„Widerstand in vielen Teilen der Welt“

Der Schutz ausländischer Investoren läßt die Wogen um das CETA-Handelsabkommen mit Kanada hoch gehen. Statt umstrittener Schiedsgerichte (ISDS) kommt ein Investitionsgericht (ICS). Aber das könnte der EuGH kippen. In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten äußert der Völkerrechtler Markus Krajewski erhebliche Bedenken gegen die Ratifizierung von CETA.

Anfang März schockte der Europäische Gerichtshof die CETA-Verhandler. Er erklärte Schiedsgerichte für Konflikte zwischen privaten Investoren und Staaten innerhalb der EU für unzulässig. Die niederländische Achmea-Versicherung hatte die Slowakei geklagt – und war abgeblitzt. Jetzt muss der EuGH eine Grundsatzentscheidung treffen.

Österreich will das CETA-Abkommen offenbar noch vor dem Sommer beschließen. Andere Länder wie Deutschland warten noch ab. Warum der unterschiedliche Zugang?

Markus Krajewski: Dass Berlin abzuwarten scheint, hängt wohl damit zusammen, dass es noch ein Verfahren vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht gibt und auch der EuGH noch dazu sprechen soll. Der BVG wird das wohl dem EuGH vorlegen, ist meine Einschätzung.

Wie positioniert sich da die Mehrzahl der EU-Länder?

Zuletzt hat eine knapp zweistellige Zahl von Ländern ratifiziert. Der Zugang ist recht unterschiedlich. Während das Abkommen in manchen Ländern kaum eine Rolle spielt, hat es in Deutschland und Österreich sehr große Wellen geschlagen, was vielleicht am Regierungswechsel liegt. Warum man es genau jetzt in Österreich ratifizierten möchte, erschließt sich mir nicht ganz. Das Abkommen ist ja – was den handelspolitischen Teil angeht – vorläufig bereits in Kraft. Österreichische Exporteure nach Kanada profitieren längst davon.

Was passiert, wenn der EuGH das Investitionsgericht für EU-rechtswidrig erklärt?

Man wird CETA neu verhandeln müssen. Man könnte den Handelsteil vom Investitionsteil trennen, aber dann wäre CETA in der Form erst einmal gestoppt. So eine Situation hatten wir noch nie. Wenn der EuGH das als rechtswidrig einschätzt, müsste der Ratifizierungsprozess sofort gestoppt werden.

Wann kommt der EuGH-Spruch?

2019 ist keine schlechte Schätzung, genauer kann ich es nicht sagen. Es gibt einen Prüfantrag der Belgier, der EuGH wird wohl auch abwarten, ob etwas vom BVG aus Karlsruhe kommt.

Wäre ein Nein zu CETA eine Blamage oder nur das Ausloten rechtlicher Möglichkeiten?

Eine Verschwendung von Ressourcen. Warum sollte ich nationale Parlamente beschäftigen, wenn hinterher der EuGH sagt, alles umsonst? Eine Blamage wäre es nicht, weil niemand weiß, was der EuGH entscheiden wird. Im Moment schauen alle nach Luxemburg. Politisch klug wäre sicherlich abzuwarten.

Wohin geht die Meinung in den akademischen Kreisen?

Nach dem EuGH-Urteil zu Achmea vor einigen Wochen gibt es große Verunsicherung. Bis dahin waren die Fronten relativ klar, die wissenschaftlichen Positionen gingen parallel zum politischen Prozess. Jetzt sagen die einen, das ist das Ende der Sondergerichte. Andere meinen, das bezieht sich allenfalls auf Sonderfälle und EU-interne Abkommen, aber nicht auf CETA. Es gibt keine klaren Positionen.

Also war die Reform der umstrittenen Schiedsgerichte auf das neue System ICS doch nicht das Ei des Columbus?

Es ist nicht verwunderlich, dass es andere internationale Gerichte wie den EuGH auf den Plan ruft, wenn ich aus ad hoc tagenden Schiedsgerichten einen offiziellen internationalen Gerichtshof mache, der viel verbindlicher entscheiden kann. Im ISDS-System sollten ad hoc zusammengewürfelte Schiedsrichter Einzelfälle entscheiden. Das wurde zu Recht kritisiert, es ist intransparent und widerspricht der Rechtsstaatlichkeit. Aber das war nicht stark institutionell aufgestellt. Mit dem Vorschlag von ICS wurden auch vage Dinge konkretisiert. Aber die fundamentale Ungerechtigkeit, die Leute auf die Straße getrieben hat, ist geblieben. Nämlich dass ich ein System habe, das einseitig nur ausländischen Investoren zur Verfügung steht und die Rechte anderer keine Rolle spielen.

Wie kann man aus der Sackgasse herauskommen?

Im Grunde müssten sich Europäer und Kanadier jetzt zusammensetzen und sagen, das ganze Investitionsabkommen ist ein Schlamassel und bringt nichts, das nehmen wir raus. Ursprünglich war es gar nicht Teil der Verhandlungen, 2009 hatte die EU-Kommission dafür noch keine Kompetenz. Und die Kanadier wollten es gar nicht. Man könnte diesen Teil problemlos weglassen. Dann hat man ein Abkommen, das Zölle reduziert und der ganze Investitionsschutz ist weg. Aber das wäre dann in der Tat eine schwere politische Blamage für die EU-Kommission, für die das ein großes Vorzeigeprojekt war. Man sagt nicht gern, dass man 10 Jahre lang in die falsche Richtung marschiert ist. Aber man könnte es machen.

