Sechs gute Gründe gegen das EU-Mexiko-Abkommen

Viele Organisationen der Zivilgesellschaft – Gewerkschaften, Menschenrechtsverteidiger*innen, Tier- und Umweltschützer*innen – wenden sich derzeit an die politischen Entscheidungsträger*innen in Mexiko und der Europäischen Union (EU) und fordern sie auf, das „modernisierte“ Handelsabkommen EU-Mexiko nicht zu ratifizieren. Zum einen, weil das geplante Abkommen ohne jede Debatte oder öffentliche Konsultation hinter dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger ausgehandelt wurde. Und weil das „alte“ Abkommen, seit zwanzig Jahren in Kraft, vor allem zu schwerwiegenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Schäden geführt hat, insbesondere für Mexiko.

Das „modernisierte“ Abkommen wird diese Probleme aus den folgenden Gründen nur weiter verschärfen, erklären nun viele Gruppen und Initiativen (darunter auch das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel) in einem gemeinsamen Aufruf.

Vor allem sechs Punkte stehen in der Kritik:

  1. Das Abkommen schützt nur ausländische Investor*innen und gefährdet dringend erforderliche Veränderungen zugunsten von Klima, Umwelt und Menschen.

Das Abkommen wird ein neues Kapitel über Investitionen enthalten, das als Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten durch internationale Schiedsverfahren zwischen Investor*innen und Staaten konsolidiert werden soll. Es ist besorgniserregend, dass das vorgeschlagene Investitionsgerichtssystem (Investment Court System, ICS) die schlimmsten Aspekte des klassischen Systems der Investor-Staat-Streitschlichtung (ISDS) nicht angeht. Das bedeutet, dass EU Investor*innen Mexiko (und umgekehrt) in einem parallelen Rechtssystem verklagen können, das ihren privaten Interessen Priorität einräumt, während ökologische, soziale und allgemeine Vorschriften in den Hintergrund treten. In den letzten Jahren haben transnationale Investor*innen viele solcher Klagen angestrengt, um Umweltmaßnahmen und -gesetze anzugreifen.

Beispielsweise verklagte der spanische Konzern Abengoa COFIDES in den Jahren 2010-2013 Mexiko wegen einer verhinderten Giftmülldeponie und erhielt 48 Millionen US-Dollar „als Entschädigung und für entgangene Gewinne“. Nach den jüngsten Reformen Mexikos im Energiebereich und beim Lithiumabbau, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden, haben einige europäische, transnational agierende Unternehmen, darunter Iberdrola, Mexiko mit einer ISDS-Klage gedroht.

Die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Mexiko wird daher zu weiteren Klagen auf beiden Seiten des Atlantiks führen, die die nationalen Haushalte gefährden und notwendige Veränderungen zugunsten des Klimas, der Umwelt und des Wohlergehens von Menschen und Tieren verzögern.

  1. Das Abkommen wird es europäischen Unternehmen weiter ermöglichen, die Menschenrechte in Mexiko ungestraft zu verletzen

Europäische Unternehmen verletzen schon seit Langem nahezu ungestraft die Menschen- und Umweltrechte in Mexiko. Das wird sich mit dem modernisierten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko weiter verstärken, da es noch immer keine wirksamen Regulierungsmechanismen vorsieht. Einige Beispiele für diese Situation sind:

  • Wucher bei Energiepreisen und die Verletzung des Rechts auf Zugang zu Strom, vor dem Hintergrund der Monopolkontrolle durch Iberdrola, Naturgy, Acciona Energía, Fisterra
  • die Verletzung des Rechts auf Zugang zu Wasser und die willkürlichen Preisfestlegungen von Agsal-Suez (jetzt Veolia) in Coahuila, Veracruz, Mexiko-Stadt und Cancún.
  • Im Fall von wasserabfüllenden Unternehmen sind Bonafont/Danone für Enteignungen und Zerstörung in der Region Cholulteca verantwortlich, wo der Widerstand der Pueblos Unidos kriminalisiert und unterdrückt wird.

Das neue Abkommen wird auch die Straflosigkeit der europäischen Konzerne befördern, die am Bau von Großprojekten mit schwerwiegenden sozialen und ökologischen Auswirkungen auf das Territorium beteiligt sind. Dazu zählen beispielsweise das Integrale Projekt Morelos (Proyecto Integral Morelos, PIM), die Mega-Windparks, der Interozeanische Korridor im Isthmus von Tehuantepec oder der Maya Zug (Tren Maya) und andere. In diesen Fällen wurde entweder das Recht auf die vorherige freie, informierte und kulturell angemessene Konsultation und Zustimmung oder Ablehnung der betroffenen Bevölkerung unmittelbar verletzt oder die Umsetzung der Projekte entspricht nicht internationalen Standards, was wiederum zu großen Spaltungen und Konflikten zwischen Gemeinschaften führt.

