Ruhe hier!

Für die EU, die am vergangenen Wochenende das Handelsabkommen mit Mexiko unterzeichnet hat, gilt immer noch die Devise: Was wir verhandeln, geht niemanden was an. Das schreibt das Online-Magazin „blickpunkt-WiSO“ auf Basis eines Beitrags von Corporate Europe Observatory.

Zu mehr Offenheit und Öffentlichkeitsbeteiligung aufgefordert, bewirbt die Europäische Kommission ihre Handelsverhandlungen als transparent und integrativ. Wichtige Informationen über EU-Handelsabkommen werden den Bürgerinnen und Bürgern jedoch weiterhin vorenthalten.

Selbst die Regierungen der Mitgliedstaaten beklagen sich regelmäßig darüber, dass sie im Dunkeln gelassen werden. Gleichzeitig haben weiterhin die Unternehmen bei den EU-Handelsgesprächen das Sagen.

Im Januar 2018 sagte die für Handel zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström ▸zu Reportern, dass „Transparenz unerlässlich ist, um die Bürger über unsere Handelspolitik zu informieren und Vertrauen in unser Handeln aufzubauen“. Im Mai 2017 ▸klang das Drehbuch ganz ähnlich: „Ich verpflichte mich, wie bei allen unseren Verhandlungen für Transparenz und Engagement zu sorgen“, so Malmström damals.

Bezogen auf das Handelsabkommen zwischen der EU und Japan (JEFTA), das kurz vor der Ratifizierung steht und das im April 2018 auf der Tagesordnung des EU-Rates stehen könnte, erklärte die Kommissarin: „Berichte über alle letzten Verhandlungsrunden mit Japan sind auf unserer Website abrufbar, ebenso wie unsere neuen Verhandlungsvorschläge“.

Diese Behauptung ist leider falsch. Der Verhandlungsführer der EU für das Abkommen zwischen der EU und Japan ▸war im Juni und Oktober 2017 in Tokio, obwohl die letzte Verhandlungsrunde bereits offiziell abgeschlossen war. Informationen über diese Besuche findet man nirgendwo auf der Kommissions-Website. So viel zu den Verpflichtungen und Versprechungen… Was passiert hinter den Kulissen, wenn die EU Handelsabkommen aushandelt? Stimmen die Aktionen hinter den Kulissen mit dem offiziellen Drehbuch überein?

Auch die Mitgliedstaaten müssen schweigen, wenn die EU verhandelt

Laut internen Dokumenten aus den EU-Mitgliedstaaten, die von uns eingesehen wurden, beschweren sich sogar die nationalen Regierungen regelmäßig über die Nicht-Informationspolitik der Kommission in Sachen laufende Handelsverhandlungen. Diese Politik erscheint in der Endphase von Verhandlungen besonders streng. Nehmen wir zum Beispiel das Mercosur-Abkommen, das derzeit zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay ausgehandelt wird. Bei einem Meeting am 17. November letzten Jahres „drängte eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten, die sich zu Wort gemeldet hatten, gegenüber der Kommission auf Zugang zu Dokumenten und auf genügend Zeit für deren Prüfung.“

Einen Monat zuvor hatte sich Frankreich darüber beschwert, von der Kommission nicht ausreichend über die Mercosur-Gespräche informiert worden zu sein. Spanien hatte darum gebeten, die Kapitelentwürfe des vorgeschlagenen Handelsabkommens prüfen zu können, um die Fortschritte zu bewerten. Mit anderen Worten: Zu diesem Zeitpunkt wussten die EU-Mitgliedstaaten nicht, was die Kommission in ihrem Namen verhandelte – auch nicht über umstrittene Marktöffnungen im Agrarsektor, die Landwirte und Verbraucher in der gesamten EU beunruhigt haben.

Diese Geheimhaltungspolitik scheint so rigide zu sein, dass die französische Regierung kürzlich sogar die Notwendigkeit sah, die Kommission an die Bedeutung rechtzeitiger Konsultationen mit den Mitgliedstaaten in allen Phasen der Handelsverhandlungen und insbesondere in den letzten Phasen zu erinnern. Es scheint, dass die Kommission die Mitgliedstaaten bei den Verhandlungen nicht als wichtige Akteure betrachtet.