Wie wahrscheinlich ist das Abkommen jetzt, es müssen ja alle EU-Länder zustimmen?

Wenn ein Land nicht ratifiziert, ist der Prozess am Ende. Ein Scheitern wird mit der Zahl der beteiligten Länder wahrscheinlicher, schon mathematisch. Alles andere liegt im Bereich der Spekulation. Wir haben gesehen, wo sich Länder schon überall quergelegt haben, da will ich gar keine Prognose wagen.

Was bedeutet CETA für den durchschnittlichen Leser?

Es geht dabei weniger um Kanada, sondern um die Grundfrage, wie wir eigentlich Globalisierung in den nächsten Jahren weiter gestalten wollen. In der Vergangenheit war es ein Element der Gestaltung wirtschaftlicher Globalisierung, möglichst viele Investoren zu schützen und ihnen möglichst viele Rechte geben, in der Hoffnung, dass dadurch die Wirtschaft angekurbelt wird. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise wissen wir, dass das faktisch nicht so ist. Wir müssen uns fragen, ob wir nicht eigentlich ein anderes Modell haben wollen. Dass sich diese Debatte jetzt gerade an CETA entzündet, ist ein Zufall.

Was heißen solche Abkommen in der Zeit von Präsident Trump, der seine eigene Meinung zum Freihandel hat?

Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Wir haben eine grundsätzliche Krise des multilateralen Systems, auch der (Welthandelsorganisation) WTO und anderer Organisationen, daran sind nicht nur die Amerikaner schuld. Zusätzlich haben wir das Problem Trump. Das lässt sich nicht immer so ganz auseinander halten, es geht auch mit einer bestimmten Rhetorik einher. Das gab es aber in früheren Regierungen mitunter auch schon. Seit vielen Jahren setzen die Staaten tendenziell nicht mehr auf multilaterale, sondern mehr auf bi- oder unilaterale Lösungen. Jetzt haben wir Herrn Trump, der per Smartphone regiert. Das irritiert uns, weil wir das nicht kennen. Trotzdem würde ich das nicht überbewerten.

Warum sind Deutschland und Österreich bei solchen Abkommen immer besonders skeptisch?

Da ist wohl immer auch eine Portion Antiamerikanismus dabei, eine Skepsis gegenüber dem was man in den USA macht. Beide Länder legen hohen Wert auf ökologische Standards und sind sehr skeptisch gegenüber Genfood, das spielt hier mehr Rolle als anderswo. Früher gab es eher Handelskonflikte zwischen Frankreich und den USA, jetzt verlagert sich das in Richtung Deutschland und Österreich.

Was sagen Sie zu der Einschätzung, CETA könnte die Einführung des EU-US-Abkommens TTIP über die Hintertür sein, eine Art Trojanisches Pferd, weil viele US-Firmen Tochterunternehmen in Kanada haben?

Dieses Argument habe ich nie für so ganz überzeugend gehalten. Natürlich können sich US-Firmen umstrukturieren und als kanadische Unternehmen auftauchen, die tun das derzeit auch schon. Wenn ein Unternehmen heute ein bestimmtes Investitionsschutzregime haben möchte, kann es das tun. Für wichtiger halte ich aber, dass man mit CETA eine Art Blaupause für TTIP liefern wollte. Aber das wird wohl nicht passieren, so lange (US-Präsident Donald) Trump in Washington regiert.

Was ist zu halten von Abkommen, die jetzt gleichsam ersatzweise geschlossen werden, wenn geplante Projekte mit den USA nicht zustande kommen?

Auch mit Mexiko haben wir eine Grundsatzvereinbarung über ein ICS, mit Japan aber nicht. Man muss auch sagen, ICS ist ein totales Projekt der EU-Kommission, das stößt in vielen Teilen der Welt auf Widerstand. Die Europäer wollen das im Rahmen der UN-Kommission für Internationales Handelsrecht (UNCITRAL) weiter pushen und stoßen bei vielen auf große Skepsis. Es ist nicht ausgemacht, in welche Richtung das weitergeht.

Selbst wenn das so wäre, scheint es aktuell aber keineswegs einfach zu sein?

Nein, es ist offenbar mehr Wunschdenken der EU-Kommission.

Zusammenfassend: Was würden Sie einer Regierung wie der österreichischen jetzt raten?

Nach dem jüngsten EuGH-Urteil zu Achmea sind sich alle einig, dass jetzt der EuGH am Zug ist, weil man einmal wissen muss, wie der diese Fragen behandelt. Das wird nicht in 20 Jahren, sondern in 12 bis 18 Monaten der Fall sein. Alle, die jetzt gegen politische Widerstände Ratifikationen vorantreiben, sind in einem Rechtfertigungszwang, weil man sagen muss, jetzt ändert sich ja gar nichts. Angenommen, Österreich ratifiziert das jetzt und dann erklärt der EuGH CETA für rechtswidrig, ist damit ja auch kein Blumentopf gewonnen. Aber wenn der EuGH in anderthalb Jahren sagt, alles ist in Ordnung und Österreich ratifiziert dann mit anderen Ländern gleichzeitig, ist auch nichts verloren. Mit Verlaub, aber an dieser Stelle ändert sich jetzt gar nichts, ob Österreich nun ratifiziert oder nicht. Inzwischen wird immer klarer, dass der EuGH sich dazu grundsätzlich wird äußern müssen. Also macht es nicht viel Sinn, hier jetzt voranzupreschen.


Foto: Uni Erlangen

Markus Krajewski ist Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.