EU-Generalanwältin: Alle müssen zustimmen

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In der Süddeutschen Zeitung erschien am 22. Dezember folgender Artikel:

 

 

 

 

Die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshof meint: Brüssel darf nicht allein über Freihandelsabkommen entscheiden. Das freut die Gegner von Ceta und TTIP. Folgt das Gericht dieser Ansicht, dann hat das weitreichende Folgen für künftige Verträge.

Von Thomas Kirchner

Weniges hat die Europäische Union in den vergangenen Monaten mehr erregt als die Frage, wer in der Handelspolitik eigentlich das Sagen habe. Allein die EU, also Brüssel? Das meinen die EU-Kommission und viele Europaabgeordnete und verweisen auf den Lissabon-Vertrag, der der Unionsebene zentrale Befugnisse in diesem Bereich zugesteht, nicht zuletzt auch die Verhandlungsmacht. Oder auch die Mitgliedstaaten? Das glauben viele Regierungen und mit ihnen die Globalisierungskritiker – denn einige Passagen in Handelsabkommen regeln, so ihr Argument, offensichtlich auch Dinge, die nichts mit dem Handel an sich zu tun haben.

Dazu liegt nun seit Mittwoch eine wichtige, unabhängige Stellungnahme vor – von einer Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Eleanor Sharpston hat in einem Verfahren, das die EU-Kommission im Jahr 2015 angestrengt hat, nicht die Brüsseler Auffassung gestärkt – sondern jene der Mitgliedstaaten und Globalisierungskritiker. Es ging dabei nicht um die beiden besonders umstrittenen Freihandelsverträge Ceta mit Kanada und TTIP mit den USA, sondern um ein Freihandelsabkommen mit Singapur aus dem Jahr 2013.

Die Stellungnahme der Generalanwältin ist aus zwei Gründen von besonderem Gewicht: Zum einen folgt der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen oft dem Plädoyer des Generalanwalts. Zum anderen ähnelt das Abkommen mit Singapur stark jenem Abkommen, das die EU soeben mit Kanada geschlossen hat. Sollten sich die Luxemburger Richter der Argumentation der Generalanwältin anschließen, wären die Hürden für solche Freihandelsabkommen künftig noch höher.

Sharpston argumentiert nun im Fall Singapur: Das Abkommen dürfe nur von den Mitgliedstaaten und der EU gemeinsam abgeschlossen werden. Zwar fielen einige Bereiche in die alleinige EU-Zuständigkeit: Brüssel dürfe die Ziele eines solchen Abkommens festlegen, auch wie der Handel mit Waren und Dienstleistungen, mit Bahn- und Straßenverkehrsdienstleistungen zu regeln ist, fällt in die Zuständigkeit der EU, ebenso das öffentliche Beschaffungswesen, Fragen des geistigen Eigentums und des Wettbewerbs.

Für andere Bereiche sind aber auch die Mitgliedsländer mit zuständig: bei Luft- und Seeverkehrsdiensten, der Binnenschifffahrt sowie grundlegenden Arbeits- und Umweltnormen. Und auch bei „nicht handelsbezogenen Aspekten der Rechte des geistigen Eigentums“.

Relevant ist all dies insbesondere für die Frage, wer die Handelsabkommen billigen muss. Ist nur die EU zuständig, reicht es am Ende, wenn Europäisches Parlament und Europäischer Rat zustimmen müssen. Handelt es sich dagegen um ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“, dann muss dieses in jedem einzelnen Mitgliedstaat ratifiziert werden, häufig vom Parlament. In Belgien heißt dies aber auch: in allen Regionalparlamenten. Was das bedeuten kann, hat die Wallonie beim Ceta-Abkommen mit Kanada durchexerziert.

Folgt das Gericht der Auffassung, muss die EU ihre Handelspolitik grundlegend verändern

Sharpston erklärte, sie sei sich sehr wohl der Tatsache bewusst, „dass ein Ratifizierungsprozess unter Einbeziehung aller Mitgliedstaaten neben der EU zu Schwierigkeiten führen kann“.

Voraussichtlich wird der Europäische Gerichtshof im Januar über den Fall entscheiden. Folgt er der Ansicht der Generalanwältin, müsste die EU ihre Handelspolitik grundlegend umbauen. Entweder nimmt sie langwierige Ratifizierungsprozesse in Kauf, die möglicherweise scheitern. Oder die EU schließt künftig nur noch Abkommen, die zu hundert Prozent Fragen regeln, die in ihre Zuständigkeit fallen. Auch eine Trennung der Bereiche wird in Brüssel erwogen.

Der EU-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne) sprach von einer „Ohrfeige für die EU-Kommission und alle Freihandelsbeschleuniger. Das europäische Recht ist stärker als mächtige Interessen, die einseitige Freihandelsverträge möglichst schnell durchpeitschen wollten.“