Das Gift in der EU-Handelspolitik

 

Obwohl das EU-Mercosur-Handeslabkommen mindestens so gefährlich ist wie TTIP und CETA, hat es bisher nur vergleichsweise wenig öffentliche Resonanz erzeugt. Woran liegt das? Und was bedeutet das Abkommen? Welche Konsequenzen hat es? Und gibt es überhaupt Alternativen? Dazu ein aufschlussreicher Bericht von einer internationalen Konferenz, erschienen auf der Website der Wochenzeitung Freitag.

TTIP und Ceta haben Zehntausende von Menschen mobilisiert und zu zahlreichen Protestaktionen auf die Straße gebracht. Ganz anders verhält es sich mit dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay (und den Ländern Bolivien und Venezuela, die einen Beobachterstatus haben bzw. anstreben). Mit einer international besetzten Konferenz „Stop EU-Mercosur“ hat die linke Fraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) am 12. Dezember 2019 in Brüssel einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über dieses schon seit 20 Jahren verhandelte Abkommen geleistet.

Eröffnet wurde die Konferenz mit einem Beitrag von Mariah Silva von der Brazilian Black Coalition. Sie wies auf die dramatisch zunehmenden Mechenrechtsverletzungen in Brasilien unter dem aktuellen rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro hin und kritisierte, dass die EU trotz dieser Menschenrechtsverletzungen das Handelsabkommen unterzeichnen wolle.

Kernpunkte des EU-Mercosur-Handelsabkommen

Der linke Europaabgeordnete Helmut Scholz, einer der Initiatoren der Konferenz und handelspolitische Sprecher der GUE/NGL, führte in die Eckdaten des Handelsabkommen ein und umriss die wichtigsten Kritikpunkte an diesem Abkommen.

Zunächst hob Scholz hervor, dass diese Konferenz Teil einer strategischen Initiative seiner Fraktion ist, die auf die Entwicklung einer Alternative zu den bisherigen EU-Handelsabkommen zielt: Auf eine Alternative, die Menschenrechte, soziale Standards und ökologische Ziele ins Zentrum der europäischen Handelspolitik stellt statt der üblichen Marköffnungen der Partnerländer, die bisher gewöhnlich zum Vorteil weniger großer EU-Unternehmen erfolgte.

Scholz erinnerte ferner daran, dass die Verhandlungen des Mercosur-Abkommens vor zwanzig Jahren zu einer Zeit begannen, als das EU-Parlament noch nicht die Kompetenz hatte, über solche Handelsverträge abzustimmen. Erst der – in vielen Punkten auch kritikwürdige – Lissabon Vertrag hat die Handelspolitik von der mitgliedsstaatlichen Ebene auf die EU-Ebene verlagert und damit dem EU-Parlament die Mitentscheidungskompetenz (gemeinsam mit dem EU-Rat) über Handelsverträge übertragen. Damit haben die gewählten Europaabgeordneten heute das Recht und die Möglichkeit, Handelsabkommen kritisch zu begleiten und zu beeinflussen, tragen zugleich aber auch Mitverantwortung an deren Ausgestaltung.

Laut EU-Kommission, so der linke Europaabgeordnete, sollen bis März 2020 die juristischen Prüfungen des Vertragstextes abgeschlossen sein. Danach folgt die Anpassung der Übersetzungen des Vertragstextes in die EU-Amtssprachen. Im Juni 2020 soll dann die Unterzeichnung des Abkommens erfolgen.

Das Abkommen ist unterteilt in zwei Abschnitte: einem politischem Abkommen und einem Handelsteil. Rund 780 Millionen Menschen sind von dem Abkommen in ihrem täglichen Leben betroffen: 280 Millionen in den Mercosur-Ländern 500 Millionen in der EU.