Das „modernisierte“ Handelsabkommens zwischen der EU und Mexiko enthält weder verbindliche Klauseln, die eine Bereitschaft der Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte widerspiegeln, noch bietet es den Betroffenen wirksame Mechanismen für den Zugang zu Justiz, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung. Die Menschenrechtsklausel im Globalabkommen zwischen der EU und Mexiko wurde trotz Forderungen von Organisationen der Zivilgesellschaft und des Europäischen Parlaments nie aktiviert.

  1. Das Abkommen ermöglicht keine Fortschritte bei Frauenrechten und der Gleichstellung der Geschlechter

Das modernisierte Handelsabkommen zwischen der EU und Mexiko verfestigt patriarchale Muster, die in der mexikanischen und europäischen Gesellschaft verankert sind. Der Vertrag sieht weder einen Mechanismus zur Beendigung der Diskriminierung von Frauen und LGBTIQ-Personen vor, noch enthält er eine inklusive „Gender“-Sprache. In diesem Sinne lässt das Abkommen die Notwendigkeit außen vor, die Rollen von Männern und Frauen und ihre unterschiedlichen sozialen Aufgaben zu dekonstruieren und zu hinterfragen.

Darüber hinaus wurden die wenigen expliziten Klauseln zu Frauen, die es in der alten Fassung des Abkommens gab, gestrichen. Das betrifft Art. 36, in dem Frauen mit niedrigem Einkommen erwähnt werden, und Art. 37 über die Rolle der Frau in produktiven Prozessen. Die Förderung der Chancengleichheit wird jetzt nur noch erwähnt, wenn auf die von der IAO anerkannten Arbeitsnormen verwiesen wird, ohne dass es jedoch Mechanismen gäbe, die überwacht werden können.

Außerdem werden die verschiedenen Kapitel des Vertrags Arbeiterinnen, Bäuerinnen oder Kleinunternehmerinnen, die bereits jetzt am Existenzminimum kratzen, weiter in Bedrängnis bringen. Denn sie laufen Gefahr, durch den ungleichen Wettbewerb mit europäischen Konzernen, insbesondere in der Milch- und Fleischindustrie, vom Markt verdrängt zu werden.

Andererseits fördern das Kapitel der öffentlichen Auftragsvergabe sowie das Kapitel über den Schutz des geistigen Eigentums ein Wirtschaftsmodell, das öffentliche Dienstleistungen wie das Gesundheitswesen schwächt und den Zugang zu Medikamenten erschwert. Dadurch werden vor allem Frauen und Menschen, die Sorgearbeit übernehmen, in Bedrängnis gebracht. Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen verschärft somit auch patriarchale Strukturen, was die zahllosen Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt noch vervielfachen wird.

  1. Das Abkommen ist ein Angriff auf die bäuerliche Landwirtschaft und untergräbt die Ernährungssouveränität

Handelsabkommen wie das zwischen der EU und Mexiko sind unmittelbar mit dem globalen Agrobusiness verknüpft. Dieses hat verheerende Auswirkungen auf bäuerliche Landwirtschaft sowie auf das Recht auf Zugang zu gesunden Lebensmitteln und Gesundheit. Gleichzeitig ist das heutige Landwirtschaftsmodell eines der Hauptursachen für die Klimakrise.

Es befördert zudem Privatisierung und Landraub, Vertreibung und Migration, den Anbau von Exportcrops, die auf genveränderten Organismen beruhen und große Mengen Agrochemikalien, Energie und Wasser benötigen. Es führt zum Verlust von Ernährungssouveränität, Ausbeutung von Landarbeiter*innen, die häufig unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften, und fördert gleichzeitig landwirtschaftliche Großbetriebe, deren Landwirtschaftsmodell die Ursache von Pandemien, wie der sogenannten Schweinegrippe sind.

Mexikanische und europäische Agrarkonzerne werden von diesem Modell profitieren, das durch das Handelsabkommen zwischen der EU und Mexiko gefördert wird. Derzeit importieren deutsche transnationale Konzerne wie Bayer GVO und Agrochemikalien, vor allem Glyphosat. Auf der anderen Seite drängt die Europäische Union Mexiko dazu, das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen aus dem Jahr 1991 (UPOV91) zu unterzeichnen. Die bloße Akzeptanz des gesamten UPOV-Systems, egal in welcher Fassung, legitimiert die Privatisierung von Saatgut und ist ein direkter Angriff auf die unabhängige bäuerliche Landwirtschaft und damit auf eine zentrale Säule der Ernährungssouveränität. Auch die Landwirt*innen in Europa werden von der Zunahme der Importe aus Mexiko betroffen sein.

