Corona: „Die Versorgung im Süden hat sich verschlechtert“

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Wir alle ächzen unter der Corona-Pandemie. Und sorgen uns vor allem um – uns. Dabei trifft die Krise auch die Medikamentenversorgung im globalen Süden. Weil im Zuge der gewinnorientierten Globalisierung vor allem in China produziert wird – und dort steht die Produktion in vielen Bereichen noch still. Was das bedeutet, erläuterte Christoph Bonsmann von action medeor im Gespräch mit der entwicklungspolitischen Zeitschrift Welt-Sichten.  

Interview: Barbara Erbe

Die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus haben in China viele Fabriken lahmgelegt, Indien will die Ausfuhr von Wirkstoffen begrenzen. Was heißt das für die Versorgung des globalen Südens mit Medikamenten?
Aus der ugandischen Hauptstadt Kampala weiß ich, dass sich dort die Versorgung dramatisch verschlechtert hat. Dabei gehört das Land zu den wenigen in Afrika, in denen es eine nennenswerte Arzneimittelproduktion gibt. Aber 90 Prozent der Wirkstoffe, die die Unternehmen verarbeiten, beziehen sie aus China – und da stockt die Produktion.

Wie ist es zu dieser großen Bedeutung Chinas für die Arzneimittelherstellung gekommen?
Die meisten Wirkstoffe basieren auf Erdöl. Sie werden in der Petrochemie raffiniert und aufgespalten und in der Feinchemie synthetisiert. Diese Industrie hat sich – zumindest für viele Basisarzneistoffe – in den letzten Jahrzehnten zu günstigeren Produktionsstandorten verlagert, wo die Pharmaunternehmen Wirkstoffe einkaufen. So hat sich China zum weltweit größten Produzenten für Medikamentenvorstufen entwickelt, sowohl für den Norden als auch für den Süden. Indien gilt zwar noch immer als „Apotheke der Armen“, weil die dortigen Fabriken günstig Generika herstellen, also aus dem Patentschutz entlassene Medikamente. Doch auch indische Arzneifabriken beziehen ihre Wirkstoffe mittlerweile zu 80 Prozent aus China. Ähnlich sieht es in Brasilien aus, das ebenfalls eine bedeutende Pharmaindustrie hat.

Was muss sich ändern, um Versorgungsengpässe zu vermeiden?
Von der internationalen Arbeitsteilung will niemand ernsthaft ablassen, denn damit sind ja bislang alle ganz gut gefahren. Die aktuelle Krise zeigt aber, dass vor allem die großen Pharmaunternehmen für jedes Präparat Wirkstoffe aus verschiedenen Regionen beziehen müssten, zum Beispiel von zwei Herstellern auf unterschiedlichen Kontinenten . Das bedeutet natürlich mehr Aufwand: Sicherheit kostet extra.

Was bedeutet das für arme Länder?
Für den globalen Süden gilt ebenso wie für den Norden: Der (Wieder-)Aufbau einer eigenen Produktion von Medikamenten und von deren Vorstufen würde sie unabhängiger machen, wäre aber zunächst deutlich teurer. Auch die Möglichkeit, dass Behörden wichtige Medikamente in größeren Mengen vorbeugend lagern, scheint im Süden kaum bezahlbar. Dafür bräuchte man nicht nur Lagerkapazität, sondern auch zusätzliches Geld für Ankauf und Überwachung der Arzneien.


Christoph Bonsmann ist Pharmazeut und Vorstandsmitglied des deutschen Medikamenten-Hilfswerks action medeor.