Der Weg des Fleisches aus dem Regenwald

Brennender Regenwald _ ©Flickr

Der widerrechtliche Kahlschlag im brasilianischen Regenwald erreicht neue Höhepunkte. Schuld daran ist auch der große Hunger nach Fleisch in Europa. Das berichtet die Süddeutsche Zeitung in einem aktuellen Beitrag.

Von Christoph Gurk und Frederik Obermaier

Es sollte nur ein Schnappschuss sein. Im Juli 2019 war der Lastwagenfahrer Alessandro Ale unterwegs auf den staubigen Schotterpisten ganz im Westen des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso. Sojafelder und Viehweiden haben sich hier schon tief hineingefressen in den Amazonas-Regenwald und dort, wo früher Urwaldriesen wuchsen, grasen nun Rinder. Ihretwegen waren Alessandro Ale und seine Kollegen an diesem Tag auf die Fazenda Estrela do Aripuanã gekommen. Rund 250 Tiere hatten sie auf der Farm auf ihre Laster geladen und nun, kurz vor der Abfahrt, machte Ale noch ein paar Fotos, die er dann auf Facebook zeigte. Auf den Bildern darunter sah man Ale – und man sah Lastwagen mit dem Logo von JBS: einem der größten Fleischkonzerne der Welt, der eigentlich immer betont, von Farmen wie der Fazenda Estrela do Aripuanã keine Rinder beziehen zu wollen. Denn die Tiere grasen hier, nach allem was man weiß, auf illegal gerodetem Land.

Wieso aber sieht man auf dem Facebook-Foto also Lastwagen mit dem Logo des Fleischkonzerns? Eine Recherche des britischen Bureau of Investigative Journalism, des Guardian und der Nichtregierungsorganisation Repórter Brasil, die der Süddeutschen Zeitung vorab vorlag, gibt nun Einblick in ein Geschäft, das ebenso lukrativ wie zerstörerisch ist: Der weltweite Handel mit Fleisch von Rindern, die großgezogen wurden auf illegal gerodetem Land. Auch mehr als ein Dutzend deutscher Unternehmen sind darin mutmaßlich verwickelt.

Der Regenwald in der Mitte Südamerikas umfasst rund sechs Millionen Quadratkilometer und erstreckt sich über insgesamt neun Länder. Rund 60 Prozent des Waldes befinden sich aber in Brasilien. Große Teile des Waldes sind noch unberührt, immer tiefer aber dringen Holzfäller, Goldsucher, Sojafarmer und Viehzüchter in den Amazonas vor. Die Abholzung und Brandrodung nimmt seit Jahren zu, unter Präsident Jair Bolsonaro aber hat sie nun ein ganz neues Niveau erreicht. Der rechtsextreme Politiker hatte schon im Wahlkampf versprochen, den Regenwald stärker für die wirtschaftliche Nutzung öffnen zu wollen. Kurz nach seinem Amtsantritt zogen dann dichte Rauchschwaden über die Baumwipfel. Die Feuer im Amazonas riefen international Besorgnis hervor, erst wiegelte die brasilianische Regierung ab, aus Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen knickte sie aber ein. Soldaten wurden in die Region geschickt, sie sollten dabei helfen, die Feuer zu löschen und Umweltgesetze durchzusetzen. Kaum aber waren sie wieder abgezogen, ging der Kahlschlag unvermindert weiter. Auch die Feuer loderten wieder.

200 Millionen Rinder

Laut der brasilianischen Umweltbehörde Ibama hat die Abholzung zwischen August 2019 und Juli dieses Jahres um 28 Prozentpunkte zugenommen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Tausende Hektar Wald sind verloren gegangen, und weder der Einsatz von Soldaten noch Verbote konnten die Rodung stoppen. Zu groß ist die Gier nach den Reichtümern, die unter dem Urwaldboden liegen könnten; zu groß ist der Hunger, nach Geld, nach Land – und nach Rindfleisch.

Mehr als 200 Millionen Rinder grasen heute auf Weiden in Brasilien, so viele wie sonst nirgendwo auf der Welt. Die brasilianische Fleischindustrie erwirtschaftet fast ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts, und die mit Abstand größte Firma in diesem Milliardenmarkt ist JBS. Einst eine kleine Familienmetzgerei, liegt der Jahresumsatz der Aktiengesellschaft heute bei 50 Milliarden Dollar. Allein in Brasilien schlachtet JBS 35 000 Rinder – pro Tag. Das Fleisch wird nach Asien verkauft, nach Nord- und Südamerika, Afrika und auch nach Europa. Zwischen Mai 2019 und April 2020 wurden etwa 46 500 Tonnen hierher geliefert. Einkäufer waren dabei auch immer wieder deutsche Firmen, etwa Tönnies oder die Hamburger Firma Kruse-Fleisch. Dies zeigen Importdaten, die die SZ einsehen konnte.

