Neoliberale Attacke

Der nachfolgende Text ist der Tageszeitung Junge Welt entnommen, die ihn am 26. Juli 2016 publiziert hat.

Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA bergen sozialen Sprengstoff. Noch gefährlicher ist das Trade in Services Agreement (TISA).

Von Andreas Brändle

Am 17. September mobilisieren GlobalisierungsgegnerInnen zu Protestaktionen in mehreren Großstädten. Der Unmut richtet sich gegen sogenannte Freihandelsabkommen wie TTIP (zwischen USA und EU) oder CETA (zwischen Kanada und EU). Womöglich weitreichendere Folgen für das gesellschaftliche Gefüge birgt ein anderer Vertrag: TISA, die harmlos Trade in Services Agreement genannte Vereinbarung, eine neoliberale Attacke auf alle Bereiche der sozialen Daseinsvorsorge.

Was würden Sie sagen, wenn Ihre Kinder oder Enkel zukünftig in ihrer Schule von McDonald’s oder Burger King „verköstigt“ werden? Oder wenn Studieren nur noch an privaten Hochschulen möglich ist? Nach letzten Erhebungen (Stand 2013) waren in Deutschland von 401 Hochschulen 125 in einer solchen Trägerschaft, viele davon erst nach dem Jahr 2000 als GmbH oder Aktiengesellschaft im Rahmen des hochschulpolitischen „Bologna“-Prozesses gegründet. Was ist, wenn die Wasserversorgung ausschließlich in der Hand privater Anbieter ist und von ihnen kontrolliert wird? Oder wenn es keine Krankenhäuser mehr in öffentlicher Hand gibt? Sogenannte Gesundheitskonzerne haben sich bereits heute die „Filetstücke“ aus dem Markt gesichert, beispielsweise Fresenius-Helios, Asklepios oder Sana.

Ulf Schneider, damaliger Vorstandsvorsitzender von Fresenius-Helios, machte keinen Hehl aus dem Sinn und Zweck seines Konzerns. „Eine Klinik, die wir übernommen haben, muss erst nach fünf bis sechs Jahren zwölf bis 15 Prozent Rendite erwirtschaften“, verriet er dem „Spiegel“ bereits 2014 (Ausgabe vom 14.7.). Insgesamt wird davon ausgegangen, dass der (private) Gesundheitsmarkt weiter wachsen wird und deshalb für Investoren lukrativ ist. Unter dem TISA wird das alles obligatorisch.

Die Vereinbarung soll etwa 70 Prozent des weltweiten Handels und der Dienstleistungen erfassen. Das TISA ist die Fortführung des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS; General Agreement on Trade in Services) der Welthandelsorganisation WTO. Und es wurde von den Interessenten mit erheblichem Aufwand unter Stillschweigen vorangebracht. Von März 2013 bis Juni 2016 gab es unter Führung der USA, der EU und Australiens 18 TISA-Gesprächsrunden. Beteiligt sind auch Chile, Costa Rica, Hongkong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Liechtenstein, Mauritius, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Peru, die Schweiz, Südkorea, Taiwan und die Türkei.

Uruguay hatte die Runde im September 2013 verlassen. Nach Protesten der Bevölkerung stimmte das Parlament in Montevideo unter der Führung der Frente Amplio gegen eine weitere Beteiligung an den Verhandlungen. Die Begründung: Das TISA verstoße gegen die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Zugleich artikulierten die ParlamentarierInnen die Sorge, dass nach Verabschiedung des TISA die kostenlose Nutzung aller Schulen des Landes nicht mehr gewährleistet sein könnte. Auch der freie Zugang zum Internet sei in Gefahr, ebenso der im Lande gut funktionierender Herkunftsnachweis für Fleischerzeugnisse. Ein relativ kleines Land stellte sich somit bewusst gegen die kapitalistische Verwertungslogik.

Aus marxistischer Sicht ist der Hintergrund für das TISA klar. Die gerade in den letzten Jahren ungleiche Entwicklung der Privatvermögen hat zu einer enormen Aufstockung dieses Kapitals geführt. Laut einem im Januar von der Hilfsorganisation Oxfam veröffentlichten Bericht besitzen inzwischen die 62 reichsten Personen der Welt genausoviel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, also mehr als 3,5 Milliarden Menschen.

Kapital braucht und sucht lukrative Anlagesphären. 12 bis 15 Prozent Rendite sind da gerade gut genug. Da es aber ein Missverhältnis zwischen dem jährlichen Weltbruttoinlandsprodukt (globale Wirtschaftsleistung) von umgerechnet etwa 70 bis 80 Billionen US-Dollar und dem Vermögen in privater Hand von 150 bis 160 Billionen Dollar gibt, wird es auf den bestehenden Märkten eng und die Konkurrenz ist groß. Also müssen neue Märkte geschaffen werden, das TISA soll vor allem dazu dienen.

Die Sphäre der Daseinsvorsorge, beispielsweise Bildung, Gesundheit, Wohnen, öffentlicher Personenverkehr oder Energieversorgung, bietet nach neoliberaler Ansicht nachhaltige und sichere Investitionsmöglichkeiten. Ist das genannte Abkommen beschlossen und ratifiziert, ist eine Rekommunalisierung nicht mehr möglich.

90 Prozent der Bevölkerung haben ein Interesse an einer gut funktionierenden und gut ausgestatteten Daseinsvorsorge unter gesellschaftlicher Kontrolle. Darunter sollte aber nicht die irreführende Organisierung des öffentlichen Dienstes durch staatliche und kommunale Unternehmensgruppen verstanden werden. Diese funktionieren auch in »gemeinnützigen Kapitalgesellschaften (gGmbH) nur nach betriebswirtschaftlicher Kostenrechnung und zumeist auf dem Rücken der Beschäftigten und der auf ihre Dienstleistungen angewiesenen Bevölkerung.

Andreas Brändle ist Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der Partei Die Linke in Niedersachsen