CETA: Auswirkungen für den europäischen Mittelstand

Richterbund, Kulturrat, Gewerkschaften, Umweltverbände und viele andere haben sich gegen das EU-Kanada-Abkommen ausgesprochen. Auch Unternehmen sparen nicht mit Kritik. Hier die Argumente der Arbeitsgemeinschaft Unternehmen für gerechten Handel.

Anfang 2017 veröffentlichte die Arbeitsgemeinschaft ein Positionspapier, das unvermindert aktuell ist.

In der öffentlichen Wahrnehmung stand CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), das Freihandelsabkommen mit Kanada, lange im Schatten der Debatten um TTIP. Tatsächlich sind die europäischen Handelsbeziehungen mit Kanada deutlich geringer als mit den USA: 2015 hat die EU Waren im Wert von 35,2 Milliarden Euro nach Kanada exportiert und Waren im Wert von 28,3 Milliarden importiert. Kanada liegt hinter Vietnam und Taiwan auf Platz zwölf der wichtigsten EU-Handelspartner.

Trotzdem befürchten wir konkrete Nachteile durch CETA: etwa für Teile der Elektronikindustrie und die ökologisch orientierte Landwirtschaft.

Als Vertreter der mittelständischen Wirtschaft nehmen wir deutlich wahr, dass CETA als Blaupause für weitere Handelsabkommen dienen soll. Die Regeln und Standards, die hier etabliert werden, werden sich also in Zukunft auch in anderen Verträgen wiederfinden. Die Frage lautet darum: Wie gut ist CETA wirklich? Welche ethischen Standards werden hier für kommende Handelsverträge vorweggenommen? Und welchen Nutzen und Schaden haben die unterschiedlichen Zweige der mittelständischen europäischen Wirtschaft?

1) Keine Lösung bei Vereinfachung von Produktzulassungen in Sicht

Die Befürworter von CETA und TTIP versprechen sich durch die Handelsabkommen Vereinfachungen bei den Produktzulassungen für den jeweils anderen Markt. „Kanada und die EU einigen sich im CETA-Abkommen darauf, dass sie ihre Konformitätsbewertungen für bestimmte Güter wie Elektrogeräte und Maschinen gegenseitig anerkennen werden.“ Aber: Eine gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen ohne vorhergehende Harmonisierung der Standards birgt große Risiken. Benachteiligt wäre vor allem der europäische Mittelstand.

a) Es droht eine Einbahnstraße für kanadische Produkte nach Europa

Grund sind grundlegende Unterschiede in den Verfahren zur Konformitätsbewertung dies- und jenseits des Atlantiks. Um ein Produkt in Europa auf den Markt zu bringen, reicht in der Regel das CE-Kennzeichen. Dieses vergibt der Hersteller selber: Er garantiert damit, die geltenden Regeln und Standards zu beachten. Nur Produkte mit erhöhten Sicherheitsanforderungen, etwa Medizinprodukte, müssen von einer unabhängigen dritten Stelle wie dem TÜV zertifiziert werden. Bei einer Computertastatur dagegen kann der Hersteller das CE-Kennzeichen selber vergeben. In Kanada müssen demgegenüber alle Elektronikprodukte von Seiten Dritter zertifiziert werden: Ohne Prüfsiegel darf ein Produkt nicht auf den Markt. Das hat vor allem versicherungstechnische Gründe; wegen des Haftungsrisikos werden die Prüfsiegel vom Markt gefordert. Daran wird sich mit CETA auch nichts ändern. Das führt dazu, dass europäische Hersteller weiterhin teure kanadische Zertifikate erwerben müssen, umgekehrt in Kanada zertifizierte Produkt automatisch als CE-konform anerkannt werden.

b) CETA kann das europäische Standardisierungssystem untergraben

In Europa gilt: Ein Sachverhalt, eine Norm. Die Normen sind mit den internationalen Standards ISO, IEC und ITU harmonisiert. In Kanada sind verschiedene akkreditierte Labors für die Zertifizierung zuständig – mit teilweise voneinander abweichenden Standards. Werden europäische und kanadische Standards gegenseitig anerkannt, ohne sie vorher zu vereinheitlichen, importiert Europa die kanadische Normenvielfalt. Das wäre ein Rückschritt in die Zeit vor dem europäischen Binnenmarkt, als in Europa über 1,4 Millionen Standards existierten. Heute gibt es in Europa nur noch 160.000 Standards. Auch der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) warnt: „CETA darf nicht dazu führen, dass [in Europa] konkurrierende Normenwerke entstehen.“

c) Ein kanadisch-europäischer Sonderweg bei Produktstandards und Konformitätsbewertung benachteiligt mittelständische Unternehmen gegenüber großen Konzernen

