Europa übervorteilt Afrika

 

Im Mittelmeer gekentert: Flüchtlinge aus Afrika
Im Mittelmeer gekentert: Flüchtlinge aus Afrika

Die geplanten Freihandelsverträge mit den Regionen Afrikas sind nur für Europa vorteilhaft. Das schrieb Jochen Kelter Mitte dieser Woche im Wirtschaftsteil des Südkurier.

Am Gipfel Ende November in Abidjan zwischen den Staaten der Europäischen Union (EU) und jenen der Afrikanischen Union (AU) wollte man eigentlich über die weitere Zusammenarbeit auf politischer, militärischer und nicht zuletzt wirtschaftlicher Ebene sprechen. Aber auf der knapp zweitägigen Konferenz wurde noch nicht einmal ansatzweise über diese Themen diskutiert. Zu sehr waren die Europäer mit den afrikanischen Flüchtlingen beschäftigt, die sie möglichst weit von ihren Grenzen fernhalten wollen, indem man sie am besten schon in Zentral- oder Westafrika interniert oder zurückschickt. Dass sie in Libyen als SklavInnen verkauft werden, behindert nicht die Zusammenarbeit mit den kriminellen Banden dort.

Die EU-Politik gegenüber Afrika war und ist nicht auf „Hilfe zur Selbsthilfe“ ausgerichtet, sondern auf Profit für die Europäer, dem indessen kein Vorteil für Afrika gegenübersteht. Über viele Jahre hinweg hat die EU mit Ländern West- und Ostafrikas sowie des südlichen Afrika jeweils sogenannte EPAs (Economic Partnership Agreement) verhandelt und teilweise abgeschlossen. Mitunter wurde Druck aufgesetzt: Im Fall Kenias drohte man mit dem Einfuhrstopp von Gemüse und Schnittblumen, sollte das Land einer massiven Reduktion der Zölle auf europäische Importe nicht zustimmen. Insgesamt sollen die Afrikaner achtzig Prozent ihrer Importzölle streichen, wenn sie ihre Güter weiterhin zollfrei in der EU absetzen wollen. Bei den Grundnahrungsmitteln sollen die Zölle innerhalb von fünf Jahren sogar auf null sinken. Dahinter steht eine mächtige Lobby europäischer Lebensmittelkonzerne. So würde nicht nur die  Nahrungsmittelabhängigkeit Afrikas erhöht (das Nahrungsmitteldefizit ist von 2000 bis 2016 bereits von 144 Millionen auf 2,3 Milliarden Euro gewachsen), die Milch- und Getreidebauern würden endgültig in den Ruin getrieben.

Die EU behauptet, die Getreideexporte Westafrikas würden um 10,2, die von Rindfleisch um 8,4 Prozent wachsen. In Wahrheit sind die Getreideimporte von 2013 bis 2016 von 2,8 auf 3,4 Millionen Tonnen gestiegen. Und während die EU 2016 nur 22 Tonnen Rindfleisch importierte, exportierte sie 84.895 Tonnen – Ware, die man in Europa kaum absetzen kann, dazu weiteres minderwertiges Fleisch, etwa von Hühnern, weil man für Europa fast nur Brust und Schenkel von Hühnern verarbeitet. Auf diese Weise wird auch die Existenz der kleinen Viehzüchter vernichtet. So sieht der grosse gemeinsame Markt aus afrikanischer Sicht aus. Und entgegen ihren marktliberalen Prinzipien subventioniert die EU ihre Exporte auch noch, im Jahr 2016 wurde der Getreideexport nach Westafrika mit 215 Millionen Euro, der von Milchprodukten mit 169 Millionen gefördert. Zu allem Überfluss liegen die Importzölle der EU höher als jene der afrikanischen Länder südlich der Sahara.

Nigeria etwa zögert mit der Ratifizierung des Freihandels noch aus einem anderen Grund. Die Regierung fürchtet, das Industrialisierungsprogramm werde durch die Importe aus der EU kaputtgemacht. So züchtet Europa die MigrantInnen, die dann bei uns abschätzig als „Wirtschaftsflüchtlinge“ diskriminiert werden.

Jochen Kelter