„Der Freihandel ist in Wahrheit ein Zwangshandel“

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Christian Felber kämpft für einen faireren Handel und will Firmen belohnen, die dem Gemeinwohl dienen. Das sagt er in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (erschienen am 7. Juni 2017).

Interview von Alex Rühle

Nach dem Fall der Berliner Mauer schien die Globalisierung unaufhaltsam zu sein. Für Befürworter wie für Kritiker wurde sie zum Begriff unserer Epoche. Eine Feuilleton-Serie fragt, ob die weltweite Verflechtung in der Ära von Donald Trump, von Populismus und neuem Nationalismus ins Stocken gerät – und wie es eigentlich weitergeht mit dem globalen Bewusstsein.

SZ: In Österreich forderten 135 Ökonomen, dass Ihr Foto aus einem Schulbuch entfernt wird. Sie waren da neben Marx, Meynard Keynes und Milton Friedman zu sehen. Einige forderten gar, dass das Buch aus dem Verkehr gezogen wird. Sind Sie so ein schlimmer Mensch?

Christian Felber: Da müssen Sie die Ökonomen fragen. Die sagten, ich sei kein Wissenschaftler. Das stimmt. Sie sagten, ich sei nur ein Aktivist. Das stimmt nicht, ich habe 16 Bücher geschrieben und unterrichte an Universitäten.

Sie sind ein scharfer Kritiker unseres Freihandelssystems. Warum?

Weil der vermeintliche Freihandel in Wahrheit ein Zwangshandel ist. Freihandel suggeriert, dass sich Länder frei entscheiden können, wie offen sie sein wollen. Das können sie aber nicht. Sie dürfen ausländische Investitionen nicht regulieren. Sie können keine freie Arbeitsmarkt-, Struktur- und Regionalpolitik gestalten. Wo ist da die Freiheit?

Hat der Freihandel den Europäern und Amerikanern nicht immerhin Wohlstand und Wachstum beschert?

Kein Land ist je durch Freihandel reich geworden. Alle Länder mit hohem Prokopfeinkommen haben das durch Protektionsmaßnahmen geschafft, indem sie also ihre Wirtschaft geschützt haben. Die deutsche Zollunion hat sich das im 19. Jahrhundert von Großbritannien abgeschaut und Zölle von 60 Prozent verlangt – nur so konnte Deutschland seine erste Industrialisierungswelle im 19. Jahrhundert erfolgreich durchlaufen. Die Länder, die heute zum Freihandel gezwungen werden, haben ein geringeres Prokopfeinkommen als Deutschland, die USA oder Großbritannien im 19. Jahrhundert. Während Deutschland aber damals Schutzzölle von 60 und die USA von 40 Prozent hatten, zwingen wir afrikanische oder asiatische Länder heute dazu, alle Zölle zu eliminieren.

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Hat Trump also doch recht? Er propagiert ja Strafzölle und andere protektionistische Maßnahmen.

Es ist nicht komplett falsch, wenn er darauf reagiert, dass die Durchschnittseinkommen in den letztem 30 Jahren in den USA geschrumpft sind und die Zahl der prekären Jobs zunimmt. Er reagiert aber völlig unsystematisch, unsolidarisch und nationalistisch. Das ist genau das Gegenteil eines ethischen Welthandels.

Womit wir bei einem zentralen Begriff Ihrer Theorie wären. Sie propagieren eine neue Form des internationalen Handels und haben die „Gemeinwohlökonomie entwickelt“, in der ethisches Wirtschaften belohnt wird. Wie wird das umgesetzt?

Jedes Land soll die Freiheit haben, sich so weit zu öffnen oder zu schützen, wie es will. Allerdings müssten sich alle Länder zu ausgeglichenen Handelsbilanzen verpflichten. Nur dann kann kein Land seine Handelsstärke oder sein Schutzbedürfnis gegenüber anderen ausspielen.

Angesichts unserer Handelsüberschüsse werden das viele in Deutschland nicht gerne hören.

Die Regierung vielleicht nicht. Aber viele Menschen wünschen sich eine gerechte Welt und keine, in der Staaten die nationalen über die internationalen Interessen stellen und somit andere Staaten in den Ruin treiben. Wenn ich es zu meinem langfristigen strategischen Ziel mache, Ihnen jedes Jahr mehr zu verkaufen als ich Ihnen abkaufe, dann sind Sie irgendwann insolvent. Genauso ist es zwischen den Staaten.

Angela Merkel sagte gerade, Europa müsse sich auf sich selbst besinnen. Sie haben vor Monaten schon geschrieben, die Alternative zu Trump laute „Nein zu Ceta und Ja zu einer EU-Handelspolitik auf Basis ihrer Werte“. Wie müsste diese neue Handelspolitik aussehen?