Mit einem Handelsvolumen von 90 Billionen Euro ist das EU-Mercosur-Abkommen das bisher größte Handelsabkommen der EU. EU-Unternehmen werden durch das Abkommen jährlich rund vier Billionen Euro an Zollzahlungen für Importe in die Mercosur-Ländern einsparen. Diese Einnahmen fehlen zukünftig in den öffentlichen Haushalten der Mercosur-Länder. Dort könnten sie, wie Helmut Scholz anmerkte, sicher sinnvoller genutzt werden. Dass diese Einnahmeeinbußen der öffentlichen Haushalte durch höhere Steuereinnahmen im Rahmen erhöhter Handelsaktivitäten ausgeglichen werden, hält Scholz für unwahrscheinlich, da sich solche Hoffnungen in der Vergangenheit im Zusammenhang mit anderen EU-Handelsabkommen nicht erfüllt hätten.

Auf EU-Seite werden hauptsächlich Maschinenbau- und Pharmazieunternehmen, die zusammen für 50 Prozent der EU-Exporte in die Mercosur-Länder stehen, von dem Abkommen profitieren, sowie Autoproduzenten und die Hersteller hochwertiger veredelter Lebensmittel.

Hauptexportländer EU-seitig sind Deutschland, Frankreich, Spanien, Niederlande und Portugal. Mittel- und Osteuropäische Länder sind laut Helmut Scholz kaum an Exporte in den Mercosur-Raum beteiligt. Er bemängelte, dass die EU-Kommission bisher keine Auswirkungsstudie über die Beteiligung mittel- und osteuropäischer EU-Länder an dem Abkommen erstellt habe.

Aufseiten der Mercosur-Länder profitieren vor allem große landwirtschaftliche Betriebe, die für 40 % der Exporte in die EU stehen, von dem Abkommen und Unternehmen, die mineralische Rohstoffe exportieren (ca. 18 Prozent).

Der EU-Export von Dienstleistungen in den Mercosur-Raum ist um etwa das Dreifache höher als der in umgekehrter Richtung. Daher resultiert das starke EU-seitige Interesse an der Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens und der öffentlichen Dienste durch die lateinamerikanischen Vertragspartner für EU-Anbieter in diesem Sektor.

Vor diesem Hintergrund formulierte Helmut Scholz eine Reihe von Fragen:

  • Ist dieses Handelsabkommen in seiner vorliegenden Form wirklich nötig?
  • Wird das Abkommen helfen, die UN-Nachhaltigkeitsziele für 2030 zu erreichen? Immerhin haben die beteiligten Länder diese Ziele unterschrieben.
  • Nutzt das Abkommen den Bürgerinnen und Bürgern auf beiden Seiten des Atlantiks?
  • Wie lässt sich die EU-Handelspolitik stärker in die öffentliche Debatte einbringen?
  • Wie wird die Handelspolitik der neuen EU-Kommission, die ihre Arbeit zum 1. Dezember aufgenommen hat, aussehen?
  • Werden die Nachhaltigkeitsziele für die neue EU-Kommission zum zentralen Kriterium der EU-Handelspolitik werden?

Scholz beendete seine Einführung in das Mercosur-Handelsabkommen mit der Aufforderung, die Einhaltung der hohen Qualitätsstandards für Nahrungsmittel in der EU auch zukünftig sicher zu stellen und den EU-Binnenmarkt nicht für Pestizid belastete Agrarprodukte, die vor allem aus Brasilien und Argentinien kommen, zu öffnen.

Agrochemie: Eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit

Welche Gefahren für die öffentliche Gesundheit von Agrarprodukten insbesondere aus Brasilien ausgehen, erklärte Larissa Mies Bombardi. Sie ist Professorin und Expertin für Pestizide an der Universität São Paulo und Herausgeberin des Pestizid-Atlas „A Geography of Agrotoxins Use in Brazil and its Relations to the European Union“ (Zum Download der englischsprachige PDF-Version hier klicken).

