Weiter so?

Eigentlich wäre die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli 2020 beginnt, eine gute Gelegenheit, Lehren aus Corona zu ziehen und eine klimafreundliche Handelspolitik zu etablieren. Aber will das die Große Koalition? Ein Beitrag von Fabian Flues von der NGO PowerShift in der Wochenzeitung „Freitag“.

Wenn die Bundesregierung im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, steht sie in der Außenwirtschaftspolitik vor großen Herausforderungen. Der internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr ist von der Corona-Pandemie stark betroffen. Um die gesundheitliche Notlage unter Kontrolle zu bekommen, greifen viele Staaten in die Handelsordnung ein. Dutzende Länder haben Exportbeschränkungen erlassen, Patentrechte infrage gestellt und ausländische Investitionen werden verstärkt auf ihre Auswirkungen auf strategische Branchen geprüft.

Viele dieser Maßnahmen sind unvermeidlich. Denn die Welthandelsordnung erschwert es, angemessen auf eine Notsituation wie die Corona-Krise zu reagieren. Die Eingriffe in das Welthandelssystem, die derzeit zur Bekämpfung von Corona in Betracht gezogen werden, sind auch für die Bekämpfung des Klimawandels wichtig. Sie dürfen nicht kurzfristig und einmalig bleiben, sondern müssen dauerhaft in die Welthandelsordnung aufgenommen werden, um die drohende Klimakrise abzumildern.

  1. Selbst wirtschaftsliberale Politiker*innen wie der französische Präsident Emmanuel Macron oder Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprechen sich im Angesicht von Corona dafür aus, sicherheitsrelevante Produktionen etwa von medizinischen Gütern und Arzneimitteln aus dem Ausland zurück nach Europa zu holen. Macron und Altmaier brechen mit dem Mantra, dass Produktion dort stattfinden solle, wo die Kosten am geringsten sind. Auch bei klimarelevanten Politikfeldern sollte nicht die pure Kostenminimierung im Mittelpunkt stehen. So trägt die industrialisierte, exportorientierte Landwirtschaft massiv zu Artensterben und Klimawandel bei. Statt dieses Landwirtschaftsmodell durch Freihandelsverträge wie etwa dem EU-Mercosur-Abkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zu stärken, braucht es hier und im Globalen Süden eine Förderung regionaler und bäuerlicher Landwirtschaft – und damit weniger globalen Agrarhandel. Doch Deutschland scheint, so schnell wie möglich zurück zum Status Quo zu wollen. Denn der Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens gehört zu den Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft. Das Abkommen würde den globalen Agrarhandel weiter forcieren.
  2. In der Corona-Krise werden europäische Regierungen mit den Fallstricken des geistigen Eigentumsrechts konfrontiert. So gab das Pharmaunternehmen Roche erst auf massiven Druck der Niederlandeseine Formel für die Herstellung von Covid-19 Testflüssigkeiten frei, die für eine weitreichendere Testung der Bevölkerung notwendig sind. Auch die deutsche Bundesregierung hat sich zusätzliche Kompetenzenfür die Aussetzung von Patenten gesichert. Dadurch kann das Bundesgesundheitsministerium die Produktion patentgeschützter Wirkstoffe anordnen. Weltweit gültige Patentbestimmungen werden durch die Welthandelsorganisation festgeschrieben. Sie bereiten Ländern des Globalen Südens große Probleme bei ihrer Versorgung mit Medikamenten. Mit ihren Handelsverträgen verschärft die EU, die für ihre Mitgliedsstaaten solche Verträge aushandelt, geistige Eigentumsrechte weiter, statt Freiräume zu schaffen.

Die im internationalen Handelsrecht festgelegten geistigen Eigentumsrechte verlangsamen und verhindern auch den Technologietransfer bei Erneuerbaren Energien. Das erschwert es Ländern des Globalen Südens nachhaltige Technologien zu übernehmen und der Klimakrise entgegenzutreten. Eine Reform des Schutzes geistigen Eigentums sollte neben medizinischen Produkten auch klimafreundliche Technologien einschließen und deren kostengünstige und schnelle Verbreitung zum obersten Ziel haben.

