Ampel-Koalition: Fortschritt à la FDP

Der Koalitionsvertrag der Ampel aus SPD, Grünen und FDP mag Ausdruck des sogenannten Wähler*innenwillens sein. Hinter den klimabedingten Notwendigkeiten eines sozial-ökologischen Umbaus bleibt dieses Programm der selbsternannten „Regierung der Mitte“ aber weit zurück. Zu diesem Schluss kommt die globalisierungskritische Organisation Attac in einer ersten Analyse.

Umverteilung von unten nach oben
Auch wenn die Erhöhung des Mindestlohns für einige Millionen Beschäftigte spürbare Verbesserungen bringt, hat sich beim Ampelmotto „Mehr Fortschritt wagen“ erkennbar der Fortschrittsbegriff der kleinsten Partei FDP durchgesetzt: weiterhin auf Marktlösungen und Privatisierungen setzen, ungerechte Besitz- und Machtverhältnisse nicht angreifen und Klimaziele in weiten Teilen schwammig lassen. Mit einem FDP-Finanzministerium wird es eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen eher von unten nach oben geben. Ein Verkehrsministerium in der Hand der Raserpartei FDP wird Autolobbyministerium bleiben und zusätzlich versuchen, den Fernverkehr der Bahn zu privatisieren, statt den klimagerechten Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel voranzutreiben.

Aktienrente statt solidarischer Bürger*innenversicherung
Der Erhalt der Schuldenbremse und Verzicht auf Steuererhöhungen für Vermögende engt den Spielraum für den „investierenden Staat“ so weit ein, dass vernachlässigte Gemeinwohlaufgaben gar nicht oder nur mit privatem Kapital finanziert werden können. Damit lässt sich die Profit- und Wachstumslogik nicht durchbrechen, vielmehr droht die Wiederbelebung von Public Private Partnerships (PPP) zu Lasten der Allgemeinheit. An privatem Kapital auf der Suche nach Renditen mangelt es nicht. In diese Logik passt die „ergänzende Aktienrente“. Statt unsicherer, finanzmarkt- und wachstumsabhängiger neuer Rentenmodelle brauchen wir eine umlagefinanzierte Bürger*innenversicherung, in die alle einzahlen und die das Rentenniveau sichert.

Kampfdrohnen: SPD und Grüne fallen um
Das Ziel „Wiederbelebung der internationalen Abrüstung und Rüstungskontrolle“ wird unglaubwürdig, wenn gleichzeitig die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr ermöglicht werden soll, was von großen Teilen der SPD und auch der Grünen bisher abgelehnt wurde.

Kohleausstieg muss weiter erkämpft werden
Dass die Schaffung von 80 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 und der Kohleausstieg „idealerweise bis 2030“ im Koalitionsvertrag auftauchen, ist auch das Verdienst einer lauten Klimagerechtigkeitsbewegung. Als Teil dieser Bewegung wird Attac der neuen Regierung ungefragt auf der Straße und in den Kohlegruben helfen, diese Ziele zu erreichen.

Gemeinnützigkeit: Wichtige Rolle der Zivilgesellschaft erkannt 
Beim Thema Gemeinnützigkeit hat die Ampel offenbar zumindest verstanden, wie wichtig die Einmischung einer kritischen Zivilgesellschaft für die Demokratie ist. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu:  „Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.“ Das ist ein Anfang – reicht aber nicht. Der Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung muss dringend erweitert und den Erfordernissen einer modernen Demokratie im 21. Jahrhundert angepasst werden: Der Einsatz eines Vereins für etwa für die Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Demokratie oder Antirassismus muss als gemeinnützig anerkannt werden.

 

Eine weitere Kritik kommt aus der entwicklungspolitischen Ecke:

 

Keine Lust auf Entwicklungspolitik

„Mehr Fortschritt wagen“ ist der Titel des Koalitionsvertrags zwischen SPD, Grünen und FDP. Im Kapitel zur internationalen Zusammenarbeit ist davon nichts zu spüren. Zur Entwicklungspolitik hat die Ampel keine Idee, schreibt Tillmann Elliesen auf der Website der entwicklungspolitischen Fachzeitschrift „Welt-Sichten“:

Nach der Lektüre des Sondierungspapiers, das SPD, Grüne und FDP vor Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen vorgelegt hatten, musste man zum Schluss kommen: Auf Entwicklungspolitik hat wohl keine der drei Parteien richtig Lust. Spärlich und nichtssagend wurde das Thema darin abgehandelt. Offenbar hat sich daran nichts geändert: Auch der Koalitionsvertrag ist entwicklungspolitisch insgesamt enttäuschend.