Das Großkapital kann noch immer die Verhandlungen mitgestalten

Welche Akteure sollen nach der Kommission dann aber an den EU-Handelsverhandlungen teilhaben? Im Dezember 2017 betonte sie, wie wichtig es sei, „die Perspektiven und Erkenntnisse einer breiten und ausgewogenen Gruppe von Interessengruppen zu berücksichtigen, die von Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen bis zu Verbrauchergruppen und anderen Nichtregierungsorganisationen reicht“. Ein genauerer Blick auf die mächtigsten Schauspieler auf der Bühne zeichnet allerdings von den Hauptrollen ein anderes Bild.

Einer dieser Akteure, die eine einflussreiche Rolle spielen, ist das Großkapital. Es ist nicht nur ein einflussreicher, sondern auch ein privilegierter Akteur mit besonderen Zugängen.

Schauen wir uns das Handelsabkommen zwischen der EU und Japan noch einmal an: Zwischen dem 10. Januar 2014 und dem 12. Januar 2017 fanden 213 externe Treffen mit Lobbyisten statt, um Einzelheiten des Abkommens zu erörtern. ▸89 Prozent dieser Lobbyisten vertraten Unternehmen. Kein einziges dieser 213 Treffen fand mit Vertretern von Gewerkschaften oder einem Verband kleiner und mittlerer Unternehmen statt. Nach neueren Zahlen bezüglich der Lobbysitzungen in der Endphase der Verhandlungen im Jahr 2017 gefragt, weigerte sich die EU-Kommission, zu verraten, mit wem sie in dieser Zeit zusammenkam, ▸da ihre Mitarbeiter alle vorhandenen Ressourcen für den Abschluss der Verhandlungen mit Japan einsetzten, was es zu aufwändig mache, die scheinbar zu umfangreiche Liste der Lobbygruppen zu enthüllen. Mit anderen Worten, die Öffentlichkeit zu informieren gilt lediglich als schöne Möglichkeit – in Zeiten, in denen die Kommission nicht zu beschäftigt ist.

Und selbst das betrifft nur die Treffen zum EU-Japan-Handelsabkommen, die am offiziellen Set stattgefunden haben. Hinter den Kulissen werden Vertreter der japanischen Wirtschaft in Europa zu informellen Brüsseler Abendessen eingeladen, damit sie mit Abgeordneten aller Parteien und mit Beamten der Europäischen Kommission zusammentreffen können. Der Regisseur dieser inoffiziellen Inszenierungen: ▸eine Kommunikationsagentur und ihre Firmenkunden.

Ein einflussreicher Akteur ist der EU Japan Business Roundtable, ein Zusammenschluss der Köpfe führender europäischer und japanischer Unternehmen, darunter Airbus, Mitsubishi, Bayer, BNP Paribas, Nissan, Sony, Ikea, Volkswagen. Sie hielten jährliche Treffen mit hochrangigen Entscheidungsträgern aus der EU und Japan ab. Als wir im Juli 2017 weitere Informationen über die Treffen zwischen diesem Runden Tisch der Unternehmenslobby und EU-Beamten anforderten, reagierte die Europäische Kommission nicht auf ▸unsere Anfrage nach Dokumenten. Privilegierter Zugang mit Geheimhaltung also.

Im April 2015 ▸teilte die Europäische Kommission den Unternehmensbossen mit, dass „die europäische Industrie über die Entwicklungen der Verhandlungen durch eine Reihe von Dialogveranstaltungen (Treffen mit Business Europe, sektorale Industriedialoge, allgemeine Treffen mit der Zivilgesellschaft, an denen auch die Industrie teilnimmt) regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht wird. Außerdem haben wir viele bilaterale Treffen mit Industrieverbänden oder interessierten Unternehmen und sind immer offen für alle entsprechenden Anfragen, die wir erhalten.“ Es scheint, dass die Kommission für das Big Business nie zu beschäftigt ist.

Da ist es kein Wunder, dass das Großkapital den JEFTA-Text begrüßte, ▸insbesondere das Kapitel über die Zusammenarbeit im Regulierungsbereich. Es räumt den Unternehmen das Privileg ein, mit den Regulierungsbehörden an einem Tisch zu sitzen und gemeinsame Standards festzulegen.

