position problematisch.

Wenn man sagt, Handelspolitik ist vergemeinschaftet, ist das europäische Kontrollorgan das Europäische Parlament. Sonst muss man über den Lissabon-Vertrag diskutieren. Bei einem gemischten Abkommen wie Ceta werden die nationalen Parlamente ja mitentscheiden – wenn auch erst nach Inkraftsetzung. Das ist doch schon ein Zugeständnis, denn hauptsächlich geht es um Angelegenheiten in EU-Zuständigkeit.

 

Zur Person: Bernd Lange studierte Theologie und Politik und arbeitete als Gymnasiallehrer. Seit 1994 ist der SPD-Mann aus Niedersachsen mit einer Unterbrechung Abgeordneter im EU-Parlament. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Handelsausschusses.