Freihandel oder Demokratie

Im Regenburger Online-Magazin Regensburg Digital erschien jetzt ein Interview mit Harald Klimenta, der zum wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland gehört und unter anderem Autor des Buchs „Die Freihandelsfalle“ ist.

Das CETA-Abkommen ist in Kraft…

…nein, für Teile davon wurde eine Vorläufige Anwendung vom EU-Rat abgesegnet, das muss jetzt noch vom Europäischen Parlament bestätigt werden, und dann muss es von allen nationalen Parlamenten noch ratifiziert werden. Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen und es gibt noch vielerlei Möglichkeiten, den Vertrag zu kippen.

Oha, das kommt in den Medien aber ganz anders rüber!

Warum wohl? Luft rausnehmen, Thema als „gegessen“ hinstellen, damit jetzt in Ruhe weitergemacht werden kann. Doch da laufen Verfassungsbeschwerden, Volksbegehren, da melden Staaten Vorbehalte an, und wir (ein europaweites Bündnis von über 400 Organisationen) sind auch noch da und werden die Prozesse intensiv begleiten.

Die EU betont, dass die europäischen Standards in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit und Arbeitnehmerrechten uneingeschränkt gewahrt werden. Kann man damit nicht zufrieden sein? Haben die Proteste der Freihandelsagegner nicht doch schon vieles bewirkt?

Zweifellos haben die Proteste schon einiges bewirkt. Das zeigt zunächst, dass unsere Demokratie durchaus funktioniert – und noch viel besser funktionieren würde, wenn sich noch mehr Menschen aktiv einmischen würden. Man sieht etwa am Investorenschutz, dass Sigmar Gabriel getrieben von den Kritikern bis hinauf in die SPD-Führung sich dafür einsetzte, die unsäglichen Schiedsgerichte durch etwas Vernünftigeres zu ersetzen. Nur ist weniger schlecht eben noch lange nicht gut: Das Ergebnis sind jetzt halt transparentere Sonderrechte für Konzerne.

Und Arbeitnehmerstandards oder Verbraucherschutz?

Mehr Freihandel heißt immer mehr Standortwettbewerb und mehr Wettbewerb führt immer zu mehr Druck auf Löhne, Arbeitszeiten und sonstige Standards. Wenn nun in einem Freihandelsvertrag steht, dass dieser Vertrag nicht dazu führen darf, dass irgendwo etwa Löhne gesenkt werden, dann müsste in dem Vertrag auch geregelt sein, wie das nachzuweisen ist und welche Sanktionsmöglichkeiten es gibt. In CETA sind das alles nur prosaische Wortblasen. Tolle Sätze in Präambeln sind so sinnlos wie Gesetze ohne Sanktionsmöglichkeiten. Und knallhart kalkulierenden Unternehmen damit zu kommen, sie sollen doch bitte nett sein, ist nunmal ein Schmarrn.

Häufig hat man gelesen, die Kanadier wären zu Zugeständnissen an die Wallonie bereit – womit die kleine Wallonie mit ihrem anfänglichen Widerstand gegen CETA einiges herausgeholt hätte. Jetzt soll es Garantien und Zusatzerklärungen geben. Muss man den Wallonen dankbar sein?

Zunächst hat die Wallonie mehr Einwohner als sechs EU-Mitgliedsstaaten, klein ist das nicht. Durch die Hartnäckigkeit der Wallonen hat sich vor allem gezeigt, wie irre Politiker und auch viele Medien reagieren, wenn Ergebnisse anders sind als gewünscht. Das Niveau war etwa: „Bombardiert die Wallonie oder wir verhungern!“ Mich erinnerte das an das Gebrüll von Trump und daran, wie fragil demokratische Errungenschaften auch in Europa sind: Wenn Eliten ein Ergebnis demokratischer Verhandlungsprozesse nicht passt, flippen sie aus, und lemminggleich ziehen viele Massenmedien hinterher.

