Corona und der Kapitalismus

Wildtiere auf einem Markt in China. Foto: pw

Was hat die aktuelle Pandemie mit dem Handel zu tun? Oder mit der derzeitigen Freihandelspolitik der EU, die wir aus vielen Gründen ablehnen? Auf den ersten Blick nichts. Wir handeln ja nicht mit Wildtieren, jedenfalls nicht offiziell. Andererseits zerstört unser Wirtschaftssystem durch sein Streben nach noch mehr profitablem Wachstum intakte Ökosysteme. Und das hat Folgen. Wie die Dinge zusammenhängen, beschreibt Kathrin Hartmann in der Wochenzeitung „Freitag“.

Man hört und liest das derzeit häufig: das Coronavirus sei für Umwelt und Klima gut. Oder: esoterisches Geraune, dass „der Planet“ jetzt „zurückschlage“. Das ist nicht nur zynisch und menschenverachtend, schließlich werden bereits jetzt Erkrankte selektiert und sterben gelassen. Es ist falsch. Corona hat dieselbe strukturelle Ursache wie die ökologische und soziale Krise, zu der der Klimawandel, die Naturzerstörung wie die maroden Gesundheitssysteme gehören. Sie ist in der kapitalistischen Produktion und Ausbeutung der Natur zu suchen, in der imperialen Lebensweise der reichen Länder des Nordens, in der neoliberalen Ideologie.

Mehr als zwei Drittel der Erreger, die Epidemien wie Ebola, Zika oder die Vogelgrippe auslösten, stammen ursprünglich von Wildtieren, die in tropischen Regionen heimisch sind. Werden diese Lebensräume und intakte Öksysteme zerstört, „führt das zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändert die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen“, erklärt die Virologin Sandra Junglen, die an der Berliner Charité Viren erforscht, die noch keinen Kontakt zu Menschen hatten. „Weniger Artenvielfalt bedeutet mehr Tiere einer Art. Wenn mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum vorkommen, können sich Infektionskrankheiten zwischen den Tieren einer Art besser verbreiten.“ Die verbliebenen Tiere verlagern außerdem ihre Lebensräume und nähern sich denen der Menschen an.

Verantwortlich für den Verlust der Biodiversität ist vor allem die massive Zerstörung der Wälder: Jedes Jahr wird weltweit Wald der Größe Großbritanniens zerstört. Seit Jair Bolsonaro an der Macht ist, wurde in Brasilien so brutal abgeholzt, dass der Amazonas-Regenwald vor dem Kollaps steht. Diese Wälder werden für die industrielle Landwirtschaft beseitigt – für gigantische Monokulturen von gentechnisch verändertem Soja und Mais, von Palmöl und Zuckerrohr für den Export. Vorangetrieben wird deren Anbau von multinationalen Agrar- und Lebensmittelkonzernen, von Spekulanten und Finanzinvestoren. Nicht nur der Handel mit schwindenden Flächen landwirtschaftlichen Lands ist für Letztere lukrativ, sondern auch der Anbau von solchen Flexcrops, die, je nach Börsenpreis, entweder der Lebensmittel-, Futter- oder der Biosprit-Produktion zugeführt werden können. So wird die landwirtschaftliche Produktion von der Lebensgrundlage zum Finanzprodukt.

Landraub und Monokulturen

Wie die industrielle Tierhaltung für die wachsende Fleischproduktion dafür sorgt, dass sich Erreger auf Nutztiere und Menschen übertragen und ausbreiten können, beschreibt der britische Biologe Rob Wallace in seinem Buch Big Farms Make Big Flu: „Durch Züchtung genetischer Monokulturen von Nutztieren werden alle eventuell vorhandenen Immunschranken beseitigt, die die Übertragung verlangsamen könnten. Eine große Tierpopulation und -dichte fördert hohe Übertragungsraten. Solche beengten Verhältnisse beeinträchtigen die Abwehrkräfte des Immunsystems der Tiere. Ein hoher Durchlauf von Tieren, der Teil jeder industriellen Produktion ist, versorgt die Viren mit ständig neuen Wirtstieren, was die Ansteckungsfähigkeit der Viren fördert“, sagt Wallace in einem Interview mit der Zeitschrift Marx 21. Zur Erinnerung: Vor drei Jahren wurden Hunderttausende Tiere getötet, nachdem sich das durch Zugvögel eingeschleppte Vogelgrippevirus H5N8 in den Geflügelmastanlagen rasant ausgebreitet hatte. „Mit anderen Worten: Die Agrarindustrie ist so auf Gewinn ausgerichtet, dass die Entscheidung für ein Virus, das eine Milliarde Menschen töten könnte, das Risiko wert zu sein scheint.“

