Menschenrechte und Klimaschutz? Sind uns doch wurst!

Die Spitze der EU und die Regierungen von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay haben trotz des Protests von 340 NGOs das Mercosur-Abkommen unterzeichnet. Der Vertrag ist eine Kampfansage an die indigene Bevölkerung und den Regenwald. Noch aber muss er von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden.

In ihrem Offenen Brief hatten die zivilgesellschaftlichen Organisationen hervorgehoben, dass das Abkommen eine weitere Expansion der Agrarindustrie bedeuten und viele bestehende Probleme massiv verschärfen würde: Entwaldung, Verlust von Biodiversität, erhöhte Treibhausgasemissionen, Vertreibungen von KleinbäuerInnen und Indigenen, Verschmutzungen durch Agrochemikalien, Zerstörung lokaler Ökonomien und erhöhte Risiken für Armut und Ernährungsunsicherheit.

In der EU würde dies eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft und mehr Konzernmacht bedeuten, bei gleichzeitiger Zunahme des Höfesterbens in der bäuerlichen – vor allem tierhaltenden – Landwirtschaft. Während Standards bei Tierwohl, Umwelt und Gesundheit in der EU erhöht werden, werden diese gleichzeitig durch das Abkommen unterwandert. Gentechnik, hohe – und schwer kontrollierbare – Risiken bei der Lebensmittelsicherheit und intransparente Kennzeichnung wären eine Weichenstellung, die klar gegen die Interessen von KonsumentInnen und BürgerInnen geht.

Doch auf dem G20-Gipfel in Osaka schlugen die freihandelsbesessenen Regierungen alle Warnungen in den Wind.

Darum geht es:

Die Organisationen attac Österreich und die Österreichische Berg- und KleinbäuerInnen Vereinigung (ÖBV) hatten schon früh die wichtigsten Kritikpunkte zusammengestellt. Hier ein paar Auszüge aus ihrem Papier.

a) Zölle und Quoten

Kernthema des Abkommens ist der Zugang zum europäischen Fleischmarkt und die Zollquoten für landwirtschaftliche Güter. Im Gegenzug erhofft sich die europäische (vor allem die deutsche Autoindustrie) besseren Marktzugang in Südamerika. Zusätzlich geht es im Abkommen um Ursprungsregeln, technische Handelshemmnisse, Dienstleistungen, kommunale Ausschreibungen, geistiges Eigentum, gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen.

Schon jetzt kommen aus dem Mercosur 250.000 Tonnen Rindfleisch auf den Binnenmarkt der EU. Nach bisherigen Informationen dürften die Quoten für Rindfleisch bei knapp 100.000 Tonnen und für Geflügel um rund 90.000 Tonnen erhöht werden. Bei Zucker sind es voraussichtlich mehr als 120.000 Tonnen und bei Ethanol über 600.000 Tonnen.

Nachdem die EU beschlossen hat, die Quoten für US-Rindfleisch massiv zu erhöhen (ebenfalls im Interesse der EU-Autoindustrie, die US-Zölle fürchtet), steigt nun der Druck sich auch mit den Mercosur-Staaten auf eine weitere Ausweitung der Quoten zu einigen.

b) Laxere Lebensmittelkontrollen

Die Erhöhung der Quoten könnte auch mit Lockerungen bei europäischen Antibiotika-Regelungen oder bei Auflagen gegen die Rodung von Wäldern einhergehen. Die EU selbst schlug eine Beschleunigung der Exportgenehmigung für tierische Produkte vor. Das Importland soll auf amtsärztliche Kontrollen einzelner Viehbetriebe verzichten, wenn das Exportland „ausreichende Garantien“ erbringt, die Standards des importierenden Landes einzuhalten – eine weltfremde Klausel angesichts der notorischen Lebensmittelskandale und des chronischen Behördenversagens. Auch die Häufigkeit der Importkontrollen soll sinken. Der Gammelfleisch-Skandal 2017 zeigt, dass hier die Lebensmittelsicherheit aufs Spiel gesetzt werden könnte.

c) Angriff auf das Vorsorgeprinzip

In der EU ist das Vorsorgeprinzip rechtlich verankert. Es ermöglicht Produkten bei Risiken und wissenschaftlicher Unsicherheit (z.B. bei Krankheitserregern, Pestizid- und Tiermedikamentenrückständen oder GVO-Kontamination) die Zulassung zu verweigern. Im gesamten Entwurf des Mercosur-Vertragstextes findet sich nur eine einzige Erwähnung des Vorsorgeprinzips –bezeichnenderweise im nicht-sanktionsbewehrten, also zahnlosen, Nachhaltigkeitskapitel. Vorsorgliche Beschränkungen im Sinne des Vorsorgeprinzips könnten somit als potenzielle Verstöße gegen das Assoziationsabkommen geahndet werden.

