Ein Handelsabkommen wie Ceta ist nicht die richtige Antwort auf Trump. Es verhindert Alternativen und einen Paradigmenwechsel. Der Debattenbeitrag von Pia Eberhard, erschienen ist er Anfang dieser Woche in der Frankfurter Rundschau.
Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Europaparlament beschwören Befürworter das EU-Kanada-Abkommen Ceta als „fortschrittlich“. Ceta sei die „Blaupause einer fairen, sozialen und ökologischen Handelspolitik“ – und eine Art Bollwerk gegen ein unfaires TTIP zwischen der EU und den USA, das US-Präsident Trump den Europäern doch noch aufnötigen könnte. Ein „Ja“ zu Ceta sei zudem ein starkes Signal für eine „regelbasierte Globalisierung“, die mit Trump auf dem Spiel stehe (siehe den Gastkommentar von Jakob Weizsäcker und Sebastian Dullien, Frankfurter Rundschau vom 24. Januar).
Dabei sind genau die in Ceta enthaltenen Regeln das Problem. Sie werden die Globalisierung weiter im alleinigen Interesse von Konzernen gestalten, ohne wirksamen Schutz für Arbeitnehmer und die Umwelt und unter massiver Beschneidung demokratischer Handlungsspielräume.
Paradebeispiel Nummer 1: die Sonderklagerechte für Konzerne. Sie räumen kanadischen Investoren das exklusive Recht ein, europäische Gerichte zu umgehen und die EU und ihre Mitglieder vor Schiedsgerichten zu verklagen. Da Ceta im Grunde die gleichen Investorenrechte enthält wie bestehende Abkommen, werden Konzerne damit weiter Schadenersatz einklagen können, wenn Politik ihre Investitionen bedroht – sei es wegen Gesundheits- oder Umweltschutz oder durch Sozial- und Wirtschaftspolitik. Anders als nach deutschem Recht könnten Staaten mit Ceta sogar dazu verurteilt werden, Investoren für entgangene zukünftige Gewinne zu entschädigen. Bisher sind diese Milliarden überwiegend auf den Konten großer Konzerne wie Siemens, Exxon Mobil und der Deutschen Bank gelandet.
Zwar wären Ceta-Klagen transparenter als heute und die Schiedsgerichte würden öffentlich ernannt. Aber: Lukrative Tagessätze von 3000 US-Dollar wären ein starker Anreiz für die Schiedsrichter, zugunsten der klagenden Investoren zu entscheiden. Und: Das Klagerisiko und die Gefahren für politische Gestaltungsspielräume wären unter Ceta teilweise sogar höher als bei bestehenden Verträgen.
So können Investoren mit Ceta leichter gegen Bankenregulierung vorgehen als unter dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta. Der explizite Schutz ihrer „legitimen Erwartungen“ gibt Investoren ein scharfes Schwert zur Bekämpfung demokratischer Politik in die Hand, das bisher so nicht in Investitionsverträgen zu finden war. Und aufgrund der hohen Kapitalverflechtung zwischen Kanada und den USA werden nicht nur kanadische, sondern auch viele US-Konzerne mit Ceta klagen können. Ölriesen wie Chevron und Chemiemultis wie Dow werden sich über dieses TTIP durch die Hintertür freuen.
Regulierungen können angegriffen werden
Paradebeispiel Nummer 2: die Liberalisierung im Dienstleistungsbereich. Sie folgt erstmals in einem EU-Vertrag dem Modell der „Negativliste“, für das Konzern-Lobbygruppen jahrelang mobil gemacht hatten. Die Negativliste bedeutet, dass grundsätzlich alle Dienstleistungen liberalisiert, also Regeln, die den Wettbewerb beschränken, abgebaut werden müssen, wenn sie nicht explizit ausgenommen werden. Und die Ausnahmen sind löchrig.
So gilt kein einziger der Vorbehalte zum Schutz der Daseinsvorsorge, die in Ceta enthalten sind, für die Konzernklagerechte. Regulierungen in Bereichen wie dem Gesundheitswesen oder der Wasserversorgung können somit angegriffen werden. So wie in einer 90-Millionen-Euro-Klage gegen Estland, wo sich Behörden geweigert hatten, die Wasserpreise zu erhöhen. Oder wie in einem Verfahren gegen die Slowakei, die aufgrund eines vergleichbaren Vertrages zur Zahlung von 22 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt wurde, nachdem dort Krankenversicherer verpflichtet worden waren, gemeinwohl- statt profitorientiert zu wirtschaften.
Die Beispiele verdeutlichen den anti-demokratischen Charakter von Ceta und anderen Handelsabkommen wie TTIP: Durch sie werden bestehende Eigentums- und Wirtschaftsverhältnisse völkerrechtlich fixiert. Das beschneidet den Spielraum der Politik, Allgemeinwohl- gegenüber Profitinteressen durchzusetzen. „Neuen Konstitutionalismus“ nennt das der kanadische Politikwissenschaftler Stephen Gill: eine globale Verfassung des Neoliberalismus, die einen Umstieg auf andere Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepte unmöglich macht. Man könnte auch sagen: Klassenkampf von oben.
Aufschlussreich ist deshalb auch, was es im Ceta-Vertrag nicht gibt. Einklagbare Rechte für Arbeitnehmer beispielsweise. Oder Sanktionsmechanismen zur effektiven Durchsetzung der Umweltschutzstandards. Oder Pflichten für Unternehmen. So hat der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty angeregt, Handelsbegünstigungen nur dann zu gewähren, wenn Unternehmen ein Mindestmaß an Steuern zahlen und Schadstoff- beziehungsweise Treibhausgas-Emissionen reduzieren.
In einer Zeit von Klimawandel, einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und einem sich vielerorts verschärfendem Rechtsruck ist es schlicht zynisch, Ceta als „Signal der Solidarität“ und „Blaupause einer fairen, sozialen und ökologischen Handelspolitik“ ins Spiel zu bringen. Ceta birgt vielmehr das Potenzial, genau die gesellschaftlichen Probleme zu verschärfen, die Futter für die menschenverachtende Politik von Trump, AfD & Co. sind: die soziale Ungleichheit, die politische Exklusion weiter Teile der Bevölkerung und die Krise der Demokratie im Kontext neoliberaler Alternativlosigkeit.
Stattdessen braucht es einen Paradigmenwechsel hin zu einer demokratischen Handelspolitik im Interesse von Mensch und Umwelt. Eine Ratifizierung von Ceta würde uns Lichtjahre davon entfernen.
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Pia Eberhardt arbeitet für die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory (CEO). Sie reagierte damit auf einen Beitrag, der angesichts der neuen US-Politik für CETA plädierte: Eine Ratifizierung würde „die handelspolitische Handlungsfähigkeit Europas signalisieren“ und wäre „ein Signal der Solidarität“ mit Kanada, hatten da Jakob Weizsäcker, SPD-MdEP, und Wirtschaftsprof Sebastian Dullien geschrieben, siehe hier.