Die EU ist nach China und den USA der drittgrößte Handelspartner der Mercosur-Länder. Zunächst einmal stellt Bombardi heraus, dass der Handel zwischen den Mercosur-Ländern und der EU schon jetzt sehr ungleich ist. Die Marcosur-Länder exportieren vor allem mineralisch Stoffe und Agrarprodukte. Im Gegenzug importieren sie Industrieprodukte.

Das wichtigste Exportgut Brasiliens in die EU ist Soja. Der Export umfasst ein Volumen von ca. 5,7 Milliarden Dollar. Jedem Dollar an Ausfuhren aus Brasilien stehen jedoch zwei Dollar an Einfuhren – vor allem von Industrieprodukten – gegenüber.

Die brasilianischen Agrarbetriebe, die für den Export produzieren, sind sehr stark von der Agrochemie abhängig, insbesondere von Pestiziden. Ein großer Teil der verwendeten Agrochemikalien werden nach Aussage der brasilianischen Wissenschaftlerin von Unternehmen aus der EU geliefert. Diese EU-Unternehmen exportieren auch Chemikalien, deren Einsatz in der EU verboten ist.

Die hier zum Ausdruck kommenden bereits bestehenden Ungleichgewichte zwischen dem Mercosur-Raum und der EU würden, so die Einschätzung von Bombardi, durch das Handelsabkommen weiter verstärkt und festgeschrieben.

Zu den für den Export vorgesehenen Agrarprodukten gehören neben Soja vor allem Zucker – der teils für die Produktion von Äthanol verwendet wird –, Kaffee, Orangensaft, Tabak, Mais sowie Rind- und Geflügelfleisch.

Die Ausfuhr dieser Produkte, so Bombardi, hat auch Auswirkungen für die brasilianische Bevölkerung: Die Exporte fehlen im eigenen Land. Um eine griffigere Vorstellung von den für den Export genutzten Landflächen zu vermitteln, hat sie die Flächen ins Verhältnis zur Größe z.B. von Belgien gesetzt: Für den Anbau von Eukalyptus-Bäumen in Brasilien ein Fläche genutzt, die der 2,4-fachen Fläche Belgiens entspricht, für den Anbau von Zuckerrohr nahezu die vierfache Fläche von Belgien und für Soja die elffache Fläche. Setzt man den Flächenverbrauch für Soja ins Verhältnis zur Fläche von Deutschland, dann entspricht die Anbaufläche für Soja in Brasilien der Gesamtfläche der Bundesrepublik. Dabei wird der Soja-Anbau immer noch weiter ausgebaut.

Die Ausweitung des Anbaus von landwirtschaftlichen Exportprodukten geht nach den Recherchen von Bombardi unmittelbar zulasten des Anbaus von Bohnen und Weizen für die brasilianische Bevölkerung. Gleiches gilt im Blick auf den ebenfalls steigenden Anbau von Pflanzen, die zur Produktion von Biokraftstoffen genutzt werden, die ebenfalls exportiert werden.

Eine so auf Monokulturen spezialisierte Landwirtschaft kommt nicht ohne Agrochemie und Pestizide aus. In den letzten 5 Jahren ist nach den Untersuchungen von Bombardi deren Einsatz in Brasilien um 25 % gestiegen. Nach offiziellen Angaben sind im Zeitraum von 2007 bis 2017 über 40.000 Menschen in Brasilien durch Pestizide vergiftet worden. Das sind mehr als zehn Vergiftungsfälle pro Tag. Bombardi geht allerdings davon aus, dass auf einen offiziell registrierten Vergiftungsfall etwas fünfzig nicht registrierte Fälle kommen. Das wären dann ca. zwei Millionen vergiftete Menschen im genannten Zeitraum.

Diese Vergiftungen führen auch immer wieder zu Todesfällen. Für den Zeitraum von 2007 bis 2014 seien pro Jahr offiziell 148 Todesfälle durch Pestizidvergiftungen erfasst – das bedeutet, dass alle 2,5 Tage ein Brasilianer bzw. eine Brasilianerin durch Pestizide stirbt. Selbst Säugling sind durch die Muttermilch von Pestizid-Vergiftungen betroffen.

