„Eine Art Neu-Kolonialismus“

Klaus Buchner. Foto: ödp

Der ÖDP-Europa-Parlamentarier Klaus Buchner kritisiert die internationalen Handelsverträge, die die EU abschließen will. Entwicklungsländer würden erpresst, klagt er im Interview mit der Heilbronner Zeitung „Stimme“.

Klaus Buchner ist gewissermaßen Einzelkämpfer. Der Politiker der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) zog 2014 als einziger Politiker seiner Partei in Europaparlament ein − der Wegfall der Drei-Prozent-Klausel machte es möglich. In Straßburg setzt sich der 76-Jährige insbesondere für einen fairen Handel ein.

Interview: Jens Dierolf

TTIP ist mit US-Präsident Donald Trump so gut wie vom Tisch. Ein Grund zum Aufatmen?

Mit der Lockerung von sozialen oder Umweltstandards wäre TTIP für uns Bürger ein sehr ungünstiges Abkommen. Zwar ist TTIP gerade nicht aktuell, es kann aber übergangen werden über das Handelsabkommen der EU mit Kanada, Ceta. Die meisten amerikanische Firmen haben Zweigfirmen in Kanada, das heißt, sie können viel, was TTIP bezwecken sollte, jetzt über Ceta erreichen.

Lassen sich die Abkommen denn wirklich vergleichen?

TTIP in manchen Bereichen sicher noch schlimmer. Bei Ceta ist etwa die Kooperation bei der Gesetzgebung noch freiwillig, bei TTIP nicht. Die Kooperation würde bedeuten, dass wir nicht mehr frei sind, wie wir Gesetze machen wollen, sondern, dass sie, bevor sie ins Parlament kommen, einem Ausschuss vorgelegt werden müssen, in dem bei dem auch Wirtschaftsvertreter dabei sein können. Das ist eine für mich eine unakzeptable Situation in einer Demokratie.

Warum halten Sie bilaterale Verträge wie TTIP für schlechter als die bestehenden Handelsverträge?

Der Unterschied ist, dass bei den internationalen Verträgen, die über die Welthandelsorganisation abgeschlossen werden, die Entwicklungsländer eine starke Stimme haben. Das heißt, die Ergebnisse sind für die Schwachen, also vor allem die Entwicklungsländer sehr viel schlechter.

Machen diese ungleichen Handelsbeziehungen nicht sämtliche Entwicklungshilfe zunichte?

Ich gehe noch weiter. Ich bezeichne das als scheinheilig und eine Art Neu-Kolonialismus. Wir saugen diese Länder aus.

Warum?

Sie werden erpresst. Ihnen werden die Bedingungen aufgezwungen. Es heißt, wenn ihr das nicht abschließt, dann machen wir die europäischen Märkte zu, dann verhandeln wir mit euren Nachbarländern. Es sind ungleiche Partner.

Welche Folgen hat das?

Ein Vertrag räumt etwa den europäischen Ländern freien Marktzugang ein. Das betrifft zum Teil den Landraub. Firmen können sich in Afrika Land im großen Stil kaufen, die Regierungen helfen sogar mit, vertreiben die Bauern mit Gewalt. Unsere billigen, oft minderwertigen Agrarprodukte überschwemmen die Märkte. In einigen Ländern kommt der größte Teil der Milchprodukte inzwischen aus europäischen Ländern. Einheimische Bauern können ihre eigene Milch nicht absetzen, weil sie im Schnitt doppelt so teuer ist, wie unsere subventionierte Milch. Die wird als Magermilchpulver geliefert und dann mit Palmöl wieder zu einer Vollmilch aufgeschäumt. Beim Fleisch ist es das gleiche Prinzip. Wir bekommen Kaffee, Kakao oder Südfrüchte und profitieren doppelt.

Der ungleiche Handel ist schon seit vielen Jahren ein Thema. Hat sich nichts gebessert?

Die neueren Verträge sind zum Teil noch schlimmer. Die EU ist ja als Markt noch weiter gewachsen und mächtiger. Bei Exporten wurden etwa Mengenbegrenzungen aufgehoben. Das Ungleichgewicht zeigt sich noch viel stärker.

In der Kritik steht der massive Lobbyismus in Brüssel: Wie genau spüren Sie diesen als Parlamentarier?

Das erlebe ich ganz konkret. Ich bin zum Beispiel der Berichterstatter für Exportbeschränkungen für Überwachungshardware und -software. Das ist ein Markt von mehreren Milliarden Euro im Jahr. Daran haben die Lobbyvertreter natürlich großes Interesse.

Dann treten Lobbyisten auf den Plan?

Die ersten, die sich gemeldet haben, waren die Lobbyisten der Industrieverbände. Von den etwa 20.000 in Brüssel tätigen Interessensvertretern arbeiten nach Schätzung von „Lobby Control“ 70 Prozent für die Wirtschaftsverbände. Diese verfügen über deutlich mehr finanzielle und personelle Ressourcen als die Nichtregierungsorganisationen. Deshalb sind mir zwei Dinge besonders wichtig: Man muss auch der Gegenseite genauso Gehör schenken. In diesem Fall Datenschützer, oder etwa dem Chaos Computer Club. Das zweite ist: Dass sämtliche Lobbykontakte veröffentlicht werden. Ich führe auf meiner Homepage auf, wann ich mit wem gesprochen habe. Die Transparenz ist nötig, damit die Öffentlichkeit weiß, was da läuft.

 


Zur Person

Klaus Buchner (76) war von 2003 bis 2010 Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Bei der Europawahl im Mai 2014 wurde der Münchner ins Europäische Parlament gewählt. Er ist dort Mitglied der Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz. Der ehemalige Mathematikprofessor und Physiker ist verheiratet, hat vier Kinder sowie sechs Enkel.