Wenn die Politik aus Öl und Kohle aussteigt, können die Konzerne oft riesige Summen einklagen. So regelt es ein Vertrag – aus dem die EU schnell aussteigen sollte. Ein Beitrag von Fabian Flues in der „Frankfurter Rundschau“.
Der Kampf gegen die Klimakrise droht durch ein kaum bekanntes internationales Abkommen ausgebremst und verteuert zu werden. Der Energiecharta-Vertrag ermöglicht es fossilen Konzernen, Staaten auf Milliarden Euro Schadensersatz zu verklagen, wenn sie Regulierungen zur Bekämpfung des Klimawandels erlassen.
Solche Klagedrohungen fossiler Konzerne können ausreichen, um Klimaregulierungen zu verteuern oder komplett zu verhindern. So ist zu befürchten, dass die Bundesregierung den Kraftwerksbetreibern beim jüngst beschlossenen Kohleausstieg ihre Konzernklagerechte quasi abgekauft hat. Die Braunkohlebetreiber und das Wirtschaftsministerium einigten sich darauf, Schiedsgerichtsklagen auszuschließen, wie Anfang Juli bekannt wurde.
Unabhängigen Berechnungen zufolge liegen die ausgehandelten Entschädigungen fast zwei Milliarden Euro über dem Marktwert der Anlagen. Die Vermutung besteht, dass die Braunkohleunternehmen dem Verzicht auf die lukrativen Schiedsgerichtsklagen nur aufgrund der ungewöhnlich hohen Entschädigungssumme zugestimmt haben.
Deutschland sieht sich seit 2012 mit einer Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall konfrontiert. Der Kraftwerksbetreiber fordert wegen des Atomausstiegs eine Entschädigung von 6,1 Milliarden Euro. Ein solches Szenario sollte beim Kohleausstieg möglichst vermieden werden.
Auch der Vattenfall-Klage liegt der Energiecharta-Vertrag zugrunde. Der Vertrag ist ein in den 1990er Jahren geschlossenes Abkommen, das Investitionen im Energiesektor gegen staatliche Eingriffe absichert. Es ermöglicht ausländischen Investoren, Schadensersatz vor Schiedsgerichten zu verlangen, sollten staatliche Gesetze oder Regulierungen den Wert ihrer Investition mindern.
Schadenersatzforderungen können den Wert einer Investition um ein Vielfaches übersteigen. So fordert die britische Ölfirma Rockhopper auf Basis des Energiecharta-Vertrags von Italien eine Entschädigung von 350 Millionen US-Dollar für ein Ölbohrverbot an der Adria-Küste – obwohl sie nur 40 Millionen US-Dollar investiert hatte.
Deutschland und viele weitere EU-Staaten sind Mitglieder des Energiecharta-Vertrages, zudem eine Reihe von Ländern in Osteuropa und Zentralasien. 130 Investorenklagen auf Basis dieses Vertrages sind inzwischen bekannt – mehr als durch jedes andere Abkommen.
Nicht mitgezählt sind dabei die Klagedrohungen, die internationale Anwaltskanzleien wie Freshfields oder White & Case im Namen ihrer Klienten verschicken. Diese Drohungen flattern Ministerien während des Gesetzgebungsprozesses regelmäßig ins Haus. Sie können angesichts der hohen Schadensersatzforderungen bei risikoscheuen Beamt*innen für eine Abschwächung geplanter Maßnahmen sorgen.
Die Zahl der Klagen und Drohungen könnte in den nächsten Jahren erheblich steigen. Denn wenn die EU-Staaten ihre Klimaziele einhalten wollen, ist eine wesentlich schnellere Abschaltung fossiler Infrastruktur notwendig.
So scheint der Energiecharta-Vertrag Regierungen vor ein unauflösliches Dilemma zu stellen: Sie entschädigen die fossilen Anlagen weit über dem Marktwert, um Klagen zu vermeiden, wie es die Bundesregierung beim Kohleausstieg plant, oder sie gehen den niederländischen Weg geringerer Entschädigungen und riskieren eine Schiedsgerichtsklage mit ungewissem Ausgang.
So oder so entstehen den Staaten hohe zusätzliche Kosten, die eine rasche Klimawende verhindern und die Steuerzahler*innen zukünftig stark belasten werden. Der Energiecharta-Vertrag ist also eine öffentlich finanzierte Vollkaskoversicherung für fossile Unternehmen.
Allerdings gibt es Hoffnung, diesem Dilemma noch zu entkommen. Anfang Juli forderten 13 Abgeordnete aus vier verschiedenen Fraktionen des Europaparlaments, den Vertrag grundlegend zu reformieren oder ganz aus ihm auszutreten. Und tatsächlich finden derzeit Verhandlungen über Änderungen am Energiecharta-Vertrag statt. Aber bereits jetzt ist offensichtlich, dass sie nicht den klimapolitischen Herausforderungen entsprechen werden: Die Aufhebung des Schutzes von fossilen Investitionen steht gar nicht zur Debatte.
Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung die deutsche Ratspräsidentschaft nutzt, um einen gemeinsamen Austritt der EU-Staaten aus dem Energiecharta-Vertrag voranzutreiben.
Fabian Flues ist Referent für Handelspolitik bei Powershift, einer Berliner NGO, die für eine ökologisch-soziale Energie-und Weltwirtschaft eintritt.