Vattenfall vs. BRD: Sechs Milliarden für zwei schrottreife Atommeiler?

Schattenjustiz: Vom Internationalen Schiedsgericht ICSID bekommen Konzerne oft recht

Vieles deutet darauf hin, dass sich ein langes Schiedsgerichtsverfahren dem Ende zuneigt: 2012 hatte der schwedische Energiekonzern Vattenfall die Bundesrepublik auf rund 4,4 Milliarden Euro verklagt. Grund: Mit der Atomwende nach Fukushima musste das Staatsunternehmen zwei Atommeiler schließen – die allerdings nicht betriebsfähig waren. Laut Medienberichten könnte der Prozess teurer werden als gedacht – und zuungunsten Deutschlands enden.

Entschädigungsklagen für entgangene Profite sind nach der Energiecharta möglich, die von vielen europäischen Staaten (darunter auch Deutschland) unterschrieben worden sind. Auch die EU-Handelsabkommen mit Kanada (CETA), mit Japan (JEFTA) und mit Singapur sehen die Sonderjustiz vor. Im vorliegenden Verfahren Vattenfall vs. Deutschland wird die Klage vor einem privaten Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington verhandelt, das im Geheimen tagt und gegen dessen Urteil keine Revision möglich ist.

Zum aktuellen Stand des Tribunals hier zwei Berichte. Der erste kommt von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und beschreibt Details der Auseinandersetzung. Der zweite wurde auf der Website von n-tv veröffentlicht; er schätzt, dass das Verfahren für uns noch viel teurer kommen könnte als bisher gedacht.

 

FAZ: Niederlage denkbar (Bericht vom 8. März 2019)

Deutschland ist mit dem Versuch gescheitert, kurz vor einem Urteil in der Milliardenklage von Vattenfall das komplette Schiedsgericht wegen Befangenheit auszutauschen. Die Schiedsorganisation für Investitionsschutzverfahren (ICSID), die in der Weltbank-Gruppe angesiedelt ist, hat einen Antrag der Bundesregierung abgelehnt.

Damit bleiben die drei Schiedsrichter im Amt, auf die sich Berlin und der schwedische Staatskonzern zur Klärung ihres jahrelangen Streits geeinigt hatten. Ein Urteil, das Deutschland nach dem überstürzten Atomausstieg im Frühjahr 2011 mehr als 4,4 Milliarden Euro Schadenersatz kosten könnte, rückt näher.

Man habe dies beiden Parteien in dieser Woche mitgeteilt, heißt es auf der Internetseite der Schiedsorganisation mit Sitz in Washington. Die aus deutscher Sicht ungünstige Entscheidung fällte die derzeitige Interims-Präsidentin der Weltbank, Kristalina Georgiewa, die auch dem Verwaltungsrat der Schiedsorganisation vorsteht.

Die bulgarische Ökonomin füllt von Februar an die Vakanz, die mit dem Rücktritt des langjährigen Vorsitzenden Jim Yong Kim entstanden war. Rückendeckung erhielt sie offenbar auch vom Ständigen Schiedshof in Den Haag. Dorthin hatte sich Deutschland vor wenigen Woche mit einer Rüge gewandt – weil sich die ICSID-Generalsekretärin Meg Kinnear öffentlich in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ zu den Befangenheitsanträgen und der Anfechtung durch Deutschland geäußert hatte.

Taktische Verzögerungen

Nach der Anhörung beider Parteien im Herbst 2016 war mit einer schnellen Entscheidung des Schiedsgerichts unter Vorsitz des erfahrenen Juristen Albert Jan van den Berg gerechnet worden. Der Niederländer ist für seine stringente Verfahrensführung und schnelle Abfassung von Schiedssprüchen in komplexen Investitionsstreitigkeiten bekannt. Und nach einer vorläufigen Einschätzung des Schiedsgerichts sahen die Chancen von Vattenfall im vergangenen Jahr gut aus.