d) Wettlauf nach unten bei Preisen und Standards

Die Fleischindustrie im Mercosur setzt auf Masse: Großbetriebe bewirtschaften bis zu 40.000 Rinder oder 100.000 Stück Geflügel. Das setzt einerseits die kleinstrukturierte bäuerliche Landwirtschaft massiv unter Preisdruck und verschärft die Klimakrise, andererseits gefährdet es die hohe Lebensmittelqualität in Europa. Das billige Fleisch wird auf Kosten der lokalen Bevölkerung und Umwelt produziert: Die Massentierhaltung erfolgt auf gerodeten Regenwaldflächen, die für das Klima der ganzen Welt von enormer Bedeutung sind. Tierwohl, Fleischqualität, Biodiversitäts- und Klimaschutz und Menschenrechte spielen keine Rolle.

Die Landwirtschaft und Viehzucht der EU kann mit den Billigpreisen der Mercosur-Importe nicht mithalten. Mit dieser Konkurrenz steigt auch in Europa der Druck in Richtung intensive Landwirtschaft und mehr Einsatz von billigem Kraftfutter. Dabei steht die agrarökologische kleinbäuerliche Landwirtschaft bereits jetzt unter enormem Druck des agroindustriellen Factory- Farmings, sei es in Lateinamerika oder Europa. Je mehr Fleisch importiert wird, desto mehr Regenwald wird gerodet, und desto mehr Landkonflikte gibt es um die Lebensräume von indigenen Bevölkerungsgruppen.

e) Mehr Agrartreibstoffe

Das Kapitel zu “Energy and Raw Materials (ERM)“ soll den Handel mit Agrartreibstoffen (“biofuels”)erleichtern. Diese verursachen in Summe höhere Treibhausgasemissionen als Diesel aus fossilen Brennstoffen. Durch indirekte Effekte auf Landnutzungsänderungen (ILUC) würden zusätzlich Entwaldung und damit verbundene Biodiversitätsverluste die Klimakrise weiter verschärfen – ganz entgegen der Ansagen der EU.

f) Zahnlose Kapitel zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit

Die zahlreichen Landkonflikte, die der Vormarsch des Agrobusiness in den Mercosur-Staaten anheizt, verlangen nach handelspolitischen Regeln, die die Menschenrechte schützen. Allein im Jahr2017 kam es in Brasilien zu 70 Morden an KleinbäuerInnen, Indigenen und AktivistInnen, die sich gegen das vordringende Agrobusiness verteidigten. Gerade in noch waldreichen Regionen, etwa Amazonien oder dem Gran Chaco in Argentinien und Paraguay, bedrohen Viehwirtschaft und Plantagen die ansässige Bevölkerung. Doch das Assoziationsabkommen ist auch in dieser Hinsicht völlig unzureichend. Die Kapitel zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit bieten keine Sanktionsmöglichkeiten und damit keinen ausreichenden Schutz vor Waldvernichtung, Biodiversitätsverlust oder Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen.

g) Undemokratische Gremien als Einfallstor für Industrielobbies

Das Assoziationsabkommen sieht die Einrichtung eines Unterausschusses für Lebensmittelsicherheit vor, was mithin auch IndustrievertreterInnen oder ExpertInnen mit Verbindungen zur Lebensmittelindustrie umfassen kann. Dessen Untergruppen befassen sich unter anderem mit Biotechnologie, Pestizidrückständen, Tierwohl und Antibiotika-Resistenzen. (Mehr Infos in der Langfassung)

h) “Monsanto-Gesetze” und Biopiraterie

Das Abkommen sieht vor, den freien Saatguttausch zu verbieten und zu kriminalisieren. Die geplante Ausweitung geistiger Eigentumsrechte für Agrarkonzerne würde den Zugang von Indigenen und KleinbäuerInnen zu Saatgut erschweren. Dies wäre ein weiterer Schritt in die Privatisierung und Patentierung von Saatgut. Vorgesehen ist auch die Unterzeichnung eines weiteren Abkommens, welche die Patente auf Leben in globalem Maßstab erleichtern soll.

i) Digitalisierung von Machtkonzentration

Im Kapitel über “Electronic Commerce” sollen die Vereinbarungen und die nationalen Regulierungenzugunsten von Konzernen so locker wie möglich ausgestaltet werden. Das würde die Machtkonzentration im IT-Sektor verstärken. Insbesondere Brasilien ist aktuell der Vorreiter im Prozess der Digitalisierung der Landwirtschaft, jedoch unter nahezu vollständiger Kontrolle von einigen wenigen Konzernen.