EU-Normeninstitute warnen vor TTIP

Zumindest einen Vorteil, so dachte man, würden TTIP und CETA haben: Dass technische Normen angeglichen und vereinheitlicht werden. Doch das ist scheinbar gar nicht der Fall. Die Folge wäre ein großes Durcheinander.

 

 

Die Anerkennung von US-Standards werde das System einheitlicher EU-Standards destabilisieren und US-Firmen in Europa begünstigen. Davor warnen nun die EU-Normeninstitute CEN und CENELEC.

Von Erich Möchel

CEN und CENELEC warnen vor einer Destabilisierung des europäischen Standardisierungssystems durch das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP). Die vorgesehene Anerkennung von US-Normen als gleichwertig mit jenen der EU bedeute den Bruch des fundamentalen Prinzips: „ein EU-Standard für alle Mitgliedsstaaten“. Dadurch würden nicht nur 30 Jahre erfolgreicher Entwicklung von europäischen Industriestandards aufs Spiel gesetzt, sondern auch US-Firmen gegenüber ihren europäischen Konkurrenten begünstigt, heißt es in einem Positionspapier.

Während europäische Firmen an die EU-Vorgaben gebunden seien, könnten sich Unternehmen aus den USA beim Export nach Europa alleine auf die US-Normen berufen. Den Marktzugang europäischer Firmen in den USA erleichtere diese wechselweise Anerkennung umgekehrt überhaupt nicht, konstatierten die beiden EU-Standardgremien. Europäische Firmen seien durch die vorgesehene Gleichstellung der US-Normen daher automatisch mit höheren Kosten konfrontiert. Zudem würde „Argumenten, auch nationale Standards der Mitgliedѕstaaten parallel anzuerkennen, Tür und Tor geöffnet“, statt sie wie bisher zugunsten eines EU-Standards zurückzuziehen.

Anders als in Europa existiert in den USA kein harmonisiertes Standardisierungsmodell, sondern folgt man Industrienormen auf „freiwilliger“ Basis. Als Faustregel dafür gilt: Die stärksten Player auf dem Markt bestimmen die Norm, Nicht-Kompatibles muss dort auch nicht zurückgezogen werden, weil sich „der Markt ja selbst bereinigt“. Auf den beiden Seiten des Atlantiks sind also völlig verschiedene Ansätze, Methoden und Vorgangsweisen bei der Standardisierung in Gebrauch. Bei Sicherheitsnormen etwa im Gesundheits-, Pharma- und Agrarbereich folgt Europa dem Vorsorgeprinzip – in den USA ist hingegen ein „risikobasierter“ oder auch „wissenschaftsbasierter“ Ansatz die Regel. Dabei werden in erster Linie Prognosen erstellt und kaum tatsächlich getestet.

Bevor ein europäisches Produkt vermarktet werden kann, muss etwa durch aufwendige Labortests nachgewiesen werden, dass keine Gesundheitsrisiken bestehen. In den USA ist das „Roll-out“ eines neuen Produkts wesentlich einfacher, die Tests sind dort weniger systematisch als stichprobenartig gestaltet. In den USA entwickelte Produkte können dadurch in der Regel weit schneller vermarktet werden, den „Risikoausgleich“ besorgen dort weniger die Standardisierungsinstitute vorab als vielmehr Anwaltskanzleien und Sammelklagen gegen Konzerne ex post.

Wie Ähnlichkeiten täuschen können

Die Ähnlichkeit der Wirtschaftssysteme täuscht darüber hinweg, dass Ansätze und Methoden völlig unterschiedlich und damit kaum vergleichbar sind. Da die EU obendrein nicht aus Bundes-, sondern aus Nationalstaaten mit vollen Hoheitsrechten besteht, hatte man seit Anbeginn mit einem Wildwuchs an Industrienormen aus den einzelnen Mitgliedsstaaten zu kämpfen. Daher gilt EU-weit ein ziemlich striktes Regime der Harmonisierung von Standards und die Regel von einer EU-Norm, die in allen Mitgliedsstaaten gilt.

Auf diese Weise konnte die Zahl der Standards drastisch reduziert werden. Quer durch die Branchen seien von ursprünglich 160.000 nur 19.000 Standards geblieben, betonen die EU-Standardorganisationen CEN und CENELEC. Ein Abgehen von diesem Kurs in Folge von TTIP würde die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrien auf dem eigenen Markt gefährden, warnen die Institute. Das Vorsorgeprinzip ist für die Unternehmen in Europa nicht nur teurer als der risikobasierte Ansatz der USA, die Produkte kommen auch etwas später auf den Markt.

