„An CETA wurde kein Buchstabe geändert“

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Dieses Interview erschien zuerst in der Tageszeitung „neues deutschland“ (5. November 2016)

 

 

 

 

 

Pia Eberhardt zur Handelspolitik der EU, zu Schiedsgerichten und zur demokratischen Mitsprache der BürgerInnen.

Das CETA-Abkommen ist am vergangenen Sonntag unterzeichnet worden – allerdings mit einigen Zusatzprotokollen, die Teile der CETA-Kritik aufnehmen. Ein Erfolg oder eine Schlappe für die Kritiker des Abkommens?

Es ist auf jeden Fall ein Erfolg, dass es die Debatte um CETA in den letzten Wochen gab. Das Abkommen und seine Folgen sind vielen Menschen bekannt geworden, die noch nie davon gehört hatten. Trotzdem ist die Unterzeichnung für uns eine Enttäuschung. Denn am CETA-Text ist seit der Veröffentlichung der endgültigen Version Anfang dieses Jahres kein einziger Buchstabe geändert worden.

Aber es gibt Zusatzprotokolle, die u.a. die wallonische Landwirtschaft schützen sollen.

Ja, es gibt eine Reihe von Zusatzerklärungen, die jedoch die Probleme, die im CETA-Text liegen, überhaupt nicht beheben. CETA bleibt in der Substanz ein Abkommen, das gefährlich ist für die Umwelt, für ArbeitnehmerInnen und für unsere Demokratie.

Ein Beispiel?

Eine Zusatzerklärung sagt z.B., dass Regierungen Gesetze ändern dürfen, selbst wenn Investoren negativ davon betroffen sind. Das klingt toll, oder? Es ist auch richtig. Der Satz verschweigt aber leider, dass Investoren mit CETA Schadenersatz in Milliardenhöhe erhalten können, wenn solch eine Gesetzesänderung von einem CETA-Schiedsgericht beispielsweise als willkürlich eingestuft wird. Anders gesagt: CETA verbietet zwar nicht direkt Gesetzesänderungen, sorgt aber dafür, dass wir für sie möglicherweise teuer bezahlen müssen. Die Zusatzerklärung geht also völlig am Kern des Problems der Investorenrechte vorbei.

Warum dann die ganzen Protokolle und Erklärungen?

Sie eignen sich hervorragend dazu, Nichtjuristen und Leute, die nicht so tief in der Debatte stecken, zu verwirren. Die Protokolle suggerieren, dass die Kritik an dem Abkommen aufgenommen wurde, was aber nicht passiert ist. Eine PR-Nummer, sonst nichts.

Ist das auch ein Signal in Richtung TTIP?

Es ist definitiv ein Vorspiel für TTIP. Dazu hören wir ja auch: Regt euch nicht auf, am Ende werden alle Parlamente das Abkommen umfassend prüfen und ablehnen können, was ihnen nicht passt. Wie das praktisch funktioniert, haben wir jetzt bei CETA gesehen. Eine Regierung oder ein Parlament kann eben nicht mehr sagen, wir finden das Abkommen gut, aber wir haben ein großes Problem mit einem Kapitel. Es gibt nur ein Ja oder Nein zum gesamten Vertrag. Und der Druck zur Zustimmung, das hat man jetzt erlebt am Beispiel der Wallonie, ist enorm. Das zeigt, wie wichtig es ist, nicht erst darauf zu warten, dass die TTIP-Verhandlungen abgeschlossen sind, sondern im Lauf der Verhandlungen auf die Gespräche Einfluss zu nehmen.

Wie erklären Sie sich den großen Zuspruch im Kampf gegen die Freihandelsabkommen?

Das hat mit den Abkommen selbst zu tun. Sie sind sehr breit angelegt, sie berühren viele Themen, für die sich die organisierte Zivilgesellschaft in den letzten Jahrzehnten eingesetzt hat, ob das der Umweltschutz ist, ArbeitnehmerInnenrechte oder der Wandel hin zu einer ökologischeren Landwirtschaft. Die Abkommen greifen tief in unsere Demokratie ein und setzen einen engen Rahmen dafür, was in dieser Demokratie in Zukunft überhaupt noch möglich sein wird. Die möglichen Auswirkungen sind so umfangreich und gravierend, dass der Widerstand immer breiter geworden ist.

Der CETA-Vertrag ist über 1600 Seiten lang. Sind die Menschen mit einem solchen, zumal juristisch verklausulierten, Text nicht vollkommen überfordert?

Natürlich. Niemand kann die Folgen dieses Vertrages in seiner Gesamtheit abschätzen, vermutlich selbst die VerhandlerInnen nicht. Dafür ist er zu komplex. Aber es gibt sehr gute Analysen und Informationsmaterial zu einzelnen Bestandteilen des Abkommens. Gleichzeitig gibt es ja auch schon Erfahrungen mit bestehenden Handelsverträgen, auf die man zurückgreifen kann. Wenn wir uns die Konzernklagerechte in CETA oder TTIP anschauen, dann finden wir dort Formulierungen, die den Investorenrechten in bestehenden Verträgen sehr ähneln. Und aus den etwa 700 Konzernklagen weltweit wissen wir, wie diese Formulierungen in Klagen gegen Staaten genutzt werden. Da tappt man jetzt nicht völlig im Dunkeln. Trotzdem ist klar, dass es eine große Herausforderung ist, sich intensiv mit diesen Verträgen zu beschäftigen – für interessierte BürgerInnen genauso wie für die Zivilgesellschaft und für Medien.

Das Konzern-Staat-Klageverfahren gibt es nicht erst seit gestern, sondern schon seit einigen Jahrzehnten.

Ja.

Trotzdem ist es erst mit CETA, TTIP, TiSA und anderen Abkommen in die Kritik geraten.

Es ist ein weltweites Phänomen, dass Länder viele Jahre Verträge mit Konzernklagerechten unterzeichnet haben, ohne eine kritische Debatte. Das ändert sich erst, wenn ein Land verklagt wird. Das war beispielsweise auch im Fall von Südafrika so: Das Land hat in den 1990er Jahren fleißig Verträge unterschrieben. Dann hat es eine skandalöse Klage kassiert, eine Klage gegen ein Antidiskriminierungsgesetz, den Black-Empowerment-Act. Diese Klage hat in Südafrika zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte geführt und am Ende dieser Debatte hat das Land entschieden, bestehende Verträge zu kündigen.

Pia Eberhards ist Mitarbeiterin der Organisation Corporate Europe Observatory, die seit Jahren die Lobbytätigkeit von Unternehmerverbänden in Brüssel analysiert.