Und bitte schweigen Sie – wir verhandeln jetzt!

Während die EU ihre Verhandlungen in enger Zusammenarbeit mit dem Großkapital führt, ist es für die Bürgerinnen und Bürger fast unmöglich, dem Verhandlungsprozess folgen, geschweige denn die Details im Blick zu behalten.

Was die Abkommen zwischen der EU und Japan betrifft, so sind zwar einige Dokumente ▸auf der Website der Kommission verfügbar, doch die kontroversesten Texte sind nirgendwo zu finden. Über die laufenden Investitionsverhandlungen zwischen der EU und Japan beispielsweise liegen keine Informationen vor. Außerdem sind die Dokumente, die auf der Website der Kommission präsentiert werden, in der Regel die ▸eigenen Textvorschläge der EU, also nur die Dokumente, die die EU an den Verhandlungstisch bringt. Die Dokumente, die aus den eigentlichen Verhandlungen kommen, erreichen selten die Öffentlichkeit.

Im Falle des Handelsabkommens EU-Mercosur beispielsweise können Sie die Textvorschläge der EU zu bestimmten Kapiteln des Abkommens leicht online finden. Aber nur dank der freihandelskritischen Webseite ▸bilaterals.org kann die Öffentlichkeit den eigentlichen Verhandlungstext einsehen und einen Blick auf das umstrittene Kapitel über die Anwendung der Vorschriften für Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzengesundheit werfen. Das sind sehr wichtige Teile des Textes, da sie die ▸Pläne der EU offenlegen, mit den größten Nutzern gentechnisch veränderter Pflanzen in der Welt zusammenzuarbeiten – und zwar zu genau diesen gentechnisch veränderten Pflanzen! Natürlich wird dieses Kapitel nicht auf der Website der Kommission zur Verfügung gestellt. Und es überrascht nicht, dass das sehr unbeliebte Wort „Biotechnologie“ in der öffentlichen Darstellung der Kommission keine Rolle spielt. Ähnliche Dialoge finden auch auf der Grundlage von CETA statt, dem Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Um weitere Informationen zu solchen bilateralen Handelsdialogen – über die Themen Energie, Finanzen, öffentliche Gesundheit usw. – gebeten, gab die Kommission ▸nur drei von 23 angeforderten Dokumenten vollständig frei.

Die Öffentlichkeit wird lediglich als Publikum betrachtet. Dieses Publikum soll nur sehen, was die Kommission bereits angenommen und für angemessen erachtet hat.

Man wird um die Feststellung nicht herumkommen, dass die Bürgerinnen und Bürger über die EU-Handelsverhandlungen unzureichend informiert und sogar teilweise irregeführt sind. Dies ist besonders besorgniserregend angesichts anderer wichtiger Vereinbarungen, die die Kommission in den letzten Jahren entweder abgeschlossen (Singapur, Vietnam), unterzeichnet (Mexiko) oder zu verhandeln begonnen hat (Mercosur).

Geheime Verhandlungen abseits der Öffentlichkeit sollten der Vergangenheit angehören, aber im Drehbuch der Kommission spielen die üblichen Unternehmensverdächtigen immer wieder die Hauptrollen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen bekommen bestenfalls Nebenrollen. EU-Handelsabkommen beeinflussen alles in unserem täglichen Leben, von den Nahrungsmitteln, die wir essen, über die Energiewende, die für die Bekämpfung des Klimawandels unerlässlich ist, bis hin zu den sozialen Schutzmaßnahmen, die für unser Wohlergehen entscheidend sind, und dem Finanzsystem, das wir in Krisenzeiten retten müssen (oder auch nicht). Diese Handelsabkommen werden jedoch hinter den Kulissen ausgehandelt, außerhalb der Reichweite der Bürgerinnen und Bürger und fernab der öffentlichen Kontrolle, an die uns die Kommission glauben machen will.


Dieser Artikel erschien im englischsprachigen Original auf der ▸CEO-Homepage. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung. Übersetzung: Patrick Schreiner.

Corporate Europe Observatory (CEO) ist eine Forschungs- und Kampagnenorganisation, die sich dem Einfluss von Unternehmensinteressen auf EU-Politik widmet.