Zweieinhalb Seiten widmen die Ampelparteien der Entwicklungszusammenarbeit im engeren Sinn, und die lesen sich wie eine Liste von Wohltaten, die die künftige Regierung verteilen will. „Wir stärken dies, wir fördern das“ heißt es da fantasielos, und die Bereiche, um die es geht, sind die üblichen: Ernährungssicherung, Bildung, Frauen und andere benachteiligte Gruppen, Zivilgesellschaft. Heraus stechen lediglich zwei Punkte: Zum einen werden Agrarökologie und kleinbäuerliche Landwirtschaft als wichtig für die Ernährungssicherheit hervorgehoben, zum anderen wollen die Koalitionäre sich für einen neuen internationalen „Schuldenmanagementkonsens“ und ein Staateninsolvenzverfahren einsetzen.

0,7-Prozent-Ziel könnte im Gesamtpaket untergehen

Es fehlt aber eine grundsätzliche Idee für eine rot-grün-gelbe Entwicklungspolitik. Das war vor vier Jahren im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD noch anders: Darin hatte die Entwicklungspolitik nicht nur eine Seite mehr als jetzt im Ampelvertrag, es steckte auch sichtlich mehr Sachverstand darin. Die schwarz-rote Idee war, in der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt auf Privatkapital zu setzen. Das mag die falsche Idee gewesen sein, aber immerhin war es eine.

Die Gefahr besteht, dass die Ampel in ihrer Regierungsarbeit die Entwicklungspolitik ebenso stiefmütterlich behandelt wie in ihrem Koalitionsvertrag. Zwar bekennt sie sich pflichtschuldig zum Ziel, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Gleichzeitig lässt sie dieses Ziel aber in einer neuen Vorgabe einfließen: 3 Prozent für Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zusammen. Das 0,7-Prozent-Ziel könnte darin verschwinden und als Richtwert bei Haushaltsverhandlungen mehr und mehr unwirksam werden.

Es fehlt der Mut für neue Migrationspolitik

Weitet man den Blick auf andere Politikfelder, dann bietet der Vertrag aus entwicklungspolitischer Sicht immerhin einige Lichtblicke, etwa das Bekenntnis zu fairen Lieferketten oder das Vorhaben, eine restriktivere Rüstungsexportpraxis (zu der sich auch schon CDU/CSU und SPD bekannt hatten) gesetzlich zu verankern. Hervor sticht auch der Abschnitt zur Zuwanderung: Darin ist die Absicht erkennbar, neue Wege für legale Arbeitsmigration zu schaffen – und zwar mit Blick auf die Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten und weniger aus Perspektive eines Fachkräftemangels in Deutschland wie noch im CDU/CSU-SPD-Koalitionsvertrag. Wermutstropfen aber auch hier: Es fehlt der Mut, möglicherweise auch bloß die Fantasie, eine solche neue Migrationspolitik etwa als wichtigen Pfeiler künftiger Beziehungen zu Afrika zu skizzieren. Wo im Koalitionsvertrag von Migration die Rede ist, kommt Afrika nicht vor, und wo von Afrika die Rede ist, spielt Migration keine Rolle.

Wie so oft in der Geschichte deutscher Entwicklungspolitik wird es auch in den kommenden vier Jahren stark darauf ankommen, was die nächste Ministerin oder der nächste Minister daraus macht. Das Ressort geht an die SPD, die noch nicht gesagt hat, wer welche Posten bekommt. Als Entwicklungsministerin gehandelt werden laut Medienberichten Bärbel Kofler und Klara Geywitz. Kofler war entwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und ist seit 2016 Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Geywitz hingegen ist außen- oder entwicklungspolitisch bisher noch nicht aufgefallen – außer vor zwei Jahren mit einem Satz zu deutschen Rüstungsexporten: „Wenn wir die Waffen nicht exportieren – nach strengen Kriterien –, dann werden es andere Leute machen und das ist kein wesentlicher Fortschritt.“