Denn: Für mittelständische Unternehmen bedeutet es schon einen großen Aufwand, sich an der Arbeit der internationalen Fachgremien, etwa der Organization for Standardisation (ISO) oder der International Electrotechnical Commission (IEC), zu beteiligen. CETA plant neben den internationalen Gremien einen bilateralen Sonderweg: Im Rahmen der regulatorischen Kooperation sollen technische Handelshemmnisse nach Beschluss von CETA schrittweise abgebaut werden. Es besteht die Gefahr, dass in diesen Gremien die Interessen des Mittelstandes nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Grafik der kanadischen Anti-CETA-Bewegung

Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) haben gegenüber „KMU gegen TTIP“ eingestanden, dass eine Anpassung der Standards durch TTIP „vor den nächsten zehn bis 20 Jahren nicht zu erwarten“ sei. TTIP und CETA stehen bei der Harmonisierung von Produktanforderungen vor den gleichen Problemen – und in beiden Fällen sind sie nicht gelöst.

2) Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie droht unfairer Wettbewerb. CETA ist ein Rückschlag für die Agrarwende

Kanada ist für die europäische Landwirtschaft ein vergleichsweise kleiner Markt. Mögliche Vorteile, die sich aus CETA ergeben könnten, wären für beide Seiten bestenfalls gering. Demgegenüber stehen gravierende Risiken.

a) Eine Aufweichung der Kennzeichnungspflicht von genetisch modifizierten Lebensmitteln greift die Geschäftsgrundlage von ökologisch orientierten Lebensmittelerzeugern in der EU an

Kanada ist der weltweit drittgrößte Produzent von genmanipulierter Nahrung, eine Kennzeichnung ist in vielen Fällen nicht vorgeschrieben. Damit ist für Verbraucher nicht transparent, welche Produkte aus genmanipulierten Pflanzen oder Tieren hergestellt wurde und ob bei der Herstellung genmanipulierte Futtermittel zum Einsatz kamen. Ohne diese Orientierung für Verbraucher sind ökologisch orientierte Unternehmen gegenüber den günstigeren Gen-Produkten nicht mehr wettbewerbsfähig.

b) CETA bietet keinen ausreichenden Schutz geografische Bezeichnungen

EU und Kanada einigen sich im Rahmen von CETA auf eine Liste geografischer Bezeichnungen, die im jeweils anderen Wirtschaftsraum geschützt werden: „Diese Bezeichnungen dürfen ausschließlich für Produkte verwendet werden, die in bestimmten Regionen der Mitgliedstaaten nach den dort geltenden gesetzlichen Regelungen hergestellt wurden.“ Dazu zählen etwa „Bayerisches Bier“, Schwarzwälder Schinken“ und „Aachener Printen“. Für mittelständische Unternehmen ist der Schutz von geografischen Bezeichnungen sehr wichtig, da bestimmte Qualitätskriterien beim Verbraucher eng mit der Region verbunden sind. Die Regelungen in CETA sind jedoch unzureichend, sie bieten keinen wirklichen Schutz und könnten sogar internationale Verhandlungen zum Schutz von geografischen Bezeichnungen gefährden:

„Bayerisches Bier“ ist geschützt, „Bavarian Beer“ hingegen nicht

• CETA listet nur etwa 10 Prozent der in Europa bestehenden geografischen Bezeichnungen von Agrar- und Lebensmittelprodukten, 12 Mitgliedstaaten sind mit keiner Bezeichnung vertreten.

• CETA schützt nur die Bezeichnung in der Ursprungssprache, kanadische Unternehmen können weiterhin „Bavarian Beer“ brauen und in Deutschland verkaufen.

