Der Amazonas-Regenwald wird schneller abgeholzt

In diesem Sommer wurde am Amazonas fast viermal mehr Waldfläche gerodet als in den Jahren zuvor. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro treibt diese Entwicklung voran. Mit ihm hat die EU das Mercosur-Freihandelsabkommen vereinbart. Ein Bericht von Zeit-Online.

In den Monaten von Mai bis Juli wurde in Brasilien viel mehr Regenwaldfläche abgeholzt, als in den gleichen Zeiträumen der Jahre 2016 bis 2018. Das geht aus Satellitendaten hervor, die das brasilianische Weltrauminstitut INPE veröffentlicht hat.

Allein im Juli sind demnach 2.254 Quadratkilometer Regenwald gerodet worden. Vergangenes Jahr betrug die Zahl im selben Monat knapp 597 Quadratkilometer, was einem Anstieg von 278 Prozent entspricht. Im vergangenen Juni lag das Ausmaß der Abholzung bereits 88 Prozent über dem Juni-Wert von 2018. 

Der Amazonas-Regenwald verarbeitet jährlich über zwei Milliarden Tonnen CO2 und erzeugt ein Fünftel des weltweit verfügbaren Sauerstoffs, weswegen er als „Lunge der Erde“ gilt. 60 Prozent des Waldes befinden sich in Brasilien. Auch die indigene Bevölkerung Brasiliens ist auf den Wald als Lebensraum angewiesen und wird zunehmend von der Abholzung zurückgedrängt. Deren Gebiete hat die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro kurz nach Amtsantritt dem Landwirtschaftsministerium unterstellt, was den Schutzstatus der Indigenen bedroht. 

Grund für die massive Abholzung ist vor allem die Agrarindustrie. Brasiliens exportorientierte Landwirtschaft benötigt immer neue Flächen, weswegen im Regenwald und in der Cerrado-Savanne im Südosten Brasiliens riesige Wälder vernichtet werden. Die Landwirtschaft ist für den überwiegenden Teil der CO2-Emissionen des Landes verantwortlich. 2017 stieß Brasilien 2,07 Milliarden Kubikmeter CO2 aus, 71 Prozent davon gehen auf den Agrarsektor zurück. Das hat die nichtstaatliche Initiative Observatório de Clima errechnet. Demnach wurde fast die Hälfte der Emissionen durch die Umwandlung von Regenwald oder Savanne in landwirtschaftliche Flächen verursacht. 

Die gerodeten Flächen werden meistens zunächst als Weideland genutzt, anschließend wird auf ihnen Soja angebaut. Brasilien ist weltweit der größte Exporteur von Soja und Rindfleisch. „Brasilianisches Rindfleisch beeinträchtigt die Umwelt stark“, sagte Gerd Angelkorte, Wissenschaftler an der Universität von Rio de Janeiro. Das Problem sei die geringe Produktivität der heimischen Rindfleischzucht: „Auf einen Hektar kommen im Schnitt 0,7 Rinder.“ Vor allem der illegale Landraub in der Amazonasregion sei ein Problem. Die Regierung müsse viel härter dagegen vorgehen.

Bolsonaro entlässt Forscher lieber, als auf sie zu hören

Unter Bolsonaro ist das sehr unwahrscheinlich. Der Präsident ist ein bekennender Leugner des Klimawandels, und bezweifelt, dass dieser eine Gefahr für die Menschheit darstellt. Erst kürzlich hat er das Budget für Klimaschutz fast vollständig gestrichen. Auch ist Bolsonaro ein Freund der Agrarindustrie. Dementsprechend hat er auch nicht versucht, die Zunahme der Abholzung seit seiner Amtsübernahme am 1. Januar zu rechtfertigen. 

Stattdessen bezeichnete er die von INPE gemessenen Zahlen als „lügnerisch“. Die Behörde würde der Presse „falsche Daten“ liefern und damit „das Spiel der Nichtregierungsorganisationen zu spielen.“ Den Leiter des Instituts, Ricardo Galvão, hat Bolsonaro am vergangenen Freitag entlassen, weil die Veröffentlichung der Zahlen Brasiliens Image schaden würden. Außerdem, sagte Bolsonaro, können die Zahlen nicht stimmen, das sage ihm „sein Gefühl“.

Zu Galvãos Nachfolger an der Spitze des renommierten Klimainstituts ernannte der Präsident Darcton Damião, einen Mann aus dem Militär. Dieser kündigte umgehend an, hohe Abholzungszahlen künftig an Bolsonaro und das Umweltministerium weiterzuleiten, bevor er die Daten publizieren lässt. In einem Interview sagte Damião, er habe sich noch keine Meinung über den globalen Klimawandel gemacht. Er könne nicht sagen, ob es Beweise für eine Erderwärmung gebe oder nicht.  

Auch Brasiliens Handelspläne bedrohen den Amazonaswald

Neben der Personalie Damiãos könnte auch Bolsonaros Handelspolitik einen weiteren Anstieg der Abholzung begünstigen. Das im Juni vereinbarte Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur, dem Brasilien angehört, könnte die brasilianischen Agrarexporte durch Zollabbau weiter ankurbeln. Die EU hat sich in dem Vertrag zwar darauf festgelegt, kein Soja oder Rindfleisch einzuführen, das auf Abholzungsflächen produziert wurde. 

Doch es gibt keine Klarheit darüber, wie dieser Vorsatz umgesetzt werden soll. Gleichzeitig geht die EU-Kommission in den kommenden Jahren von einer Verdreifachung des Fleischexports nach Europa aus – auch wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich bisher weigert, das Abkommen zu ratifizieren, unter anderem wegen Bolsonaros Abholzungspolitik.

In Brasilien wird Bolsonaro deswegen von vielen Seiten kritisiert. Die Organisation SOS Mata Atlântica, die sich für den Erhalt des Amazonaseinsetzt, bezeichnete die jüngsten Abholzungszahlen als schweren Rückschlag. Ihre Projektkoordinatorin Malu Ribeiro sagte über Bolsonaro und seine Regierung: „Sie versuchen gewaltsam eine Agenda des Abbaus, der Deregulierung, umzusetzen, unter völliger Missachtung von Institutionen und Wissenschaft.“ Seit dem Ende der Militärdiktatur 1985 hätte es eine solche Politik nicht gegeben.

Selbst die Agrarindustrie befürchtet Imageverlust

Doch auch Vertreter der Agrarwirtschaft, die sonst zu den wichtigsten Unterstützern des Präsidenten zählen, zeigten sich unzufrieden. Sie wollen unbedingt einen Importstopp ihrer Produkte in die EU verhindern. „Uns gehen wegen Image-Problemen oft Geschäfte durch die Lappen. Die, die aus dem Pariser Abkommen aussteigen wollen, haben noch nie etwas exportiert“, sagte Luiz Cornacchioni, Chef des brasilianischen Agrarhandelsverbandes, der Zeitung O Estado de S. Paulo.

Denn obwohl das Abkommen zwischen EU und Mercosur die Unterzeichner dazu verpflichtet, das Klimaschutzabkommen von Pariseinzuhalten, erklärte Bolsonaro das bereits für unmöglich. Sein Land könne es nicht schaffen, die Treibhausemissionen bis 2030 um 43 Prozent im Vergleich zu 2005 zu reduzieren. Das Ziel könne selbst dann nicht erreicht werden, „wenn wir 100.000 Männer einsetzen, um Wälder aufzuforsten.“ Bereits mehrfach hatte Bolsonaro damit gedroht, aus dem Pariser Abkommen auszusteigen.