Zu der Zusatzerklärung, die an den Vertrag drangeheftet wird: Auch die SPD-Delegierten vom Sonderparteitag haben sich schon damit abspeisen lassen. Sowas ist möglich, wenn bei manchen Vertragsinhalten unscharfe Begriffe verwendet wurden, wie etwa bei öffentlichen Dienstleistungen, der Rekommunalisierung von Betrieben und einigem mehr, da klingt auch der jetzt formulierte Zusatz ganz gut. Nur: Wo nix steht, kann nix interpretiert werden – die Arbeitsstandards werden nur prosaisch erwähnt, hier muss der Vertrag geändert werden, interpretieren hilft da nicht. Die Sonderklagerechte für Konzerne stehen bekanntlich immer noch im Vertrag, werden jetzt aber genauer interpretiert. Doch im Zweifelsfall gilt der Vertragsinhalt und nicht die Zusatzerklärung. Der Böse ist hier übrigens die EU-Kommission und nicht Kanada – die Sonderklagerechte wünscht sich die EU.

Mit Blick auf die umstrittenen Schiedsverfahren soll der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aufgefordert werden, ein Gutachten zu erstellen. Was erwarten Sie davon?

Er könnte höchstens dafür sorgen, dass die einseitigen Klagerechte etwas seltner angewendet werden. Garniert mit einigen Forderungen bezüglich der Ausgestaltung eines völlig idiotischen Systems. Aber höchstens vielleicht. Zwischen Industriestaaten sind diese Sonderklagerechte eine einseitige Besserstellung großer Unternehmen und das ist – egal wie es ausgestaltet wird – falsch.

Sigmar Gabriel hat sich und die SPD kürzlich für den Umgang mit CETA gelobt. „Ich finde, die SPD kann richtig stolz auf sich sein, dass sie das Für und Wider solcher Abkommen in Ruhe diskutiert hat mit einem langen Prozess.“ Die SPD sei die einzige Partei, die in Deutschland das sachlich erörtert habe. In der Union und bei der FDP habe es dagegen sofort Zustimmung gegeben, während Grüne und Linke sofort dagegen gewesen seien – jeweils ohne dass klar gewesen sei, wie das Abkommen letztlich aussehen würde. Stimmen Sie dem zu?

Ähem, die SPD hat diskutiert, ja, aber nicht „in Ruhe“ (und auch nicht als einzige), sondern immer stärker unverhohlen drohend – bis hin zum Sonderparteitag im September, für den Gabriel mal eben nach Kanada jettete um die Delegierten zu beeindrucken.

Meines Erachtens diskutieren wir bei CETA schon immer faktenbasiert. Die Inhalte des Abkommens sind seit ewigen Zeiten bekannt, seit 2012 gibt es Leaks, seit 2014 ist der komplette Text bekannt. Ich möchte nicht wissen wieviel Zeit mich das gekostet hat, immer wieder durch dieses 1600-Seiten-pdf zu scrollen. Das ist ja alles erst seit Ende 2013 mit den TTIP-Protesten in die Medien gekommen. Außerdem kann man prinzipiell gegen Freihandel sein: Wer ökologische Probleme ernst nimmt, muss sich für weniger Welthandel stark machen und kann nicht altbackene Verträge gutheißen, die das alleinige Ziel haben, mehr Warenaustausch hinzubekommen.

Unterstützung finden die Proteste gegen CETA und TTIP auch von der AfD, der Identitären Bewegung und rechtsextremen Parteien quer durch Europa. Was ist der Unterschied zu eurer Ablehnung?