Die steigende Anwendung von Pestiziden konzentriert sich in der Zeit von 2006 bis 2017 vor allem auf die Rodungsgebiete im Amazonas-Regenwald. Dort wird bevorzug Soja angebaut. Amazonas-Rodung, steigender Soja Anbau und die steigende Anwendung von Pestiziden, so betone Bombardi, hängen eng miteinander zusammen.

Kritikwürdig ist jedoch nicht nur, dass in Brasilien Pestizide erlaubt sind und eingesetzt werden, die in der EU verboten sind, sondern ebenso die dramatisch höheren Belastungswerte mit gefährdenden Substanzen. Laut Bombardi sind in Brasilien um das 400fache höhere Rückstände zulässig als in der EU. Rückstände im Trinkwasser sind um das 300fache höher, Glyphsoat-Rückstände im Trinkwasser sogar um das 5.000fache.

So sind laut Bombardi 98 Prozent des aus Brasilien exportierten Sojas mit Pestizid-Rückständen belastet. Pestizide, die eigentlich in der EU verboten sind, kommen so über den Export von Agrochemikalien nach Brasilien aus der EU und Importen von Pestizid belasteten Agrarprodukten aus Brasilien in die EU trotz dortigem Verbots doch wieder auf den Esstisch europäischer VerbraucherInnen. Aus ihrer Sicht wäre ein internationaler Rechtsrahmen für die Anwendung von Pestiziden nötig.

Zum Abschluss ihres Vortrags forderte Bombardi mehr Forschungen zu den Folgen des EU-Mercosur-Abkommens.

Die von Larissa Mies Bombardi genannten Daten sind über diesen Link zugänglich.

WTO behindert Verbraucherschutz

Die Ausführungen von Larissa Mies Bombardi zur Gefährdung von VerbraucherInnen in der EU durch den extensiven Gebrauch von Pestiziden in Brasilien hat Karine Jacquemart von Foodwatch France um einige wichtige Aspekte ergänzt. Transnationale Unternehmen, so Jacquemar, wollen mittlerweile nicht mehr nur Zölle senken, sondern auch Verbraucher- und Umweltschutzregulierungen beseitigen. Die EU schreibt dementsprechend in ihren Handelsverträgen mittlerweile fest, dass die Regeln der WTO Anwendung finden, statt ihre internen Schutzregeln zu verteidigen, zu stärken und durchzusetzen.

Nach den WTO-Regeln sind auch so genannte technische Handelshemmnisse verboten. Gemeint sind damit z.B. auf demokratischem Wege festgelegte Einfuhrbeschränkungen für mit Pestiziden belastete Produkte. Die WTO-Regeln haben in der jüngeren Vergangenheit zu Klagen transnationaler Unternehmen gegen die EU vor den entsprechenden WTO-Gremien geführt, die die EU verloren hat. In der EU gilt das so genannte Vorsorgeprinzip. Danach müssen Hersteller von Produkten nachweisen, dass ihre Produkte unschädlich sind, um zugelassen zu werden. Nach WTO-Regeln sind Produkte grundsätzlich zuzulassen, solange dem Hersteller nicht eindeutig von staatlicher Seite nachgewiesen werden kann, dass ein Produkt schädlich ist. Die Beweislast ist also umgekehrt und die EU darf Einfuhren nur verbieten, wenn die EU die Schädlichkeit eingeführter Produkte wissenschaftliche belegen kann.

Es kommt hinzu, wie Mathilde Dupré vom Veblen Institut, einem französischen Non-Profit-Think-Tank für ökonomische Reformen und ökologische Transformatio, ausführte, dass die WTO-Regeln automatisierte Kontrollverfahren vorschreiben, die auf Vertrauen statt auf Kontrolle setzen. Nur mehr bei Hochriskiolieferungen darf noch genauer hingeschaut und geprüft werden. Eine effektive Kontrolle von Lebensmittelimporten in die EU wird damit extrem erschwert.