Streit um TPP-Handelsnormen

Ein Streit um Normen und die damit verbundene Frage von Wettbewerbsvorteilen hatte im Juli für einen Eklat beim TTIP-Schwesterabkommen Trans Pacific Partnership (TPP) der USA gesorgt. Die als final ausgerufene Verhandlungsrunde der derzeit zwölf TPP-Staaten in Maui (Hawaii) war ebenso überraschend wie spektakulär gescheitert, weil Mexiko und Kanada um ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem US-Markt durch das Abkommen fürchten müssen.

Auslöser des Zwists waren nicht technische Normen, sondern Handelsnormen, die von den USA selbst vorgegeben worden waren. Unter dem bereits 1995 unterzeichneten Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) dieser drei Staaten wurde eine Zollbefreiung für Pkws beschlossen, sofern mehr als die Hälfte aller verbauten Komponenten aus einem der drei NAFTA-Staaten stammen.

Konflikt im NAFTA-Raum

Japan, das sich im Lauf der fünfjährigen TPP-Verhandlungen als zähester Widerpart der USA erwiesen hatte, wollte sich mit einer solchen Quote nicht zufrieden geben und drohte – wie mehrfach schon davor – aus TPP auszusteigen. Die Zulieferbetriebe für die japanische Autoindustrie produzieren Fahrzeugkomponenten vorwiegend in Staaten wie Thailand und China. Japan bestand daher auf einer höheren Quote, kurz vor dem Abbruch dieser angeblich letzten Runde wurde von 60 bis 70 Prozent an nicht in Japan produzierten Autobestandteilen zwischen den USA und Japan herumgefeilscht.

Als man dabei war, das in einer vorläufigen Einigung festzuschreiben, langte es den NAFTA-Staaten Kanada und Mexiko, dass Japan deutlich bessere Konditionen winkten als ihren eigenen Volkswirtschaften. Beide sind ja seit 20 Jahren Freihandelspartner der USA. Der nächste Punkt, die wechselweise Öffnung der Märkte für Molkereiprodukte, wurde von Kanada wie Mexiko rundweg abgelehnt – dann wurden die Gespräche abgebrochen und öffentlich Vorwürfe ausgetauscht. Kanada und Mexiko beschwerten sich, dass sie als enge Wirtschaftspartner über die Absichten der USA nicht konsultiert worden waren, Japans Premier Shinzo Abe sprach hinterher von der üblichen „Rücksichtslosigkeit“ der USA.

Mehr Strategie als Handel

Warum die USA diesen Eklat mit ihren Nachbarstaaten überhaupt riskiert hatten, ist auf die strategische Ausrichtung der drei Abkommen zurückzuführen. TTIP, TPP und TISA sind nämlich weit weniger Handelsverträge als vielmehr strategische Verträge zur Festschreibung des Status quos im Welthandel. Dass die USA einen Konflikt mit ihren langjährigen Freihandelspartnern Mexiko und Kanada in Kauf nahmen, um Japan zufriedenzustellen, zeigt den strategischen Stellenwert dieser Abkommen für die USA.

„Die strategischen Kosten eines Scheiterns von TPP“ für die USA – die Einschätzung des Chicago Council on Global Affairs.

Ein Scheitern von TPP hätte negative Folgen für die Interessen der USA in Ѕüdostasien, warnt denn auch aktuell der Thinktank Chicago Council on Global Affairs. Die Folgen gingen weit über wirtschaftliche Belange hinaus, Verbündete der USA würden dort nachhaltig geschwächt, heißt es in der Einschätzung des „Chicago Council“. Ein Scheitern von TPP würde ein „starkes Signal“ aussenden, dass die USA ihre Führungsrolle in Südostasien aufgeben würden. Aus den derzeitigen Streitigkeiten um Inselgruppen im südchinesischen Meer zwischen Vietnam, Japan (beide TPP), Südkorea, Taiwan (TPP-Kandidaten) und China könnte dann ein offener Konflikt entstehen.

Quelle: Österreichischer Rundfunk

Das Positionspapier von Cen und Cenelec, den Europäischen Normeninstituten, ist hier zu finden.