Bislang verzögerte der Bund mehrfach mit taktischen Mitteln eine Entscheidung, etwa indem er das Schiedsgericht nach mehrjähriger Tätigkeit im Sommer 2018 für unzuständig erklären wollte. Das Schiedsgericht wies Behauptungen zurück. Im November folgte dann der nun erfolgslose Befangenheitsantrag gegen die drei Schiedsrichter. Sie sollen aus Sicht der Beklagten schon umfassend im Verfahren erörterte rechtliche und sachverhaltsbezogene Fragen abermals mit den Parteien erörtert haben. Der späte Zeitpunkt und der Inhalt habe „erheblichen Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Schiedsgerichts aufkommen lassen, hieß es im vergangenen November aus dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium.

Vattenfall streitet mit Deutschland schon seit Jahren über in Vertrauen auf Laufzeitverlängerungen getätigte Investitionen an seinen Kernkraftwerken in Krümmel und Brunsbüttel, die infolge des Atomausstiegsgesetz von 2011 aus Sicht der schwedischen Klägerin nutzlos geworden sind.

In der 2012 vor dem ICSID eingelegten Schiedsklage beruft sich Vattenfall auf den Investorenschutz aus der sogenannten Energiecharta. Diesen völkerrechtlichen Vertrag hat neben Deutschland und Schweden auch die Europäische Union unterzeichnet.

 

n-tv: 6,1 Milliarden teuer (Bericht vom 10. April 2019)

Auf mehrere Milliarden Euro Schadenersatz verklagt der schwedische Energiekonzern Vattenfall die Bundesrepublik. Das könnte ein tiefes Loch in die Staatskasse reißen. Die Forderung ist seit Verfahrensbeginn deutlich gestiegen.

Bei der Schadenersatzklage des Vattenfall-Konzerns gegen die Bundesrepublik wegen des deutschen Atomausstiegs beläuft sich die Forderung inzwischen auf mehr als sechs Milliarden Euro. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Linke-Anfrage hervor.

In dem Verfahren vor dem Internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) werde die Klageforderung zwischenzeitlich mit 4,38 Milliarden Euro netto beziffert, inklusive Prozesszinsen mit rund 6,1 Milliarden Euro. Prozesszinsen sind die von der Klägerin im Verfahren geltend gemachten Zinsen auf die ursprüngliche Forderung.

Vattenfall hatte bereits 2012 vor dem Schiedsgericht gegen die dauerhafte Stilllegung der beiden schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel geklagt. Der Konzern will eine „faire Kompensation“ für den entstandenen finanziellen Schaden.

Bundesregierung bestreitet Vorwürfe

Als ausländisches Unternehmen konnte Vattenfall den Gang vor das ICSID antreten und dort die Bundesregierung verklagen. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, die Bundesregierung bestreite die Zulässigkeit der Klage und habe deshalb die Klageforderung vollumfänglich zurückgewiesen. „Darüber hinaus hält die Bundesregierung auch die Zinsforderung für unbegründet.“ Das Verfahren laufe derzeit noch.

Der Bundesregierung lägen keine Informationen vor, wann ein Schiedsspruch ergehe. Der Linke-Politiker Klaus Ernst sagte: „Unabhängig davon, wie das Schiedsverfahren mit Vattenfall letzten Endes ausgehen wird, zeigen die schieren Summen den Wahnsinn dieser Klagemöglichkeiten.“ Es sei verantwortungslos, Verträge mit derartigen Schiedsklauseln mitzutragen und all das Steuerzahlergeld zu riskieren. „Die Bundesregierung ist aufgefordert, solche Verträge schleunigst zu kündigen.“


Was tun?

Gegen die Klagemöglichkeiten der Konzerne läuft derzeit eine europaweite Kampagne, die wir unterstützen. Mehr Informationen finden Sie hier – und unterschreiben können Sie da.