Wenn Merkel meint, dass Europa statt mit einem einzelnen mächtigen Land bilateral zu paktieren, allen Ländern anbietet: Lasst uns die Menschenrechte auf den Arbeitsschutz, auf die Klimapolitik, auf die gerechte Verteilung anwenden, dann wäre das sensationell. Eine solche ethische Handelszone würde dann bedeuten, dass Länder, die Investitionen regulieren wollen, das auch dürfen. Und dass Länder, die noch nicht auf gleichem Einkommensstand und technologischem Niveau sind, ihre Wirtschaftssektoren schützen dürfen. Das wären endlich gleiche Regeln für alle.

Das klingt sehr idealistisch. Zumal Sie ja die WTO für gescheitert erklären und fordern, die UN müssten die neuen ethischen Regeln für die Weltwirtschaft aufstellen. Ist es nicht naiv, auf die UN zu hoffen?

Warum? Das ist genauso realistisch oder unrealistisch wie den Freihandel einfach außerhalb der UN laufen zu lassen. Der ist ja nur deshalb gegen den Willen von mehr als 100 armen Ländern durchgesetzt worden, weil die EU sich dafür eingesetzt hat.

Und jetzt soll dieselbe EU das Gegenteil durchsetzen?

Würde man die Menschen abstimmen lassen, ob wir die Regeln für den Welthandel außerhalb der UN ohne Rücksicht auf Menschen- und Arbeitsrechte und Umweltschutz, kulturelle Vielfalt und sozialen Zusammenhalt festlegen – oder innerhalb der UN unter Berücksichtigung all dieser Punkte – es gäbe kein Land, dass gegen diese Idee stimmen würde.

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Orwell schrieb 1945, es sei „keineswegs sicher, dass wir uns höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, bessere Wohnungen, eine umfassende Sozialversicherung leisten können, wenn wir die Vorteile preisgeben, die wir aus der kolonialen Ausbeutung ziehen.“ Das gilt doch immer noch. Die einen gewinnen, weil die anderen verlieren. Werden die Europäer ein System aufgeben, von dem sie profitieren?

Es gab schon zwei Anläufe, eine gerechtere Weltordnung durchzusetzen: 1944 wollten alle Länder bis auf eines eine faire Handelsorganisation einführen. Die USA haben das abgeschossen. 1967 haben wiederum 77 Staaten vorgeschlagen, den Welthandel von den UN regulieren zu lassen. So entstand die Unctad. Die Regierungen von Deutschland und Österreich haben das boykottiert, weshalb die Unctad keinerlei Regelungskompetenz hat.

Sie hoffen jetzt auf einen dritten Anlauf?

Die EU müsste mit anderen Staaten eine ethische Handelsgruppe starten und nicht warten, bis die USA, Großbritannien, China oder Russland mitmachen. Die WTO hat auch mit nur 67 Staaten begonnen.

Darunter aber die stärksten Staaten.

Die EU ist größter Handelsplayer der Welt.

Sie sagen selbst, dass die Regierungen das nicht machen werden, hoffen aber auf eine Art basisdemokratisches Korrektiv?

Ich hoffe nicht, ich arbeite daran. Mit dezentralen Verfassungskonventen auf kommunaler Ebene. Jeweils 50 bis 100 Menschen überlegen: Soll die EU ihre Wirtschaftspolitik nach dem Paradigma des Freihandels oder des ethischen Welthandels ausrichten? Dann wird abgestimmt. Aus den kommunalen Konventen müssten dann Bundes- oder sogar europäische Konvente zusammentreten und über die erarbeiteten Lösungen abstimmen. Wir hätten eine neue, bessere Außenhandelspolitik.

Sie wollen Unternehmen außerdem zu ethischem Wirtschaften bewegen. Einige machen das ja bereits.

Seit sechs Jahren. Insgesamt 2250 Unternehmen, die es nicht länger akzeptieren, dass sie Nachteile haben, wenn sie sich engagieren oder nachhaltig produzieren. Im Grundgesetz, Artikel 14, steht, dass Unternehmenseigentum verpflichtet und dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Wir fügen jetzt zwei Sätze an: Unternehmen sollen nachweisen, was sie zum Gemeinwohl beitragen. Und Unternehmen, die einen höheren Beitrag zum Gemeinwohl leisten, sollten Vergünstigungen bekommen, damit aus ihrem heutigen Wettbewerbsnachteil eines Tages ein Vorteil wird. Die 400 Unternehmen messen jetzt schon, wie sie die Grundwerte Menschenwürde, Solidarität, Nachhaltigkeit und Demokratie leben. Dafür verdienen sie Punkte, für die es rechtliche Anreize gibt. Am Ende sollten die ethisch erzeugten Produkte für die Verbraucher preisgünstiger sein als die weniger ethischen. Nur die nachhaltigen Unternehmen werden dauerhaft überleben.

Gibt es Gemeinden oder Bundesländer, die sich Ihrer Gemeinwohlidee verpflichtet haben?

Die Regierungen von Salzburg, Valencia und Baden-Württemberg haben das in ihre Verfassungen aufgenommen. Speerspitze ist Valencia, da passiert schon enorm viel. Es gibt dort ein landesweites Register, in dem alle Gemeinwohlbetriebe eingetragen werden.