Landwirte und Lohnabhängige unter Druck

Colm O’Donnell, der Präsident der „Irish Natura und Hill Farmers Association“, vervollständigte das Bild bezüglich der Auswirkungen des EU-Mercosur-Handelsabkommens auf den EU-Agrarsektor. In der EU gelten mittlerweile vergleichsweise hohe Umwelt- und Tierschutzstandards für die Landwirtschaft. Durch den geplanten Anstieg von hochwertigen Fleischimporten – 99 Tausend Tonnen Rindfleisch und 80 Tausend Tonnen Geflügelfleisch kommen dann weitgehend zollfrei in die EU – kommen die Landwirte in der EU unter hohen Druck und die relativ hohen Umwelt- und Tierschutzstandards ebenfalls. Dafür werden große Teile des Amazonas-Regenwaldes zerstört, betonte O’Donnell. Im Gegenzug profitieren nur einige wenige Großunternehmen in der EU von der Marktöffnung der Mercosur-Länder für deren Produkte. Aus der Sicht von O’Donnell werden die Landwirte in der EU für die Exportmöglichkeiten einiger großer Unternehmen in der EU geopfert.

Auf lateinamerikanischen Seite rechnen Gewerkschafter mit einem dramatischen Abbau von Arbeitsplätzen, so Andrés Larisgoitia vom argentinischen Gewerkschaftsbund, der zugleich die Gewerkschaften im Mercosur-Raum koordiniert. Allein 70 % der argentinischen Industriearbeitsplätze sieht er dadurch gefährdet, dass infolge des Handelsabkommens der steigende und und zukünftig zollfreie Import von EU-Industrieprodukten nach Brasilien die bisherigen Absätze argentinischer Unternehmen in Brasilien verdrängen wird. Die lateinamerikanischen Gewerkschaften wehren sich deshalb gegen eine drohende Überflutung der Märkte mit EU-Produkten. Bisher, argumentiert Larisgoitia, haben alle EU-Handelsabkommen mit Lateinamerika diese Folgen gehabt. Deshalb fordern die Gewerkschaften eine inklusive Handelspolitik, die es den lateinamerikanischen Ländern ermöglicht, eigene Produktionskapazitäten aufzubauen. Zusammen mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) suche man dementsprechend nach anderen Lösungen mit nachhaltiger Integration an Stelle von Ausgrenzung. Larisgoitia geht davon aus, dass Argentinien das Handelsabkommen in seiner jetzigen Form nicht unterzeichnen wird.

Unterstützung erhielt Larisgoitia von dem italienischen Gewerkschafter Giacomo Barbieri (CGIL). Der EGB setze keineswegs auf Protektionismus, so Barbieri, sondern auf eine andere Handelspolitik. Die bisherigen Freihandelsabkommen seinen aus seiner Sicht auch keine Alternative zum Protektionismus. Die heutigen Freihandelsabkommen seien vielmehr selbst eine Form von Protektionismus, in dem der stärkere Vertragspartner dem schwächeren seine Regeln aufdrücke.

Vor allem seien die Gewerkschaften auf EU-Seite gegen das Handelsabkommen, weil der ursprünglich vorgesehene dritte Kooperationsteil bisher völlig fehle. In seiner jetzigen Form führe das Abkommen zu einer Schwächung von EU-Sozial- und Tarifstandards.

Aus gewerkschaftlicher Sicht müssen Handelsabkommen einen Rahmen für eine Zusammenarbeit mit lateinamerikanischen Erzeugern schaffen, um eine höherer Produktqualität zu erreichen, statt einigen wenigen großen europäischen Unternehmen Vorteile zu verschaffen.

Die italienischen Gewerkschaften hätten daher mit den OrganisatorInnen von Fridays For Future (FFF) vereinbart, dass das EU-Mercosur-Abkommen zukünftig Thema auf den FFF-Veranstaltungen wird.

