Es ist ein Antwortschreiben, das sich alle baden-württembergischen Grünen und Landtagsabgeordneten hinter den Spiegel stecken sollten: Vor wenigen Wochen verfasste Kurt Kutz vom Ortenauer Bündnis für gerechten Welthandel unter dem Titel „Fliegende Blätter“ (Fliegende_Blätter_05_2020) ein Papier zur EU-Kanada-Handelsabkommen CETA. Darauf reagierte nun der baden-württembergische grüne Landtagsabgeordnete Thomas Marwein mit einem Brief, den wir hier abdrucken.
Die Mitglieder der grünen Landtagsfraktion treten wie die Landes- und Bundespartei Partei Bündnis 90/die GRÜNEN ein für eine globale Handelspolitik, die auf Grundlage global geltender Regeln Wohlstand für alle schafft, fairen Wettbewerb fördert und auf einer ressourcenschonenden Produktionsweise basiert. Im Mittelpunkt stehen für uns dabei die konsequente Achtung der Menschenrechte, der Schutz der Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen sowie der Klima- und Umweltschutz. Fairer regelbasierter Handel bietet die Chance, die ökonomische Globalisierung sozial, ökologisch und demokratisch gerecht zu gestalten.
Dies ist umso wichtiger, je tiefer der Multilateralismus in einer fundamentalen Krise steckt. Angesichts von fortschreitendem Protektionismus, Nationalismus, Handelskriegen und der globalen Klimakrise steht die Europäische Union beim Abschluss bilateraler Handelsabkommen in der Verantwortung, auf Basis des EU-Rechts verbindliche demokratische, soziale und ökologische Standards zu setzen.
Die grüne Landtagsfraktion steht hinter dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN Baden-Württemberg vom Dezember 2017 zum Abkommen der EU mit Kanada. Darin heißt es einleitend: „Europaweit hat eine breite Bewegung es geschafft, eine kritische Diskussion und Beschäftigung mit den Handelsabkommen CETA (und TTIP) anzustoßen. Wir GRÜNE teilen das Anliegen der Zivilgesellschaft, den internationalen Handel fair und ökologisch zu gestalten, beim Verbraucherschutz hohe Standards zu erhalten und die Demokratie und den politischen Gestaltungsspielraum ihrer Institutionen zu schützen.“ Als Landesparlamentarier*innen ist uns die demokratische Rückbindung von angestrebten Regulierungen und Harmonisierung von Standards in allen Bereichen des CETA bis hin zu evtl. Auswirkungen auf die kommunale Ebene ein besonderes Anliegen.
Aufgrund der breiten Protestbewegung, insbesondere in Deutschland, konnten Nachverhandlungen am ursprünglichen Vertragsentwurf des CETA-Abkommens durchgesetzt werden. Die insgesamt 37 Zusatzvereinbarungen und das Auslegungsinstrument haben Fortschritte gebracht; zentrale Kritikpunkte am CETA werden dadurch allerdings nicht entschärft: Die Zusatzvereinbarungen tragen weder zur Definierung und Eingrenzung unklarer und weit auslegbarer Rechtsformulierungen bei, noch bewirken sie eine rechtswirksame Korrektur von Vertragsinhalten.
Nach den Ausführungen verschiedener Experten, die der Landtag Baden-Württemberg fraktionsübergreifend in einer Anhörung des Europa-und Wirtschaftsausschusses Ende September 2016 und die grüne Landtagsfraktion in zwei Fachgesprächen – zuletzt am 16. Juli 2019 – zu verschiedenen Aspekten des CETA befragt haben, kommen wir zu der Einschätzung, dass die EU und Kanada die Potenziale des fairen Handels zur Sicherung und Hebung des Lebensstandards, zur Stärkung der Rechte von Arbeitnehmer*innen und zur nachhaltigen und demokratisch rückgekoppelten Regulierung gemeinsamer Standards in CETA nicht ausgeschöpft haben.
CETA bleibt daher ein intransparent und schlecht verhandeltes Abkommen.
Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag von 2016 haben wir uns mit unserem Koalitionspartner CDU auf Anforderungen an eine Zustimmung zu internationalen Handelsvereinbarungen der EU verständigt, die aus unserer Sicht mit dem vorliegenden Vertrag des CETA-Abkommens nicht in allen Punkten erfüllt sind. Dies betrifft insbesondere den Schutz der Daseinsvorsorge, die Sicherung des „right to regulate“, den Schutz des Vorsorgeprinzips und die Investor-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit.
Der Schutz sozialer und ökologischer Standards und das Recht zur Regulierung und Verbesserung dieser Standards auf europäischer und nationaler Ebene sind für uns nicht verhandelbar. Genauso stehen wir zum Erhalt der kommunalen Handlungsfähigkeit im Bereich der Daseinsvorsorge und zum Subsidiaritätsprinzip. Und wir treten ein für eine ordentliche internationale Gerichtsbarkeit bei der Klärung von Rechtsstreitigkeiten mit Bezug auf internationale Handels- und sonstige Abkommen und lehnen einseitige Sonderklagerechte für private Investoren ab.
Du kannst davon ausgehen, dass die Grüne Landtagsfraktion sich rechtzeitig mit dem Abstimmungsverhalten Baden-Württembergs im Bundesrat beschäftigen wird. Die Achtung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es aber, dessen Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die anhängige Klage abzuwarten und dann ggf. ein Ratifizierungsgesetz, das die Bundesregierung dem Bundestag und Bundesrat vorlegt, zu bewerten.
CETA wird in der Fraktion gemeinsam mit unserem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann dann thematisiert, wenn bekannt ist, worüber der Bundesrat tatsächlich abzustimmen hat.
Danke für Dein Engagement und herzliche Grüße
Thomas
Thomas Marwein MdL
Lärmschutzbeauftragter der Landesregierung
Mitglied im Umwelt-, Verkehrs- und Wissenschaftsausschuss
Telefon Wahlkreisbüro +49 (0)781 91 97 84 2
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