• Im Rahmen des TRIPS-Abkommens der WTO bemüht sich die EU seit langem, Herkunftsbezeichnungen als geistiges Eigentum international zu schützen. Ziel der Verhandlungen innerhalb der WTO ist es, den Schutz von Herkunftsbezeichnungen auch auf Produkte auszuweiten, die nicht aus der Landwirtschaft kommen. Bilaterale Vereinbarungen zum Schutz von geografischen Bezeichnungen könnten die Entwicklung internationaler Schutzbezeichnungen durch die WTO unterwandern.

c) CETA bedroht hohe Standards in der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung und behindert die Förderung von nachhaltiger Landwirtschaft

Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion nehmen in der Wirtschaft eine Sonderstellung ein: Zusätzlicher Wettbewerb, der in anderen Branchen gewünschte Innovationen und Verbesserungen der Produkte fördern kann, geht hier oft zulasten der Tiere und Umwelt. Dabei besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass die Agrarwirtschaft nicht mehr ausschließlich den Maximen „mehr“ und „günstiger“ folgen darf. CETA behindert die Bemühungen um nachhaltige Landwirtschaft. Das Handelsabkommen stärkt die Marktposition von Konzernen, etwa im Saatgutsektor und behindert die Förderung von lokal erzeugten Lebensmitteln.

3) Internationale Schiedsgerichte benachteiligen den Mittelstand

ISDS-Schiedsverfahren (ISDS = Investor-state dispute Settlement) stehen spätestens seit der Diskussion um TTIP massiv in der öffentlichen Kritik. Die Verhandlungspartner EU und Kanada haben in Teilen auf diese Kritik reagiert: Verhandlungen vor dem ICS (Investment Court System) sollen öffentlich und Berufungen gegen Urteile möglich sein. An den grundlegenden Problemen ändert das nichts:

• Ein Verfahren vor einem internationalen Schiedsgericht kostet den Kläger im Durchschnitt acht Millionen Euro. Diese Kosten sind für kaum einen Mittelständler darstellbar und damit de facto keine Option. Das ICS ist damit ein Wettbewerbsvorteil großer Konzerne gegenüber dem Mittelstand.

• ICS privilegiert ausländische Investoren gegenüber inländischen Geldgebern und Interessengruppen, die nicht vor dem ICS klagen können.

• Werden Schiedsgerichte in Handelsabkommen verankert, so wird es in Zukunft für Staaten sehr viel schwieriger, ihr Recht auf Regulierung gegenüber Wirtschaftsinteressen durchzusetzen.

• Auch Klagen von Unternehmen aus Drittstaaten sind über kanadische Tochterunternehmen möglich.

4) CETA kann das europäische Vorsorgeprinzip unterwandern und schadet damit dem Mittelstand

Wie schon bei TTIP trifft auch bei CETA das europäische Vorsorgeprinzip auf einen Markt, in dem im Wesentlichen das Nachsorgeprinzip gilt. In Europa werden chemische Stoffe erst zugelassen, wenn sie nachweislich keinen Schaden anrichten, in USA und Kanada werden sie verboten, wenn ihre schädliche Wirkung bewiesen ist. CETA schützt die europäischen Standards nicht ausreichend: „In CETA kommt in keiner Formulierung das in den EU-Verträgen festgeschriebene Vorsorgeprinzip vor, sondern der Vertrag bezieht sich allein auf den „wissenschaftsbasierten“ Ansatz der WTO: Potenziell gefährliche Produkte und Technologien können demnach erst dann aus dem Verkehr gezogen werden, wenn ihre Risiko wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesen ist – und damit oft viel zu spät.“

Auch wenn für „Produkte wie Lebensmittel, Chemikalien und Kosmetika in Europa weiterhin die Marktzulassungsbedingungen der EU“ gelten, so wurde das „Vorsorgeprinzip nicht im eigentlichen Vertrag verankert und kann so zum Streitpunkt werden.“ Das ist nicht nur für den Verbraucher- und Umweltschutz bedenklich. Es schadet auch europäischen, mittelständischen Unternehmen, die ihre Produktion auf die hohen europäischen Standards ausgerichtet haben.

