Es gibt kein Recht auf Profit

Favela in Brasilien. Foto: Alicia Nijdam, Wiki-Commons

Wer soziale Ungleichheit bekämpfen will, muss die Erträge von InvestorInnen besteuern. Und die Städte wieder in die Hand der Menschen geben. Das schreibt die entwicklungspolitische Zeitschrift „Welt-Sichten“.

Von Bernd Ludermann

Globale Ungleichheit war vor zehn Jahren der Schwerpunkt der ersten Ausgabe von „welt-sichten“. Dort erklärte der Ökonom Branko Milanović, dass die reichsten fünf Prozent der Menschheit rund ein Drittel des globalen Einkommens vereinnahmten. Zwar holten viele „Normalverdiener“ im Süden gegenüber denen im Norden auf, weil in bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China die Durchschnittseinkommen stiegen. Doch zugleich wuchs die Ungleichheit innerhalb vieler Staaten, darunter den meisten reichen.

Das setzt sich bis heute fort. Diese Woche hat das Forschungsnetzwerk World Inequality Lab den ersten „Bericht zur weltweiten Ungleichheit“ vorgelegt. Danach herrscht die höchste soziale Ungleichheit im Nahen Osten, gefolgt von Afrika südlich der Sahara, und verändert sich kaum: Das reichste Zehntel vereinnahmt jeweils mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens. In den meisten anderen Regionen zeigt der Trend aufwärts, aber unterschiedlich stark: Der Einkommensanteil des reichsten Zehntels wächst in Indien schneller als in China und den USA, in Westeuropa langsam. Russland und andere frühere Ostblockstaaten verzeichneten während der wilden Privatisierung nach dem Ende des Kommunismus einen sprunghaften Anstieg.

Am stärksten profitiert eine kleine vermögende Minderheit. Das reichste Prozent weltweit besitzt laut neuen Berechnungen von Oxfam die Hälfte aller Vermögen – in Deutschland ist es knapp ein Drittel. Mit Recht macht die Entwicklungsorganisation den Aufstieg der Superreichen zum Skandal. Auch wenn gleichzeitig die absolute Armut und die globale Ungleichheit sinken – politisch brisant sind Gegensätze innerhalb der Staaten. Selbst in der Wirtschaftselite breitet sich die Einsicht aus, dass die soziale Kluft zu tief wird: Der Weltwährungsfonds sieht darin ein Hemmnis des Wirtschaftswachstums; das Weltwirtschaftsforum, das derzeit in Davos tagt, fürchtet um politische Stabilität und sozialen Frieden.

Viele Rezepte greifen zu kurz

Doch welche Gegenmittel helfen? Ökonomen empfehlen meist eine gewisse Umverteilung über Steuern, soziale Sicherung sowie Bildungsförderung. Das ist sinnvoll und verlangsamt die soziale Spaltung in Westeuropa, aber es greift zu kurz. Dass die Ungleichheit in den Industrieländern seit den 1980er Jahren wieder steigt, liegt laut Milanović am Strukturwandel, den die neuen Kommunikationstechniken, der wachsende Anteil von Dienstleistungen an der Wirtschaft sowie die Globalisierung mitbringen. Der Anteil der Kapitaleinkommen am Volkseinkommen und die Lohnunterschiede zwischen Spezialisten und weniger Qualifizierten steigen; besonders einfache Dienstleister wie Gebäudereiniger werden in prekäre Verhältnisse gedrängt.

Diese Trends gehen aber auch darauf zurück, dass führende Regierungen der Devise folgten, man müsse um die Gunst der Investoren konkurrieren. Dazu haben sie die Regeln für Finanz- und Arbeitsmärkte gelockert, Sozialdienste, Forschungszweige und öffentliche Unternehmen privatisiert und einen Wettlauf um niedrige Steuern auf Unternehmens- und Kapitaleinkommen in Gang gesetzt. Nur so konnten, wie das World Inequality Lab ermittelt hat, die Privatvermögen in Europa, Japan und Nordamerika seit den 1980er Jahren dramatisch wachsen, während das öffentliche Vermögen schrumpfte. Auch dem Süden wurden diese Rezepte aufgedrängt.

Verbindliche Sozialstandards für globale Geschäfte

Das Ergebnis geißelt der britische Forscher Guy Standing in seinem gleichnamigen Buch als „Korruption des Kapitalismus“: Viele Kapitaleigner und Großunternehmen dürften sich bereichern, ohne viel dafür zu leisten. Manche nutzten eine marktbeherrschende Stellung aus; andere griffen Subventionen ab, spekulierten mit knappem Grund und Boden oder verwerteten Patente auf Erfindungen, zu denen öffentliche Forschung beigetragen hat. Wie jüngste Steuerskandale zeigen, halten sie ihre Beiträge an den Fiskus möglichst klein.

Wer ernsthaft weniger Ungleichheit will, muss das ändern. Wir brauchen Mindeststeuern auf Kapitaleinkommen und Finanztransaktionen – am besten global, doch eine Einigung in der Europäischen Union würde schon helfen. Wegweisend wären auch verbindliche Sozialstandards für globale Geschäfte sowie höhere Mindestlöhne oder ein Grundeinkommen. Und nicht zuletzt müssen öffentliche Güter und Dienste wieder gegenüber privatwirtschaftlichen bevorzugt werden. So wäre es die dauerhafteste Mietpreisbremse – und ein gutes Vorbild für den Süden –, Bauland in Städten nur in Erbpacht und vorzugsweise an Genossenschaften zu vergeben. Anleger dürfen und sollen eine Rendite erwarten. Aber man darf nicht alle Bereiche des sozialen Lebens ihrem Kalkül ausliefern.