  1. Das Abkommen behindert Fortschritte auf dem Weg zu einem nachhaltigeren, dezentralisierten und demokratischen Energiesystem

Mit der Aufnahme eines Kapitels über Energie und Rohstoffe in das Handelsabkommen zwischen der EU und Mexiko soll die mit der verfassungsrechtlichen Energiereform von 2013 vorgenommene Privatisierung des Sektors festgeschrieben werden. Diese Privatisierung hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Bevölkerung, unter anderem in Form von höheren Strompreisen.

Zudem hat sie Großprojekte (sowohl ÖPPs als auch Privatinitiativen) für die Stromerzeugung befördert, was die Privatisierung von Gemeindeland, Repressionen und Aggression gegen die betroffene Bevölkerung, Umweltschäden und Korruption zur Folge hat. Viele europäische und insbesondere spanische transnationale Energiekonzerne haben ein Interesse an Mexiko und damit auch an demAbkommen. Dazu gehören unter anderem Iberdrola, Naturgy und Acciona (Spanien), Enel (Italien) und Engie (Frankreich).

  1. Öffentliche Auftragsvergabe und öffentliche Dienstleistungen in Gefahr

Das „modernisierte“ Handelsabkommen zwischen der EU und Mexiko öffnet die öffentliche Auftragsvergabe erstmalig für europäische Unternehmen in Mexiko und umgekehrt. Das bedeutet, dass private Interessen über öffentliche Interessen gestellt werden. Denn es wird davon ausgegangen, dass das, was gut für Investor*innen ist, auch für die Gesellschaft gut ist. Dabei beobachten wir jedoch genau das Gegenteil.

Die Konzentration auf Unternehmensinteressen hat in unseren Gesellschaften u.a. zu einer Polarisierung von Einkommen und Wohlstand geführt, Umweltschäden hervorgerufen und zum Verfall des sozialen Gefüges beigetragen. Hinzu kommen Auswirkungen auf die Unternehmensentwicklung selbst – zum Nachteil der Kleinst- und Kleinunternehmer*innen und zum Vorteil transnational agierender Konzerne, sowohl auf europäischer als auch auf mexikanischer Seite. Und schließlich schadet dies den sozialen und solidarischen Praktiken zwischen der EU und Mexiko. Profitinteressen dürfen nicht dem Wohlergehen von Menschen und Natur vorgezogen werden.

Mexiko ist zu einem der weltweit führenden Industrieparadiese geworden und damit zu einem der Laboratorien für Freihandel und Deregulierung. Die Folgen sind eine beispiellose wirtschaftliche, soziale und ökologische Verwüstung und eine Vielzahl von sogenannten „Opferzonen“ (sacrifice zones) oder „Umwelthöllen“, die auch Jahr für Jahr Tausende von Menschenleben fordern. Viele Unternehmen, die in Mexiko aktiv sind, sind auch die Hauptverantwortlichen für die jahrzehntelange Privatisierung und Ausplünderung des öffentlichen Sektors in Europa. Ihr Profitstreben gefährdet Grundrechte wie das Recht auf Wohnen, das Recht auf Nahrung, das Recht auf Wasser und das Recht auf Energie.

Das Handelsabkommen zwischen der EU und Mexiko bedient allein die Interessen europäischer und mexikanischen Großkonzerne, zulasten der Lebensbedingungen und des Wohlergehens der Menschen und der Umwelt auf beiden Seiten des Atlantiks.

Wir beobachten voller Sorge, dass die aktuelle geopolitische Konfliktlage und der Krieg in der Ukraine als Vorwand benutzt werden, um die Ratifizierung eines Abkommens zu rechtfertigen, das schwerwiegende Folgen für die mexikanische und europäische Bevölkerung hätte. Um zukunftsfähig und nachhaltig zu sein, muss das handelspolitische Modell des 21. Jahrhunderts das Wohl der Menschen und der Umwelt an erste Stelle setzen und den Herausforderungen der Klimakrise gerecht werden.

Das EU-Mexiko Handelsabkommen tut dies nicht! Deshalb sagen europäische und mexikanische Organisationen der Zivilgesellschaft NEIN zum Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und Mexiko! Wir fordern unsere politischen Entscheidungsträger*innen auf, gegen seine Ratifizierung zu stimmen.

Die Liste der Unterzeichnenden ist hier zu finden: https://s2bnetwork.org/sechs-grunde-das-globalabkommen-eu-mexiko-nicht-zu-ratifizieren/

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