Grünen-MdL Erikli: „CETA bleibt ein schlecht verhandeltes Abkommen“

Mitte Juli bat das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel die beiden grünen Landtagsabgeordneten des Landkreises Konstanz, Nese Erikli und Dorothea Wehinger, um eine Stellungnahme, weil wir wissen wollten, wo sie beim EU-Handelsabkommen CETA mit Kanada stehen. Jetzt, zweieinhalb Monate später, erreichte uns die Antwort: Wir warten mal ab.

In unserem Brief vom 15. Juli stellten wir angesichts der Tatsache, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann den klimaschädlichen CETA-Vertrag befürwortet, vor allem zwei Fragen:

„Wie stehen Sie  zur möglichen Missachtung des Parteitagsbeschlusses durch grüne Regierungsmitglieder unter Führung des Ministerpräsidenten?“ Und: „Sind Sie bereit, Ministerpräsident Kretschmann mit höchster politischer Dringlichkeit aufzufordern, beim Zukunftsthema Klimaschutz statt neoliberalem Investorenschutz den Parteistandpunkt zu respektieren?“ 

Außerdem merkten wir an: „Wenn die Grünen bei Herrn Kretschmann im Herbst nicht alles gegen CETA in die Waagschale werfen, werden mehr EU-Investorenschutzabkommen nach dem CETA-Muster folgen. Die Grünen, von denen die deutsche Ratifizierung abhängen wird, würden dann selbst die Axt an den Klimaschutz und an eine künftige ökologische Politik legen.“

Daraufhin antwortete Nese Erikli:

„Herzlichen Dank für Ihre Mail und die Zusendung der Resolution bezüglich CETA. Sie gibt mir die Gelegenheit, nochmals die Anforderungen seitens der grünen Landtagsfraktion an faire Handelsabkommen, die die EU mit anderen Staaten oder Regionen bilateral abschließt, darzulegen.

Die Mitglieder der grünen Landtagsfraktion treten wie die Landes- und Bundespartei Partei Bündnis 90/die GRÜNEN für eine globale Handelspolitik ein, die auf Grundlage global geltender Regeln Wohlstand für alle schafft, fairen Wettbewerb fördert und auf einer ressourcenschonenden Produktionsweise basiert. Im Mittelpunkt stehen für uns dabei die konsequente Achtung der Menschenrechte, der Schutz der Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen sowie der Klima- und Umweltschutz. Fairer regelbasierter Handel bietet die Chance, die ökonomische Globalisierung sozial, ökologisch und demokratisch gerecht zu gestalten.

Dies ist umso wichtiger, je tiefer der Multilateralismus in einer fundamentalen Krise steckt. Angesichts von fortschreitendem Protektionismus, Nationalismus, Handelskriegen und der globalen Klimakrise steht die Europäische Union beim Abschluss bilateraler Handelsabkommen in der Verantwortung, auf Basis des EU-Rechts verbindliche demokratische, soziale und ökologische Standards zu setzen.

Die grüne Landtagsfraktion steht hinter dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN Baden-Württemberg vom Dezember 2017 zum Abkommen der EU mit Kanada. Darin heißt es einleitend:
„Europaweit hat eine breite Bewegung es geschafft, eine kritische Diskussion und Beschäftigung mit den Handelsabkommen CETA (und TTIP) anzustoßen. Wir GRÜNE teilen das Anliegen der Zivilgesellschaft, den internationalen Handel fair und ökologisch zu gestalten, beim Verbraucherschutz hohe Standards zu erhalten und die Demokratie und den politischen Gestaltungsspielraum ihrer Institutionen zu schützen.“

Als Landesparlamentarier*innen ist uns die demokratische Rückbindung von angestrebten Regulierungen und Harmonisierung von Standards in allen Bereichen des CETA bis hin zu evtl. Auswirkungen auf die kommunale Ebene ein besonderes Anliegen.

Aufgrund der breiten Protestbewegung, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, konnten Nachverhandlungen am ursprünglichen Vertragsentwurf des CETA-Abkommens durchgesetzt werden. Dies ist u.a. auch Ihr Verdienst ebenso wie der vieler Grünen. Die insgesamt 37 Zusatzvereinbarungen und das Auslegungsinstrument haben Fortschritte gebracht; zentrale Kritikpunkte am CETA werden dadurch allerdings nicht entschärft: Die Zusatzvereinbarungen tragen weder zur Definierung und Eingrenzung unklarer und weit auslegbarer Rechtsformulierungen bei, noch bewirken sie eine rechtswirksame Korrektur von Vertragsinhalten.

Nach den Ausführungen verschiedener Experten, die der Landtag Baden-Württemberg fraktionsübergreifend in einer Anhörung des Europa-und Wirtschaftsausschusses Ende September 2016 und die grüne Landtagsfraktion in zwei Fachgesprächen – zuletzt am 16. Juli 2019 –  zu verschiedenen Aspekten des CETA befragt haben, kommen wir zu der Einschätzung, dass die EU und Kanada die Potenziale des fairen Handels zur Sicherung und Hebung des Lebensstandards, zur Stärkung der Rechte von Arbeitnehmer*innen und zur nachhaltigen und demokratisch rückgekoppelten Regulierung gemeinsamer Standards in CETA nicht ausgeschöpft haben.

CETA bleibt daher ein intransparent und schlecht verhandeltes Abkommen.

Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag von 2016 haben wir uns mit unserem Koalitionspartner CDU bekanntermaßen auf Anforderungen an eine Zustimmung zu internationalen Handelsvereinbarungen der EU verständigt, die aus unserer Sicht mit dem vorliegenden Vertrag des CETA-Abkommens nicht in allen Punkten erfüllt sind. Dies betrifft insbesondere den Schutz der Daseinsvorsorge, die Sicherung des „right to regulate“, den Schutz des Vorsorgeprinzips und die Investor-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit.

Der Schutz sozialer und ökologischer Standards und das Recht zur Regulierung und Verbesserung dieser Standards auf europäischer und nationaler Ebene sind für uns nicht verhandelbar. Genauso stehen wir zum Erhalt der kommunalen Handlungsfähigkeit im Bereich der Daseinsvorsorge und zum Subsidiaritätsprinzip. Und wir treten für eine ordentliche internationale Gerichtsbarkeit bei der Klärung von Rechtsstreitigkeiten mit Bezug auf internationale Handels- und sonstige Abkommen ein und lehnen einseitige Sonderklagerechte für private Investoren ab.

Ohne an dieser Stelle auf das komplexe Verfahren der Abstimmung der Landesregierung in Bundesratsangelegenheiten einzugehen, können Sie davon ausgehen, dass die Grüne Landtagsfraktion sich rechtzeitig mit dem Abstimmungsverhalten Baden-Württembergs im Bundesrat beschäftigen wird.  Die Achtung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es, dessen Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die anhängige Klage abzuwarten und dann ggf. ein Ratifizierungsgesetz, das die Bundesregierung dem Bundestag und Bundesrat vorlegt, zu bewerten.

CETA wird in der Fraktion gemeinsam mit unserem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann dann thematisiert, wenn bekannt ist, worüber der Bundesrat tatsächlich abzustimmen hat.

Mit den besten Grüßen
Nese Erikli