5) Das geplante Forum zur regulatorischen Kooperation ist innovationsfeindlich

Laut CETA-Vertrag soll ein „Forum für die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen“ Gesetzgeber auf beiden Seiten beraten. Dieses Forum setzt sich aus nicht gewählten Experten zusammen. Die Kritik von Seiten der NGOs ist bekannt: Auch wenn das Gremium „nur“ beratend tätig ist, können Bedenken wichtiger Wirtschaftsvertreter Gesetzesvorhaben zu Fall bringen kann, bevor sie überhaupt in den zuständigen demokratischen Gremien diskutiert werden. Die regulatorische Kooperation bevorteilt aber auch einseitig große Konzerne. Denn kleine und mittelständische Unternehmen haben nicht im gleichen Maße Ressourcen für Lobbyarbeit und können ihre Interessen nicht vertreten. Das Beispiel Energiewende zeigt, dass die Interessen großer und kleinerer Unternehmen durchaus unterschiedlich sein können: Mit dem Umstieg auf nachhaltige Energieversorgung sind unzählige Arbeitsplätze in mittelständischen und regionalen Unternehmen entstanden.

6) Die in CETA verankerte Negativliste schafft Planungsunsicherheit

Bei bisherigen Handelsabkommen hat sich die EU mit ihren Vertragspartnern auf sogenannte Positivlisten geeinigt: Liberalisiert und dereguliert wird nur, was auf der Liste steht. CETA verfolgt ebenso wie TTIP (und das Dienstleistungsabkommen TiSA) einen umgekehrten Ansatz: Was nicht explizit vom Abkommen ausgenommen ist, untersteht den Regeln der Freihandelsabkommen. Problematisch wird die Regelung vor allem, wenn öffentliche Stellen Bereiche der Daseinsvorsorge rekommunalisieren wollen: „Die Negativliste von CETA umfasst unter anderem Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, sozialen Diensten und Wasserversorgung. Dies bedeutet, dass Dienstleister aus allen anderen Bereichen wie Strom- und Gasversorgung, Abwasserentsorgung, aber auch ehemals öffentlicher Wohnungsbau nicht wieder rekommunalisiert werden dürfen, wenn sie einmal privatisiert wurden“19, weil damit eine „Diskriminierung ausländischer Investoren vorliegt.“ Auch zukünftige Dienste, die bisher noch nicht existieren, müssen so von vornherein für private Firmen ausgeschrieben werden. Die Möglichkeit, gegen Rekommunalisierung zu klagen, wäre dabei den ausländischen Investoren vorbehalten. Als Vertreter der Wirtschaft kritisieren wir fehlende Rechtssicherheit und einen einseitigen Vorteil ausländischer Investoren.

7) CETA bietet amerikanischen Unternehmen über kanadische Tochterunternehmen einseitig Marktzugang nach Europa

Durch CETA haben amerikanische Unternehmen über ihre kanadischen Tochterunternehmen die Möglichkeit, auf den europäischen Markt zu drängen. Das bedeutet einen weiteren Wettbewerb, dem kein gerechter Ausgleich gegenübersteht: Europäische Unternehmen erhalten durch CETA keinen Zugang zum amerikanischen Markt.

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Fazit

Als Unternehmerinnen und Unternehmer begrüßen wir freien, internationalen Handel. Dieser muss aber Regeln folgen, die nicht zu einer Absenkung unserer Standards führen und fairen Wettbewerb ermöglichen. CETA erfüllt diese beiden Kriterien nicht.

Wir fordern die Bundesregierung auf, das Abkommen nicht zu ratifizieren.


Die Autoren des Papiers:

Frank Immendorf, Geschäftsführer Egovision GmbH, Mitinitiator von „Unternehmen für gerechten Handel“

Guido Körber, Geschäftsführer Code Mercenaries GmbH, Beirat „Unternehmen für gerechten Handel“


Die Arbeitsgemeinschaft Unternehmen für gerechten Handel (ehemals KMU gegen TTIP) ist eine Wirtschaftsinitiative für transparente und faire Handelsabkommen, die sich an der UN-Agenda 2030 orientiert. Die Weltgemeinschaft hat mit den Sustainable Development Goals den Wandel zur Nachhaltigkeit beschlossen, daher müssen auch alle Handelsabkommen zu diesen Zielen beitragen. Der Aufruf der Arbeitsgemeinschaft, der Abkommen wie CETA, TiSA und TTIP kritisiert, wurde von mehr als 2.500 kleinen und mittelständischen Unternehmen aus dem ganzen Bundesgebiet unterzeichnet.

Die ganze Faktenblatt inklusive Fussnoten finden Sie hier: CETA-Fakten