Für Rechte ist Freihandel „ein Schlag ins Herz der Nation“ (Trump); Progressive sehen Demokratie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit gefährdet. Für die Rechten gibt es eine Entfremdung vom „Volkskörper“, für uns eine Entfremdung des Menschen von sich selbst. Und für beide Seiten gibt es Verlierer der Globalisierung, die sie vermeiden wollen – für uns durch „faire“ Abkommen, „fairen“ Handel, fixierte Arbeitsstandards und so weiter, und bei den Rechten durch eine Rückkehr in die schützende Sippe oder den nationalen Container und die Abwehr von allem Bösen (=Fremden).

Gut, aber wir argumentieren ja auch für mehr regionale Wirtschaft.

Ja natürlich, Regionen sind aber was völlig anderes als Nationen. Regionen sind Nahräume. Nebst aller Kritik an den Vertragsinhalten lehne ich CETA und TTIP schon deshalb ab, weil sie den Welthandel vergrößern sollen – und das ist ökologisch eine Katastrophe. Ich will nicht in nationale Container kriechen. Wir sollten ein Europa der Regionen stärken, wo ein starker Staatenbund den Menschen Freizügigkeit garantiert – aber nicht den Waren. Wir brauchen Weltoffenheit für Menschen, aber nicht für alle Produkte und schon gar nicht mit der Begründung, dann gäbe es mehr Wettbewerb und der sei sowieso immer gut. Es ist Quatsch, Milch oder Äpfel global zu handeln, es ist kein Quatsch, komplexe Betriebssysteme oder Großraumflugzeuge weltweit zu handeln. Deshalb: Regionen brauchen mehr Rechte, regionale Wertschöpfungskreisläufe zu fördern. Wir sollten mehr differenzieren.

Das klingt sehr komplex, wie grenzt ihr Euch denn zum Beispiel bei Demos konkret gegen Rechte ab?

Bei den Demos im September gab es etwa eine von allen beteiligten Organisationen unterstützte und verbreitete Erklärung: „Wir treten für eine solidarische Welt ein, in der Vielfalt eine Stärke ist. Auf unseren Demonstrationen gibt es keinen Platz für Rassismus, Rechtspopulismus und Antiamerikanismus“. Das fand ich recht gelungen. Die AfD hatte auch offiziell angefragt, ob sie an Demos teilnehmen dürfe, es wurde abgelehnt, logisch. Wenn dennoch Rechte auf den Demos auf sich aufmerksam machten, wurden sie von Ordnern, und wenn das nicht ging, von der Polizei von dem Demonstrationszug abgetrennt. Mehr kann man nicht machen.

Trotzdem scheinen manche Journalisten es als ihre Aufgabe anzusehen, uns in die Nähe von Rechtspopulisten zu schreiben. Deren Geschreibe halte ich für ebenso problematisch wie das völkische Getue der AfD. Gute Journalisten sollten Rechtspopulisten wie die AfD demaskieren – ihre reaktionäre Vorstellung von der Einigelung der Menschen in fiktiven Normfamilien oder Normnationen, deren fatale Position zum Mindestlohn, ihr Wunsch nach Steuerentlastungen von Besserverdienern, Rentenkürzungen etc. Ganz abgesehen von deren Verharmlosung von Kernenergie oder Klimawandel.

Eine allerletzte Frage: Wie steht es eigentlich um das Volksbegehren um CETA – war das jetzt alles überflüssig?

Nein, überflüssig war das nicht, schon weil wir die Sammlung von inzwischen über 85.000 Unterschriften (25.000 hätten genügt!) mit Gesprächen zum Thema verbunden haben. Mit dem Volksbegehren soll der bayerische Ministerpräsident gezwungen werden, im Bundesrat gegen CETA zu stimmen. Bis Anfang Dezember muss nun das Innenministerium über die Zulässigkeit des Begehrens entscheiden, und dann muss sich auch erst noch herausstellen, ob der Bundesrat überhaupt bei der Ratifizierung von CETA gefragt werden muss. Falls nicht, werden wir auch hier wieder protestieren müssen. Da ist noch einiges zu tun, wenn wir CETA tatsächlich kippen wollen.