Die Zerstörung von Wäldern, die Ausbreitung von Monokulturen und der Landraub, der damit einhergeht, führen dazu, dass Indigene sowie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ihre Lebensgrundlage verlieren und in die Städte fliehen. Die Urbanisierung ist ein weiterer Faktor, der die Verbreitung von Viren begünstigt, die sich über Reisende schließlich global verbreiten. Seit dem Ausbruch des Coronasvirus Sars 2003 sind doppelt so viele Touristen und Touristinnen weltweit unterwegs.

Als Quelle von Covid-19 galt lange der Fischmarkt in Wuhan. Boulevardmedien überboten sich mit teils rassistisch angehauchten Geschichten, welche Tiere dort angeblich verkauft und gegessen würden, von lebenden Koalas über Wolfsbabys bis zu Fledermäusen. Belegt ist dieser Ursprung nicht. Doch es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Wildtieren – sogenanntem Bushmeat –, dem Ausbruch von Krankheiten und dem Konsum reicher Länder. So wird laut der Weltgesundheitsorganisation WHO das Ebolavirus durch Fangen, Schlachten und Verzehren von infizierten Primaten auf den Menschen übertragen. Weil chinesische, japanische und auch europäische Fangflotten die Küsten Westafrikas leer fischten, waren die Menschen dort vermehrt dazu gezwungen, Wildtiere in den Wäldern zu jagen. Ich habe das bei meinen Palmöl-Recherchen in Indonesien selbst erlebt, als ich auf Sumatra Indigene traf, die ihr gestohlenes Land in einer riesigen Palmölplantage besetzten. An ihr Lager grenzte ein Rest mit dem Geld internationaler Organisationen – darunter das deutsche Umweltministerium – geschützter Wald, den sie nicht betreten durften. Der Hunger zwang sie jedoch, dort illegal zu jagen.

Kapitalismus und Krise

Europa und insbesondere Deutschland spielen eine fatale Rolle in diesem ungerechten Spiel. Kein anderer Kontinent konsumiert derart auf Kosten der Länder im globalen Süden wie die EU. Sie beansprucht für ihre Grundnahrungsmittel und andere Konsumgüter aus landwirtschaftlicher Produktion anderswo in der Welt eine Fläche, die mit 6,4 Millionen Quadratkilometer eineinhalb mal größer ist als alle 28 Mitgliedstaaten zusammen. Die EU gehört weltweit zu den größten Importeuren von Soja und Palmöl. Deutschland ist der drittgrößte Importeuer von landwirtschaftlichen Produkten und Nahrungsmitteln der Welt, obwohl sich dieses Land theoretisch zu mehr als 90 Prozent selbst versorgen könnte. Doch die deutsche Landwirtschaft ist wesentlich auf die Produktion und den Export von Fleisch und Milchprodukten konzentriert. Das okkupiert zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche, während nur auf einem Prozent Obst und Gemüse wachsen. Doch alle diese Zusammenhänge werden derzeit nicht diskutiert. Wie auch beim Klimaschutz steht im Vordergrund, den Kapitalismus zu retten. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sorgt, dass osteuropäischen Billigstarbeiter der Spargelernte fernbleiben könnten.

Das beschreibt, wie abhängig unser System und unser Alltag von der Ausbeutung von Menschen und Natur sind. Covid-19 und seine Folgen sind nicht einfach eine Bedrohung von außen, sondern aus dem System heraus entstanden. Wenn wir nun vor leeren Supermarktregalen stehen oder uns darum sorgen, ob unsere Verwandten bei einer Infektion überhaupt behandelt werden, sollten wir begreifen, wie existentiell krisenanfällig der Kapitalismus ist und wie sehr die ökologische und die soziale Frage zusammenhängen. Es wichtiger denn je, darüber nachzudenken, wie wir dieses System ändern können. Das würde Umwelt und Klima wirklich helfen – genauso wie einem global gerechten Gesundheitssystem.


Kathrin Hartmann hat gerade ihr neues Buch„Grüner wird’s nicht. Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen“ im Blessing-Verlag veröffentlicht.