„TTIP ist dem Untergang geweiht“, sagt der kanadische Ökonom und Handelsdiplomat Pierre Sauvé in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Standard. Das Gespräch ist am 15. Oktober 2015 erschienen und wurde von Andras Szigetvari geführt.
STANDARD: Nach jahrelangem Stillstand wird plötzlich ein Freihandelsabkommen nach dem anderen verhandelt und abgeschlossen. Wie kommt das?
Sauvé: Es gibt nicht den einen Grund dafür, dass die Handelsdiplomatie so in Schwung gekommen ist. Hinter dem transatlantischen Abkommen TTIP, das meiner Meinung nach dem Untergang geweiht ist und nie Realität werden wird, steckt ein nostalgisches Bedürfnis. Die USA und Europa sehnen sich zurück in die Zeit, als alles, was man gemeinsam ausverhandelt hat, automatisch zur globalen Norm geworden ist. Jetzt fürchten beide, dass China zu viel mitmischt und selbst die Regeln macht. Deshalb versuchen sie mit TTIP den globalen Standard zu entwickeln. Ein anderer Grund ist, dass die Welthandelsorganisation WTO für ein bankrottes System steht.
STANDARD: Wie meinen Sie das?
Sauvé: Die WTO ist zu demokratisch. Jedes der 161 Mitgliedsländer muss zustimmen, wann immer ein neuer WTO-Vertrag ausgearbeitet wird. Nur klappt das nie, weil so unterschiedliche Länder wie die USA und Dschibuti in einem Raum sitzen. Deshalb wenden sich Staaten vom Multilateralismus ab. Gefragt sind regionale Abkommen, was logisch erscheint.
STANDARD: Warum?
Sauvé: Der Welthandel hat sich grundlegend verändert. Während früher vor allem mit Fertigprodukten gehandelt wurde, bestehen heute 70 Prozent des Welthandels aus der Verschiffung von Einzelteilen, Komponenten. Es haben sich regionale Wertschöpfungsketten gebildet, in Asien, Südamerika, Europa. Die Mercedes-Bosse fragen heute nicht mehr: Sollen wir ein Werk in Brasilien oder Malaysia bauen? Sie überlegen sich, ob sie Brasilien oder Argentinien nehmen. Diese Regionalisierung verlangt aber nach Regeln, nach Ordnung.
STANDARD: Ist das der Grund dafür, dass die USA soeben mit elf anderen Pazifikanrainerstaaten das bisher weltgrößte Freihandelsabkommen, TPP, geschlossen haben?
Sauvé: Das ist einer der Gründe. Das Pazifikabkommen ist der Versuch, die US-Wirtschaftsbeziehungen in der Region mit einem Schlag zu vertiefen. Die USA hatten bisher kein Freihandelsabkommen mit Japan, keines mit Malaysia und keines mit Vietnam. Das bekommen sie nun alles auf einmal. Damit wollen die Vereinigten Staaten zugleich Chinas Einfluss in diesen Ländern eindämmen, sie bauen einen wirtschaftlichen Schutzwall auf. Andere Länder wie Japan und Mexiko haben sich TPP nach Beginn der Verhandlungen angeschlossen, weil sie Angst bekommen haben, dass ihre Unternehmen außen vor bleiben. Da ist eine Karawane entstanden. Wobei es beim Pazifikabkommen noch einen interessanten Aspekt gibt.
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