Die Unternehmen stören sich offenbar nicht daran, dass JBS schon 2017 wegen eines Schmiergeldskandals eine Milliardenstrafe zahlen musste. Und auch als 2019 im Amazonas gigantische Feuer wüteten und Umweltschützer immer wieder auch JBS für die Abholzung mitverantwortlich machten, hielt das deutsche Geschäftspartner offenkundig nicht auf. Sie kauften offenbar weiter gekühltes und gefrorenes Rind, mal gesalzen, mal zugeschnitten, Containerladung nach Containerladung – schließlich beteuerte JBS öffentlich, die Firma werde alles tun, was in ihrer Macht stehe, um Rinder aus der Lieferkette fernzuhalten, die auf illegal abgeholzten Regenwaldflächen gegrast hätten.

Wie aber passt dies zusammen mit einem Foto, das Lkws mit dem JBS-Firmenlogo vor einer Farm zeigt, die nachweislich an illegalen Rodungen beteiligt war?

Die Fazenda Estrela do Aripuanã gehört einem der größten Rinderbarone Brasiliens. Von der brasilianischen Naturschutzbehörde Ibama wurde er bestraft, weil er in Aripuanã knapp 1500 Hektar Urwald gerodet haben soll. Nach den Vorgaben von JBS wäre dies eigentlich ein Ausschlusskriterium. Die Rinder von der Fazenda Estrela do Aripuanã dürften nicht in der Lieferkette des Konzerns landen. Nun standen sie aber auf den Transportern von Alessandro Ale und seinen Kollegen, versehen mit dem offiziellen Logo von JBS.

Man fahre die Tiere jetzt nach Estrela do Sangue schrieb Ale noch unter seinen Facebook-Eintrag. Die Farm liegt 300 Kilometer entfernt, sie gehört dem gleichen Besitzer wie auch die Rinderzucht in Aripuanã, allerdings wurden ihr keine Umweltstrafen auferlegt. Die Rinder, die eben noch auf gerodetem Regenwald-Land gegrast hatten, könnten nun unter Tiere gemischt worden sein, die auf ganz legal als Weideland ausgewiesenen Wiesen gestanden hatten. „Cattle Laundering“, auf Deutsch in etwa so viel wie „Vieh-Wäsche“, wird dieses Vorgehen genannt. Nach Recherchen des Bureau of Investigative Journalism, Repórter Brasil und des Guardian haben schon in den beiden Jahren zuvor Tausende Rinder den gleichen Weg genommen.

JBS beteuert, man dulde kein „Cattle Laundering“

JBS wollte sich nicht zu seinen europäischen Abnehmern äußern. Das Unternehmen erklärte lediglich, dass kein Vieh in der direkten Lieferkette von frisch gerodetem Regenwald stamme. Man sei nicht an Cattle Laundering beteiligt und dulde dies auch nicht. Allerdings hatte erst vor wenigen Tagen Amnesty International über ähnliche Fälle von Rindern aus illegal gerodeten Flächen in der Lieferkette von JBS berichtet.

Die meisten deutschen Abnehmer von JBS ließen eine SZ-Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Tönnies erklärte, dass sämtliche Lieferanten zusichern müssten, „keine Tiere von illegal gerodeten Waldflächen zu verarbeiten“. Ein Verstoß habe eine „sofortige Liefersperre“ zur Folge. Auch das Unternehmen Kruse-Fleisch erklärte, Geschäftsbeziehungen sofort einzustellen, wenn Lieferanten Rinder auf illegalen Flächen weiden ließen.

Damit wächst der Druck auf die brasilianischen Fleischfirmen immer mehr. Marfrig, einer der größten Konkurrenten von JBS, kündigte vergangene Woche an, bis 2025 die komplette Lieferkette in Amazonien bis zum Kalb hin rückverfolgbar zu machen, für den Rest des Landes bis 2030. „Letztlich geben sie damit ganz offen zu, ein Problem mit Fleisch aus Waldzerstörung zu haben und allein in Amazonien fünf Jahre zu brauchen, um dieses in Griff zu bekommen“, behauptet Gesche Jürgens von Greenpeace. Es sei ein Trugschluss zu glauben, die Abholzung und Brandrodung im Regenwald habe nichts mit dem Fleischkonsum auch in Deutschland zu tun. „Europa war 2019 der viertgrößte Abnehmer von Rind aus Brasilien“, sagt Jürgens. Aber selbst wer Fleisch aus Deutschland oder der EU kaufe, sei potenziell an der Vernichtung des Amazonas beteiligt. „Weit mehr als Fleisch importiert Deutschland Soja aus Brasilien“, sagt Jürgens. Sojaschrot wird als Futtermittel eingesetzt, Schweine bekommen es, genauso wie Hühner und Rinder. Über den Umweg ihrer Mägen landet dann am Ende auch ein Stück Regenwald in denen von Restaurantbesuchern oder Supermarktkunden in Deutschland.


Hier ein Film von Greenpeace über das Amazonasgebiet:_