Wird eine Chance verspielt?

  1. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind zwar erst wenige Wochen alt. Doch Anwaltskanzleien untersuchen bereits die Möglichkeit von Investorenklagen gegen den Lockdown: Die temporäre Aufhebung von Mautgebührenoder die Umwandlung von Hotels in Notaufnahmenwerden als Beispiele solcher Klagen genannt. Handels- und Investitionsabkommen ermöglichen es, dass Investoren Staaten bei einem Eingriff in breit definierte Eigentumsrechte vor privaten Schiedsgerichten auf enorme Entschädigungssummen verklagen. Argentinien steht beispielhaft für solche Klagen. Der Staat wurde nach einer massiven Wirtschaftskrise bei der das BIP über 20% sank, von über 40 Investoren auf Schadensersatz verklagt – zum Beispiel weil er einen Preisstopp bei Wasser- und Stromkosten verordnete. Die Erfolge der Klagen gegen die argentinische Krisenbewältigung sind eine Warnung, dass auch Klagen gegen Maßnahmen zur Corona-Eindämmung Erfolg haben könnten.

Den Gefahren von Investorenklagen sind Staaten auch bei entschlossenem Handeln gegen den Klimawandel ausgesetzt. Das deutsche Energieunternehmen Uniper droht den Niederlanden mit einer Klage vor einem Schiedsgericht, weil die Regierung die Schließung eines Uniper-Kohlekraftwerks im Jahr 2030 beschlossen hat. Wäre die Klage erfolgreich, müssten die Niederlande für den klimapolitisch zukunftsweisenden Kohleausstieg vermutlich hunderte Millionen Euro Entschädigung an Uniper zahlen. Viele weitere Klagen könnten folgen. Denn die Klimawissenschaften machen klar, dass ein Großteil der fossilen Energieträger im Boden bleiben muss, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Sollten Staaten dies durch Regulierungen durchsetzen, wäre eine Klagewelle kaum zu vermeiden. Um Klagen gegen notwendige staatliche Eingriffe in Eigentumsrechte, sei es zur Bekämpfung der Corona-Pandemie oder des Klimawandels, künftig auszuschließen, sollten Staaten in einem ersten Schritt ihre Zustimmung zu Konzernklagerechten zurückzuziehen und Verträge, die solche Klagen ermöglichen, aussetzen. Doch stattdessen steht der Abschluss neuer Investitionsabkommen, z.B. mit China, auf der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft.

Die Corona-Auswirkungen verdeutlichen: Prävention und Vorbereitung ist besser, als im Nachhinein von den Kosten einer Krise überrascht zu werden. Eine Globalisierung, die nur auf Produktionskosten schaut und dabei Folgekosten, wie die Klimaverheerung und Umweltzerstörung außer Acht lässt, muss dringend umgestaltet werden. Doch die heutigen Handelsregeln eignen sich nicht zur Bekämpfung einer globalen Notsituation. Sie erschweren notwendige Eingriffe in die Wirtschaftsordnung. Handelsregeln und -verträge müssen so gestaltet werden, dass Staaten öffentliche Güter wie die Gesundheit der Bevölkerung und das Klima bewahren können. Für das Anstoßen einer solchen Umgestaltung ist die deutsche EU-Ratspräsidentschaft prädestiniert, zumal der Klimawandel und die Auswirkungen des Coronavirus bereits ganz oben auf ihrer Tagesordnung stehen. Doch leider gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass die Bundesregierung die Corona-Lehren ernst nimmt und von einem „Weiter so“ abrücken will. Es wäre eine vertane Chance.


Fabian Flues arbeitet bei PowerShift als Referent für Handels- und Investitionspolitik und beschäftigt sich mit dem Zusammenhängen zwischen Handels- und Investitionspolitik und Umwelt- und Klimaschutz. Vor seinem Engagement bei PowerShift hat er unter anderem bei Friends of the Earth in Brüssel gearbeitet.