David Calay, Ökonom an der Universität Angers, kommt angesichts der in der bisherigen Debatte dargelegten Kritik an dem EU-Mercosur-Handelsabkommen zu dem Schluss, dass die heutigen Freihandelsabkommen vor allem darauf zielen, staatliche Regulierungen – insbesondere ökologische und soziale Standards – auszuhebeln. Für den vereinfachten Import Pestizid belasteter Lebensmittel in die EU werden im Gegenzug die Märkte der Mercosur-Länder geöffnet – zulasten europäischer Landwirte und zugunsten vor allem einer Handvoll europäischer Großunternehmen, darunter Maschinenbau-, Automobil- und Pharmazieunternehmen. Daher das Motto vieler Kritiker dieses Abkommen: Vieh gegen Autos. Statt für Freihandelsabkommen plädierte Calay für die Schaffung einer internationalen Handelsorganisation, wie sie auf der Basis der Charta von Havanna von 1948 vorgesehen war. Die Charta von Havanna müsste allerdings, so Calay, um der Thema Umwelt erweitert werden.

Fazit

Das Mercosur-Abkommen wird – wie auch andere EU-Handelsabkommen – viele Verlierer erzeugen und nur wenige Gewinner. So das Fazit der Konferenz. Daher die Forderung nach einer tiefgreifenden Reform der EU-Handelspolitik, die Menschenrechte, soziale Standards, Kooperation und die UN-Nachhaltigkeitsziele in den Mittelpunkt stellt.

Dieses Abkommen bis zum von der EU-Kommission anvisierten Unterschriftsdatum im Juni 2020 noch in eine Richtung im Sinne der Konferenzteilnehmer*innen zu verändern ist ein äußerst ambitioniertes Ziel. Gleichwohl: Unmöglich ist das nicht. Denn aufgrund des Lissabon Vertrages kommt das EU-Mercosur-Abkommen nur zustande, wenn es auch unter den Abgeordneten des Europäischen Parlaments eine Mehrheit findet. Damit verfügt das Europaparlament über die nötige Verhandlungsmacht, um das Abkommen zu ändern oder auch ganz zu stoppen.

Seitens europäischer Landwirte gibt es mittlerweile deutliche Proteste gegen das Abkommen. Im September hat der zuständige Ausschuss im österreichischen Parlament die damalige Regierung beauftragt, im Europäischen Rat nicht dem Mercosur-Abkommen zuzustimmen (siehe nebenstehenden Kasten). Der politische Druck auf das Europäische Parlament steigt also. Um das angestrebte Ziel – eine alternative Handelspolitik, in deren Mittelpunkt Menschenrechte, soziale Standards, Kooperation und die UN-Nachhaltigkeitsziele stehen, durchzusetzen – muss der Druck in den nächsten Wochen allerdings noch deutlich stärker steigen – sowohl auf europäischer als auch auf lateinamerikanischer Seite. Dass es den italienischen Gewerkschaften gelungen ist, das EU-Mercosur-Abkommen auf die Tagesordnung der italienischen Abteilung von Fridays For Future zu setzen, zeigt, dass es noch Spielraum gibt, um den politischen Druck zu erhöhen.

Vielleicht folgen ja noch weitere Sektionen der Klimaaktivist*innen dem italienischen Beispiel. Denn das über zwanzig Jahre alte Verhandlungsmandat für das Handelsabkommen entspricht nicht den heutigen klimapolitischen Erfordernissen. Damit steht es dem am 11. Dezember 2019 von der EU-Kommission in Brüssel im Europäischen Parlament vorgestellten Green New Deal entgegen, der die Grundlage für eine neue europäische Klimapolitik bildet, die die Klimaerwärmung zum stoppen bringen soll. Der Green New Deal wird sein Ziel aber nur erreichen können, wenn alle Politikfelder in den Green New Deal einbezogen werden – also auch die EU-Handelspolitik.